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Einerseits hatte ich angesichts der technischen Daten, die dem schweren Jungen zugesprochen werden, hohe klangliche Erwartungen. Andererseits gebe ich in diesem Zusammenhang gern zu, dass ich nicht unbedingt zu den Vincent-Fans der ersten Stunde gehöre.
Die Artgenossen der Anfangsjahre sind mir, bei aller Kraft, immer mit einem leichten Hang zur Grobschlächtigkeit in Erinnerung. Zumindest hätte ich vor einigen Jahren niemandem, der überwiegend Kammermusik und feingeistig-schwelgerische Klavierkonzerte mag – oder allgemeiner: wem es bei der hifidelen Reproduktion primär darum geht, musikalische Intimität mittels hingebungsvoller Darstellung von Details und raffinierter Feindynamik vermittelt zu bekommen – zum Kauf eines Vincent-Amps geraten. Zudem spielten mir die Jungs etwas zu „flächig“ und mit zu wenig Rauminformation. Wenngleich Pegelreserven ohne Ende bietend, war’s mir, salopp gesprochen, zu sehr auf die „schnelle Anmache“ fixiert. Als ich einem Kollegen vom bevorstehenden Test erzählte, versicherte der mir allerdings, dass ich mein langgehegtes Vorurteil getrost zu den Akten legen könne.
Der angenehm kraftvolle Auftritt ist geblieben. Der Vincent ließ in meinem Hörraum nie auch nur den leisesten Zweifel an seiner Potenz aufkommen. Beim titelgebenden, gut neunminütigen Song des Albums The Autumn Effect von 10 Years – die Band liefert eine überzeugende Mixtur der Alternative-Heroen Tool und Incubus – durfte er das dann auch gleich zeigen. „The Autumn Effect“ wohnt eine ganz eigene Dramatik inne: Beginnend mit einem hallfahnenunterlegten Gitarrenloop, „zerschneidet“ die sehr klare und präsent in den Vordergrund gemischte Gesangsstimme des Frontmannes fast störend die tranceartige Atmosphäre der ersten beiden Minuten, bevor sich mit vollem Einsatz der Band der erste Refrain ankündigt. Dieses „Hinaufklettern“ zum ersten Peak fordert den Vincent überhaupt nicht. Fast achselzuckend lässig baut er das Geschehen auf, nimmt das gesteigerte Tempo und die damit einhergehende Lautstärkezunahme zwar zur Kenntnis, lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen und verliert auch nie die Übersicht.
Bei vielen 10 Years-Stücken – und so auch bei diesem – scheinen Schlagzeug und Leadgitarre „gegeneinander“ zu arbeiten, spontane Tempiwechsel und überraschend eingeflochtene Drumfills sorgen für Würze und der Gesang schwebt geradezu „ätherisch“ über dem komplexen Geflecht der Komposition. Bei derlei Musik, die den Genres Metal und/oder Rock zuzuordnen ist, besteht die Hauptaufgabe einer HiFi-Komponente häufig darin, den oftmals noch zusätzlich durch Dynamikkompression „verdichteten“ Klangsalat so auszudifferenzieren, dass die im Detail hochinteressanten Strukturen hörbar werden beziehungsweise: bleiben.
Eine Aufgabe, die dem Vincent liegt: Geschickt schichtet er die Ebenen des Stückes so übereinander, dass man sowohl den Lauf des um eine Oktave ´runtergestimmten und damit noch „böser“ klingenden E-Basses von der mit harten Powerchords und mit Hallfahnen gespielten Leadgitarre klar strukturiert voneinander unterscheiden kann. Fein auch, dass ihm nicht entgeht, dass der Schlagzeuger im instrumentalen Mittelteil des Songs auf seiner Hi-Hat Sechzehntel spielt. So ein Detail muss man bei einer ambitioniert zu Werke gehenden Rock-Kombo erst einmal herausarbeiten können …
Test: Vincent SV-236 MK | Vollverstärker