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Naim Ovator S-600 – Grundkonzept & Chassis

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  1. 2 Naim Ovator S-600 - Grundkonzept & Chassis

Mainstream? Not really. In technischer Hinsicht ist die Naim Ovator S-600 ein ungewöhnlicher Lautsprecher. Einerseits ist dies der Treue zur Firmenphilosophie geschuldet, andererseits wurden bei der Ovator komplett neue Lösungen realisiert.

Das Grundkonzept:

Die Naim Ovator ist ein Trum von Lautsprecher. Sie wiegt über 60 kg das Stück und misst 1,16 m in der Höhe, an der breitesten Stelle 30 cm (die Front und das Hinterteil allerdings nur 25 cm) und ihre Tiefe beträgt 40 cm. „Dit iss mal ‘nen Ding!“, wie ein Naim Ovator S600Handwerker bei mir im Haus, der die Ovator zufällig sah, kommentierte. Da kann man ihm zustimmen. So weit, so groß und schwer – aber nicht ungewöhnlich für einen Lautsprecher dieser Klasse.

Ungewöhnlicher ist da schon, dass die Ovator ein Zwei-Wege-Konzept darstellt. Okay, auch nicht völlig exotisch, stimmt, aber bei dem Kurs, bei der Größe – da dürfte das Gros des Marktangebots doch wohl aus Drei- und Nochmehr-Weglern bestehen.

Zudem: Es handelt sich um einen geschlossenen Lautsprecher. Ist doch hundsgewöhnlich, sagen Sie? Ganz sicher? Als die schwere Ladung ankam, überlegte ich, wann wir eigentlich das letzte Mal einen geschlossenen Standlautsprecher zu Gast hatten – und kam zu dem recht unpräzisen Schluss, dass das wohl doch schon was her sein müsse. Ein Blick in unser Lautsprecherarchiv klärte mich darüber auf, dass dies überhaupt noch nie der Fall war! Seltsam – die Schotten dicht zu machen scheint fast schon als exzentrisch zu gelten. Warum die Briten es tun, dazu später mehr. (Zugegeben, die beiden Ascendos – C8 und System F – sind ebenfalls geschlossene Lautsprecher, aber sie verwenden für die unteren Lagen einen Bandpass. Die ZU Audio Presence war ebenfalls geschlossen – aber auch teilaktiv, nicht passiv wie die Naim. Apropos: Da die Weiche bei der Ovator nicht im Gehäuse, sondern im Sockel steckt, ist sie leicht zugänglich, sodass eine nachträgliche Aktivierung als Upgrade-Option schnell realisierbar ist. Ebenfalls ungewöhnlich – und typisch für Naim.)

Also, was haben wir vor uns? Einen großen, passiven, geschlossenen Zwei-Wege-Standlautsprecher. Einen zudem, der für die oberen knapp sieben Oktaven einen Breitbänder einsetzt. Dieses Chassis ist weder Konus, noch Kalotte oder Flächenstrahler, sondern … ein schwingendes Paneel.

Die Chassis:

Der Mittel-/Hochton-Treiber ist wohl die zentrale Innovation des neuen Naim-Lautsprechers. Er hört auf das Kürzel BMR – Balanced Mode Radiator – und stellt ein Gemeinschaftsprojekt von Naim Audio und dem deutschen Lautsprecherentwickler Karl-Heinz Fink dar.

Naim BMR-Treiber

Wenn Nomen est Omen ist, dann ist „Radiator“ der einfachere Part des Namens – Englisch für Strahler. „Balanced Mode“ ist schon schwieriger zu verstehen, aber über einen kleinen Umweg leuchtet es ein:

Das BMR-Chassis besitzt als Membran eine kreisrunde Scheibe von 85 mm Durchmesser; als Material kommt ein vorn und hinten mit Papier bedeckter Nomex-Honeycomb (der Werkstoff besitzt also eine wabenförmige Struktur) zum Einsatz. Die Scheibe wird von einer Schwingspule angetrieben, es handelt sich also um einen elektrodynamischen Treiber. Die Bewegung erfolgt im unteren Frequenzbereich (ab 380 Hz spielt der BMR) analog dem eines normalen Konus, sprich: Hier schwingt das Paneel kolbenförmig vor und zurück. In höheren Frequenzregionen hingegen gleicht der BMR einem Biegewellenwandler. Was soll das nun heißen?

BMR-Treiber

Nichts mehr und nichts weniger, als dass es ab einer bestimmten Frequenz zu Schwingungen in der Scheibe selbst kommt, dass sich also Wellen im Membranmaterial ausbreiten. Es ließe sich einwenden: Das passiert ab einer bestimmten Frequenz mit jedem Treiber. Richtig, nur ist dies meistenteils unerwünscht und viel Aufwand fließt darin, ein „Aufbrechen“ der Chassis gerade zu verhindern. Beim BMR-Treiber werden Materialschwingungen hingegen systematisch ausgenutzt.

Problematisch ist dabei allerdings, dass manche Frequenzen Resonanzen der BMR-Scheibe anregen – ein Problem ist dies deshalb, da Eigenfrequenzen mit starken Amplitudenveränderungen einhergehen, obwohl die anregende Kraft die gleiche bleibt. Kurz und gut: Mit einem linealglatten Frequenzschrieb wird es so – erstmal – nichts.

