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Eigentlich passen die Technics SB-G90 absolut zu meinem Beuteschema: Ich mag zum einen den reduzierten, geschmackvoll-zeitlosen Look und habe zum anderen klanglich häufig gute Erfahrungen mit auf Phasenkohärenz getrimmten Lautsprechern gemacht – von der mittlerweile leider nicht mehr gebauten Myro Whisky beispielsweise bis hin zu meinen aktuellen Sehring 903. Uneigentlich gibt’s die Technics SB-G90 (www.technics.com) aber nur in Schwarz und leider nicht in einem von mir favorisierten weißen Gewand. Zudem werden Koaxsysteme wie das unserer Probanden zwar regelmäßig mit Phasenkohärenz bzw. „Zeitrichtigkeit“ in Verbindung gebracht – auch Technics wirbt hiermit – dennoch muss das genau wie bei herkömmlichen Treiberanordnungen keineswegs immer Hand in Hand gehen. Aber klar: Eine korrekte Ortbarkeit von Instrumenten und Stimmen sowie ein korrektes Entfernungsempfinden stehen potenziell schon auf der Habenseite von Koaxial-Lautsprechern. Aber lassen wir dazu später im Hörraum die Technics SB-G90 einfach selbst zu Wort kommen.
Bücken wir uns aber erst einmal und schauen den knapp 112 Zentimeter in die Höhe schießenden und 32 Kilogramm auf die Waage bringenden Probanden intensiver in die großen dunklen Augen: Die besagten Koaxtreiber rekrutieren sich jeweils aus einer 2,5-cm-Aluminiumkalotte sowie einem 16-cm-Mitteltöner mit anodisierter Aluminiummembran und Druckgusskorb. Die Antriebe beider Treiber arbeiten im sogenannten Unterhang: Die Schwingspule ist hierbei deutlich kürzer gefasst als der sie umgebende Spalt des Permanentmagneten. So wird erreicht, dass selbst bei hoher Belastung die Spule zu jeder Zeit vollständig und gleichmäßig im Magnetfeld schwingt, was verzerrungsminimierend wirkt.
Die ebenfalls koaxbewehrten kleinen Technics SB-C 700, die wir erst kürzlich im Test hatten, aber auch die Flaggschiffe Technics SB-R1 lassen darauf schließen, dass die Japaner eigentlich ein Faible für Koaxkonstruktionen mit flach verlaufenden Mitteltönermembranen haben: Potenziell geringere Laufzeitunterscheide zwischen Hoch- und Mittelton sowie geringere Verzerrungen und Verfärbungen – der Hochtöner hat schließlich keinen Trichter vor sich – sind hier ins Feld zu führen. Der Koax aus der kleinen SB-C700 ist allerdings ein Fullranger und jener aus der highendigen SB-R1 „sündhaft teuer“, wie Technics sich ausdrückt. Diese Lösungen kamen also aus technischer (Belastbarkeit) bzw. kalkulatorischer Sicht für die mit zusätzlichen Tieftönern ausgestatteten, gleichwohl noch bodenständig gepreisten SB-G90 nicht in Frage.
