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Neat Motive SE2 – Gehörtes, Teil 2

Inhaltsverzeichnis

  1. 4 Neat Motive SE2 - Gehörtes, Teil 2

Neat Motive SE2

Um den Bereich der Tonalität hier mal mit einem Zwischenergebnis zu versehen: Die Neat Motive SE2 ist kein Studiomonitor. Sie hat durchaus ihren eigenen Charakter, der aus knackigen, für einen Lautsprecher dieser Größe recht tiefen, schlackenlosen Bässen besteht, aus im positiven Sinne unauffälligen, da sauber durchgezeichneten Mitten, und einem in der Tat sanft betonten, aber beeindruckend hochauflösenden, durchaus präsenten Hochtonbereich, der kein Detail vermissen lässt. Ich leine nun mal zum Vergleich die Nubert nuBox 681 an. Der Unterschied ist deutlich:

Die wirklich stupende Hochtonauflösung der Neat Motive SE2 fällt bei der nuBox 681 geradezu in sich zusammen. Dafür sind die Nuberts in diesem Bereich mehr auf neutrale Tonalität hin getrimmt, während die Neats eine Prise mehr „Extrafunkeln“ austeilen. In Sachen Raumbreite hat die Nubert für meinen Geschmack die Nase vorn, die Abbildung gerät großzügiger und auch raumfüllender im Sinne, dass die Musik noch mehr von den Boxen losgelöst im Raum zu stehen scheint. Auch geht die Nubert im Bassbereich insgesamt physisch dicker runter – wobei sie mir, offen gesagt, dabei nicht ganz so flink vorkommt wie die SE2. Alles in allem ein interessanter Vergleich – und nun schalten wir zurück ins Heimatstudio zur Neat Motive SE2.

Tiefmitteltöner der Neat

Und bleiben noch ein bisschen beim Thema Räumlichkeit und Stereo-Bild. Hier ziehe ich ganz gerne das Livealbum Friedemanns Friedemanns Aquamarin Orchester In ConcertAquamarin Orchester In Concert heran, das hervorragend mikrofoniert, aufgenommen, gemischt und gemastert wurde. Die durchaus komplexen Arrangements, die Oboe, Englisch Horn, Sopransaxofon, Bassflöte, Bassklarinette, Synthesizer, Bass, Marimba- und Vibraphon, Drums und vielfältige Percussion bereithalten, sind optimal eingefangen und stellen sich plastisch und buchstäblich dreidimensional im Raum auf – wenn denn die Wiedergabekette mitspielt. Das ist mit der Neat Motive SE2 der Fall.

Die Bühne wirkt außerordentlich realistisch, zwar nicht überbreit und nicht übertief, aber: Sie wird ausgesprochen dreidimensional dargestellt, man meint die Klänge greifen zu können. Es ist, mit einer klitzekleinen Einschränkung, auf die ich später noch komme, tatsächlich möglich, „in den Raum hineinzusehen“, wenn ich mal etwas spirituell werden darf. Dieser Eindruck bestätigt sich auch bei Tocotronics „Aber hier leben, nein danke“, bei der die wenigen Klangquellen nahezu in den Raum hingepflanzt wirken und auch außerhalb des Sweet Spots nicht hibbelig werden. In Sachen Raum ist die Neat Motive SE2 kein Blender, sondern ein präziser und ausgesprochen musikalischer, weil proportionentreuer Abbilder.