Zurück zum Namen dieses Naim-Chassis: Dessen Resonanzen lassen sich im Prinzip auch als stehende Wellen verstehen. Und stehende Wellen werden gerne mal Moden genannt. Aha: „Mode“. Und das „Balanced“ kennzeichnet den Umstand, dass Naim die „Problemstellen“ in den Griff bekommen haben will – also gewissermaßen ausbalanciert hat.

Zeichnung BMR-Chassis von Naim

Dieses Balancieren der Scheibe hat einen möglichst glatten Frequenzverlauf zum Ziel – und dies über den recht gewaltigen Bereich von 380 Hz bis 25 kHz, so Naim. Das Balancespiel – also die Entwicklung des Chassis – hat über drei Jahre gedauert. Und wie man sich leicht denken kann, war dies ein Spiel mit vielen Variablen: Das gemessene und gehörte Ergebnis hängt davon ab, wie groß der Durchmesser der Scheibe ist, aus welchem Material sie besteht, von der Kraft des Antriebs, dem Gewicht der Schwingspule, der spezifischen Elastizität der Sicke … Und ja, es gibt auch so etwas wie BMR„Balancegewichte“. Insgesamt wurden acht Stück auf der Membran verteilt, zwei lassen sich rechts und links auf der Vorderseite entdecken, sechs weitere sind auf der Rückseite positioniert worden.

Eine berechtigte Frage könnte lauten: Warum tut man sich das an? Es ist ja nicht so, als gäbe der Weltmarkt nicht doch das eine oder andere brauchbare Chassis her. Nun, man wollte im wichtigen Mittenbereich keinen Frequenzübergang haben – es sollte bruchlos und homogen tönen. Daher die Entscheidung für einen Breitbänder. Ein zentrales Problem dabei ist allerdings, dass normale Exemplare der Gattung in den Höhenlagen den Schall bündeln.

Dieser Effekt beginnt dort, wo die Wellenlänge der abzustrahlenden Frequenz dem Membrandurchmesser entspricht. Beim BMR wäre dies also bei circa: 340 m/S (Schallgeschwindigkeit) geteilt durch 85 mm = 4.000 Hz der Fall.

Da der BMR hier aber im „Biegewellenmodus“ arbeitet, wird das Abstrahlverhalten deutlich geringer eingeschränkt, denn das Beaming-Problem gilt eher für kolbenförmig bewegte Membranen und nicht so sehr für solche, bei denen je nach Frequenz unterschiedliche Bereiche auf der Membran für die Schallabgabe verantwortlich sind. Man habe, so Naim, mit dieser Technologie einen Treiber erschaffen, der hohe Bandbreite und Belastbarkeit, geringste Verzerrungswerte und eben auch ein exzellentes Rundstrahlverhalten bis in die höchsten Höhen hinein ermögliche. Mit normalen Breitbändern sei dies nicht möglich.

Im Vergleich zum BMR sehen die beiden 20 cm-Basstreiber fast schon gewöhnlich aus. Naim Audio streicht allerdings einige Besonderheiten dieser ebenfalls von Grund auf neu konstruieren Chassis heraus.

Langfaseriges Papier dient als Material für die Membran, die zusätzlich mit einer dämpfenden Schicht versehen wurde. Die vier kleinen Punkte aus Schaumstoff rechts und links dienen ebenfalls der Dämpfung möglicher Membranresonanzen.

Basstreiber bei der Ovator S600

Die Gummisicke ist relativ nachgiebig und sorgt daher nur für eine geringe Dämpfung. Dies ist gewollt, denn eine hohe mechanische Dämpfung an dieser Stelle gehe leider mit Einbußen hinsichtlich des dynamischen Verhaltens der Treiber einher. Naim betont, das die Form der Sicke und insbesondere auch die des Konus selbst Resonanzen im Zaum hält – mittels Geometrie unerwünschte Schwingungen zu minimieren halten die Briten für geschickter als durch zusätzliche mechanische Dämpfungsmaßnahmen.

Weitere Besonderheiten? Das Design des Polkerns ermögliche ein homogenes Magnetfeld, sodass der Antrieb infolgedessen sehr linear ausfällt, heißt es. Damit es auch zu einer guten Belüftung des Antriebs kommt – und zur Vermeidung von Kompressionseffekten zwischen Staubschutzkalotte und der Motoreinheit – wurde dem Polkern zudem eine große Bohrung verpasst.

Schnittzeichnung des des Naim-Basstreibers

Naim verwendet bei den Treibern sogenannte Impedanzkontrollringe (übrigens aus Aluminium, gemeinhin wird Kupfer verwandt). Zwei um genau zu sein, einer sitzt, man sieht es in der Schnittzeichnung, außerhalb der Schwingspule unten, ein anderer weiter oben, innerhalb der Spule. Diese Ringe sollen Impedanz-Variationen im Arbeitsbereich des Chassis minimieren helfen.

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Moon / Simaudio

Test: Naim Ovator S-600 | Standlautsprecher

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