Herausgekommen ist letztlich eine komplette Neuentwicklung auf Basis eines konisch geformten Mitteltöners. Aber lassen wir hierzu einfach Frank Balzuweit – Produktmanager bei Technics – ein paar erhellende Worte verlieren: „Das Konussystem für den Mittel-/Hochtonbereich weist einen bestmöglich flachen Membranschnittverlauf auf, sodass Verfärbungen aufgrund der Kavität minimal ausfallen. Zudem ist der Spalt zwischen dem kleinen Hochtöner-Hornvorsatz und der Konus-Aluminium-Membran für den Mitteltöner extrem klein, sodass dadurch ebenfalls keine Verfärbungen zu befürchten sind.[…] Dieses Chassis bietet uns auch Möglichkeiten für weitere Lautsprecherentwicklungen, welche derzeit jedoch noch nicht konkret sind.“
Richten wir unseren Blick nach unten auf die beiden Kellerkinder in Gestalt zweier 16-cm-Basstreiber: Doppelmagnete, Kupferkappen, Aluminiumringe sowie eine neu entwickelte langhubige – die Antriebe arbeiten hier dann entsprechend im Überhang – Aufhängung zählen zu den Features der Motoren, die stabil gehalten von Druckgusskörben – analog zum Mitteltöner – schlussendlich Aluminiummembranen in Bewegung versetzen. So weit, so nicht gerade unüblich …
… wohingegen es in Sachen Gehäuse wiederum umso Spannenderes zu berichten gibt: Die beiden Technics SB-G90 weisen nämlich gleich vier Schallwände auf. Wie das? Die Antwort verbirgt sich im Inneren: Hinter den sichtbaren Schallwänden befinden sich nämlich jeweils parallel geführte „Unterwände“, mit denen – und das ist neben der grundsätzlich verbesserten Gehäusestabilität der eigentliche Clou – die drei Chassis verschraubt sind. Die Vorteile der Balanced Driver Mounting Architecture genannten Konstruktion liegen auf der Hand: Die Chassis erfahren genau dort Halt, wo ihr Schwerpunkt liegt, nämlich in unmittelbarer Nähe der schwergewichtigen Antriebe, was zu geringeren Gehäuseresonanzen und mithin verringerten akustischen Verzerrungen führt. Von außen ist die Balanced Driver Mounting Architecture übrigens nicht zu erkennen, allein wenn die chassisumschließenden Verblendungen abgenommen werden, sieht man, dass durch die zum Vorschein kommenden vier Löcher etwas tiefer mit dem Schraubendreher „gebohrt“ werden müsste, wollte man an die Befestigungsschrauben gelangen.
Bei alledem hat man schreinerseitig nicht den Aufwand gescheut, jedem Treiber sowie der bodenseitigen Frequenzweiche (Trennfrequenzen: 480 Hz und 3,2 kHz, die Flankensteilheiten bewegen sich zwischen 12 und 24 dB pro Oktave) dedizierte Kammern zu spendieren, was der Gehäusestabilität zusätzlich zugutekommt, aber auch unmittelbare wechselseitige Einflüsse zwischen den Einheiten im Lautsprecherinneren reduziert.
Last but not least: Wer sich die Technics SB-G90 ins Wohnzimmer stellt, darf sich auf ein Möbelstück freuen, dass auch en détail Wertigkeit vermittelt: Die Hochglanzlackierung und die sanften Radien an den Gehäusekanten sind hochakkurat ausgeführt, die Treiber sauber eingepasst sowie an den Rändern „schraubenlos“ verblendet – und die Metalltraversen schließlich sorgen nicht nur für „wackelfreien“ Stand (akustisch übrigens bei jedem Lautsprecher relevant!), sondern harmonieren auch optisch gut mit den schnörkellosen Säulen.
Apropos „wackelfreier Stand“: Als Zubehör liegen den Lautsprechern Spikes, Spiketeller sowie Gummifüße bei – ich selbst habe wie gewohnt Audioplan Antispikes unter unsere Probanden geschraubt. Schieben wir also die Technics SB-G90 sanft über den Dielenboden in den Hörraum …
Technics SB-G90: Klangbeschreibung & Vergleiche
Bevor wir in die detailliertere Klanganalyse einsteigen und uns um klar fassbare Parameter wie Tonalität, Auflösung, Räumlichkeit oder Dynamik kümmern, vorab noch einige grundsätzliche nicht minder relevante „Soft Skills“, die die Technics SB-G90 auszeichnen:
Die Soft Skills
Unsere Probanden zählen eindeutig zu jenen Lautsprechern, die den Hörer eher involvieren, ihn eher „anmachen“ als dass sie lediglich nüchtern-distinguiert über das Musikgeschehen Bericht erstatten würden. Und das quasi vom Fleck weg: Jedenfalls ging es mir so, ich erinnere mich noch gut an die ersten Hörrunden mit den – bereits eingespielten – SB-G90 und insbesondere daran, dass ich mich sofort emotional angesprochen und ins musikalische Geschehen eingebunden fühlte. Die Technics SB-G90 laden, wenn man so will, zum Hören mit „Bauch und Herz“ ein, und machen es dem Hörer leicht, das Sinnieren über formale Klangparameter zur Nebensache werden zu lassen – wenngleich sich unsere Probanden durchaus profiliert geben, wie wir noch sehen werden.