Terminal der Neat Motive

Allerdings: Es macht sich hier auch bemerkbar, dass die Motive SE2 kein klassisches Gardemaß hat. Wenn ich als durchschnittlich großer (1,80 m) Mensch auf einem normalen Stuhl sitze, spüre ich die im Vergleich zu Standboxen üblicher Größe leicht veränderte Abstrahlrichtung der Chassis. Um in den Genuss des klassischen Stereopanoramas zu kommen, bin ich also geneigt, den Kopf minimal zu senken, und das ist kein psychologischer, durch den Anblick der Motive SE2 ausgelöster Effekt, sondern ganz klar ein akustischer. Alles andere wäre auch ein Wunder, denn die Lautsprecher sind de facto nicht auf Ohrhöhe, sondern „zielen“ von der Blickrichtung schon etwas unterhalb am Ohr vorbei. Ich bin es von Standboxen, aber auch von Kompaktboxen mit Ständer gewohnt, dass ich mit geradem Kopf sitze und eine Bühne „sehe“, die vom Fußboden bis in gefühlte 2,50 Meter Höhe geht. Bei der Motive SE2 habe ich – in dieser Sitzhaltung – eine Bühne, die in der Höhe etwa 20-30 cm darunter endet. Dieser Effekt ist nicht störend, es ist eher eine Gewöhnungssache. In meinem gemütlichen, antiken Sesselchen, dessen Sitzfläche um gut fünfzehn Zentimeter tiefer liegen dürfte als üblich, fällt der Effekt schon gar nicht mehr so ins Gewicht.

Sinéad O’ConnorWenden wir uns so hehren Tugenden wie Fein- und Grobdynamik zu. Erste lässt sich leicht mit Sinéad O’Connors herzzerreißendem „Troy“ überprüfen. Ein Lied, bei dem die Sängerin ihre enorme stimmliche und emotionale Bandbreite zeigen kann, denn in knapp sechs Minuten wird erst aus Verzweiflung Wut – und schließlich aus Wut stolzes Aufbegehren. Die zuweilen überraschenden Ausbrüche von Sinéad O’Connors Stimme, aber auch die orchestralen Impulsspitzen verlangen Lautsprechern einiges ab, hier gilt es, die Stimmen kurzfristig in exakt derselben Timbrierung und Qualität im Raum abzuliefern wie bei leiseren Passagen. Das gelingt der Neat, allerdings mit einem interessanten Detail: So flink der Bass, so angenehm fließend-relaxed sind die Mitten. Als das Lied sich nach einem dramatischen Anfang und Mittelteil gegen Ende in eine rockige Richtung entwickelt, vermittelt die Neat eine akkurat passende Geschwindigkeit, sie liefert einen wendigen Bass als Taktgeber, auf den sich die restlichen Frequenzen quasi beziehen können, sodass sich am Ende ein stimmiger Gesamteindruck ergibt – die Neats spielen rhythmisch, aber nicht hektisch oder nervös.

Neat Motive SE2 - Terminal

Ah, der ältere Herr Nachbar humpelt durch das Treppenhaus, offenbar hat er gerade seine Wohnung verlassen. Das ist der Moment, mal ein wenig aufzudrehen. Iggy Pop, „The Passenger“. Das muss rumpeln, das muss poltern, oder um eine unerträgliche Comicfigur zu zitieren: „Das muss kesseln“. Und ob es kesselt! Die Motive SE2 kann laut und sie kann rocken. Munter und rotzig scheppert dieser nicht totzukriegende Klassiker in den Raum. Knackig-kernig gerät der Bass, wiederum spürbar ist die weiter oben schon erwähnte Deutlichkeit der hohen und höchsten Lagen. Wirkt dies bei geringen und mittleren Lautstärken noch als ein frischer Ohrschmeichler, so kann das bei weit aufgerissenem Pegelsteller auch mal ein Ideechen zu viel werden – insbesondere bei eh schon brillant abgemischten Aufnahme. Das lässt sich allerdings schnell und effektiv kanalisieren, indem man für härtere und lautere „Software“ die Lautsprecher ausnahmsweise einmal etwas nach außen anwinkelt.

Spike der Neat

In besonderem Maße scheint mir die Motive SE2 übrigens für klassische Musik geeignet. Sie beherrscht das große Orchester, läuft vor allem aber auch bei kleiner Besetzung zur Hochform auf: Streichquartette, Klaviertrios, Kammermusik – all dies wird über diesen Lautsprecher mit Spielfreude, wiederum überzeugender räumlicher Darstellung und einer den Hörer jederzeit involvierenden Art vermittelt, dass man nach wenigen Sekunden die Augen schließt und vergisst, dass da im Grunde Zwergenstandboxen stehen.

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Test: Neat Acoustics Motive SE2 | Standlautsprecher

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