Ein Grund für die Emotionalität, die von den Japanern ausgeht, mag die besondere Schlüssigkeit, ja Eingängigkeit sein, die der wie aus einem Guss tönende Mittelhochtonbereich ausstrahlt. In dieser Hinsicht lassen die Technics bei mir sogar Assoziationen an gutgemachte Breitbänder-Lösungen aufkommen. Dass der Koax nicht nur mechanisch eine Punktschallquelle darstellt, sondern – wie von Technics deklariert – zudem auch akustisch überdurchschnittlich phasenkohärent („zeitrichtig“) spielt, empfinde ich in diesem Zusammenhang jedenfalls als absolut glaubhaft. Die Japaner spielen hier – gerade auch mit Blick auf ihre Preisklasse – tatsächlich einen veritablen Trumpf aus.
Förderlich für die involvierende Gangart der Technics SB-G90 ist aber zweifelsohne auch deren anspringendes Dynamikverhalten: Ob Gitarrenpickings (Scale The Summit, Album: V, auf Amzon anhören), Klavieranschläge (E.S.T., Tuesday Wonderland, auf Amazon anören) oder Perkussion (Shellac, 1000 Hurts) – der Koax geht seiner Arbeit vorbildlich zackig nach und liefert Impulse mit packender Attack aus. Ganz nach meinem Geschmack übrigens – natürlich haben auf maximale Geschmeidigkeit und Fluss getrimmte Lautsprecher ebenfalls ihren Reiz, laufen nach meinem Dafürhalten aber schneller Gefahr, dass man als Hörer gerade auf längeren Hörstrecken zu sehr eingelullt beziehungsweise tendenziell teilnahmslos wird.
Spaß am Bass
Auch grobdynamisch – wir wenden unseren Blick den beiden 16-cm-Tieftönern zu – geht es energetisch zupackend zu, wie beispielsweise bei den tiefen, sustainreichen Bassbeats auf Skinny Puppys „Gambatte“ (Album: Handover, auf Amazon anhören) zu hören ist. Was zum einen quantitative Gründe hat, denn im Bass – ich vermute im Bereich der Tuningfrequenz des Bassreflexsystems – gestaltet sich‘s eine Spur kräftiger als es reine lineare Lehre wäre. Übrigens nur dort: Im darüber liegenden Oberbass und Grundtonbereich ist von etwaigen zusätzlichen Pfunden, die die Technics SB G90 auf den Rippen hätten, nämlich nichts mehr zu spüren, hier bewegt sich alles im neutralen Bereich.
Qualitativ – in Sachen Timing & Speed – ist tieftonseitig im Grunde alles im grünen Bereich, allerdings ohne dass hier Bestwerte wie im Mittelhochtonbereich aufgestellt würden. Sprich: Die Bassabteilung der Technics SB-G90 läuft keinesfalls merklich hinterher – obere und untere Lagen wirken auf keinen Fall inkohärent –, ist aber auch nicht darauf trainiert, Impulse messerscharf definiert „auf den Punkt“ auszuliefern. Man meint, ein klein wenig das Bassreflexsystem herauszuhören. Klar, dass meine dreimal mal so teuren Sehring 903 (in der neusten Version eh mit extrem impulssauberer Bassqualität gesegnet) die Basscharakteristika der Technics im A/B-Vergleich recht offenkundig werden lassen.
Aber auch die Sonus faber Olympica 2 oder etwa die zudem noch mit mehr Tiefgang gesegneten Nubert nuVero 140 geben sich untenrum definierter und weisen ein präziseres Timing auf. But there’s no such thing as a free lunch: Erstere entwickeln nämlich einen weniger zupackenden Bassdruck und eine geringere Pegelfestigkeit, Letztere einen weniger „wie aus einem Guss“ wirkenden Mittelhochtonbereich als unsere japanischen Gäste.
Typisch Koax?
Da wir gerade schon kurz das Thema „Tonalität“ angerissen hatten: Dem Koaxialtreiber lässt sich auch in dieser Sache nicht am Zeug flicken: Stimmen und Instrumente geraten im Grunde monitorhaft balanciert – wenn man unbedingt ein kleines Tendenzchen ausmachen müsste, dann würde ich sagen, dass die Abstimmung im Zweifelsfall Hörer anspricht, die eher eine luzide denn ausgemacht warm-substanzreiche Mittenabstimmung präferieren. Was sicherlich auch dem guten Auflösungsvermögen dient, wenngleich – nicht untypisch für Koax-Systeme – der Hochton dabei nicht ganz die saubere „Eingefasstheit“ manch anderer Toplautsprecher erreicht. Meint: Grundsätzlich lassen die Technics auch feine Details tadellos hörbar werden, sie deckeln, dimmen oder verschweigen obenherum genauso wenig wie andere gut auflösende Lautsprecher. Daher arbeiten zum Beispiel meine Sehring oder auch die Quadral Rodan 9 (5.000 Euro) etwa feine Transienten keineswegs signifikanter heraus als die SB-G90, aber gleichwohl noch einen Tick definierter, klarer umrissen, wie noch blankgeputzter.
Zu vernehmen ist das beispielsweise beim Song „Turbulence“ von Free The Robots und dem dort zu hörenden rhythmisch eingestreuten Geräusch, das an einen umfallenden Turm von Spielsteinen oder Jetons erinnert. Dieses Geräusch ist über die Technics zwar „als Ganzes“ absolut deutlich zu hören, gerät aber „in sich“ etwas weniger definiert. Meine Sehring-Lautsprecher suggerieren einem das Gefühl, die einzelnen Spielsteine physisch glaubhafter, noch „abzählbarer“ vor Ohren geführt zu bekommen. Abstriche in der Langzeittauglichkeit – ein weiterer wichtiger Aspekt der Hochtonwiedergabe – sind mit unseren Japanern übrigens nicht zu befürchten: Artifizielle Schärfen oder Härten glänzen durch Abwesenheit, besonders gnädige Milde herrscht aber ebenso wenig.
Die Bühnenbeleuchtung
Beleuchten wir abschließend noch die Bühne: Hochtondetails wirken wie gesagt nicht ganz so klar eingefasst und damit auch weniger plastisch als maximal möglich, dafür schenken einem die Technics SB-G90 ein sich in seiner Gesamtheit schön nach vorne öffnendes Klangbild, das Instrumente und Stimmen sehr authentisch körperlich in den Raum projiziert. Ich selbst bin ja von der häufig verlautbarten Gleichung „Koax = super Raumgefühl“ nicht so überzeugt, da dabei nicht zuletzt Kanalgleichheit und Phasenkohärenz, aber auch Gehäusekantenreflektionen ein gehöriges Wörtchen mitreden, sich aber nicht zwangsläufig auf ein Stelldichein mit Koaxlösungen einlassen. Im Falle der SB-G90 greift das Koax-Klischee aber tatsächlich und sorgt dafür, dass sich bei entsprechender Musik das vielgerühmte – sorry für das abgenudelte, aber hier nun mal treffende Wort – „Livegefühl“ einstellt. Ganz klar ein weiteres Pfund, mit dem die Technics eindrucksvoll – zumal in ihrer Preisklasse – zu wuchern vermögen.
Test: Technics SB-G90 | Standlautsprecher