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Sennheiser HD 800 – klangliche Eindrücke
Die zweite Änderung betrifft die Treiberaufhängung. Auch andere Hersteller setzen bereits längere Zeit gewinkelte Treiber ein (Sennheiser selbst hat sie bei der 5×5-Serie eingeführt), und nun hat auch der HD 800 einen leichten Winkel. Der hintere Randbereich der Treiber steht weiter vom Kopf ab als der vordere. Die Begründung für diesen Schritt ist immer die gleiche: Die Schallquelle soll leicht schräg in das Ohr abstrahlen, so dass man das Gefühl von Lautsprechern im Stereodreieck erhält.
Nur beim Denon D 7000 konnte ich dieses Gefühl bisher relativ überzeugend erleben, doch auch dem HD 800 gelingt dieser Kniff. Das liegt unter anderem daran, dass er (ähnlich dem Denon) die Klangquelle weiter vom Hörer wegrückt als andere Kopfhörer. Der Winkel in Kombination mit diesem Abstand lässt den Sennheiser HD 800 eine enorm große und tiefe Bühne aufbauen. Besonders vorteilhaft ist dies bei starken Close-Mic Aufnahmen, wo die Instrumente sonst im Kopf spielen würden.
Der entscheidende Punkt, den alle Hersteller bei jedem Hörer neu festlegen müssen, ist das Klangbild. Sennheiser ist hier einer sehr neutralen Linie gefolgt. Kein Frequenzbereich rückt in den Vordergrund und keiner wird vernachlässigt. Es gibt keine unschönen Spitzen in den Höhen und der Bassbereich schließt homogen an das restliche Spektrum an. Und auch wenn es konstruktionsbedingt nicht so intensiv wirkt wie bei geschlossenen Systemen, so geht der HD 800 rein objektiv bis in tiefste Register zu Werke. Ich selbst finde die Liebe des Sennheiser-Entwicklungsteams zum neutralen, flachen Frequenzverlauf sehr sympathisch, denn wie einfach lässt sich hier ein spontanes Wow-Gefühl über leichte Betonungen hintricksen. Der HD 800 hingegen nimmt sich förmlich zurück. In den ersten Minuten mit dem Kopfhörer war ich geradezu unbeeindruckt von ihm und begann mich schon zu fragen, ob‘s das jetzt gewesen sein soll – doch nach und nach bemerkt man die feinen Nuancen und bekommt ein Gefühl für die Stärken des großen Sennheisers.
Dann wechselte ich zu einem anderen Kopfhörer und plötzlich wurde mir mit einem Schlag klar, was den HD 800 ausmacht – ja, vielleicht sogar momentan einzigartig macht. Es ist seine Natürlichkeit. Ich habe noch bei keinem anderen Kopfhörer solch eine natürliche Wiedergabe erlebt wie beim HD 800. Eine gute Klassikaufnahme klingt eben nicht einfach nach einer Aufnahme von Cello, Klavier und Trompete, sondern man hört, wie jemand das Instrument spielt – nicht neben dem Mikrofon, sondern neben mir im Raum in genau diesem Moment. Das ist im direkten Vergleich mit anderen Kopfhörern wirklich äußerst beeindruckend.
Mit den entsprechenden Aufnahmen macht der Sennheiser HD 800 einen enormen Spaß – man spürt förmlich die Dynamik und Energie der Künstler. Durch diese Neutralität erliegt der Sennheiser allerdings dem gleichen Schicksal, welches auch die meisten anderen neutralen Schallwandler teilen: Schlechte und flache Aufnahmen werden sofort entlarvt. Gerade in Verbindung mit der großen Bühne wirken manche modernen Rock-/Popaufnahmen eher einschläfernd als anregend. Alte Goldstücke aus Pre-Loudness-Zeiten oder gut gemachte Remasters (MFLS & Co.) hingegen lassen die Musik neu aufleben.
Ich zumindest hatte bei meinen Klassikern jeder Musikrichtung richtig viel Spaß mit dem Sennheiser. Und das durchaus eine lange Zeit am Stück. Der hohe Komfort und das entspannte, verzerrungsarme Klangbild machen den HD 800 zu einem Wandler, mit dem man problemlos und ermüdungsfrei über Stunden hören kann. Speziell die sehr atmosphärischen Alben von z.B. Pink Floyd, Kate Bush oder auch Tool werden durch die große Bühne zu besonders intensiven Erlebnissen. Und dabei entdeckt man dann vielleicht das eine oder andere Detail seiner Aufnahmen ganz neu. Optimale Voraussetzungen dafür bietet der Sennheiser HD 800 auf jeden Fall, denn sein Auflösungsvermögen gehört mit zum besten, was ich bei Kopfhörern bisher erlebt habe. Hochwertige Elektrostaten haben die Messlatte hier sehr hoch gesetzt, aber zumindest im dynamischen Bereich setzt der neue Sennheiser einen hohen Standard.
Je hochwertiger die Kopfhörer werden, desto höher werden natürlich auch die Ansprüche an die Verstärkung. Beyerdynamic hat dieser Tatsache mit einem eigenen Kopfhörer-Amp Ausdruck verliehen, bei Sennheiser ist es noch nicht so weit. Allerdings steht im Handbuch des HD 800, dass der Kopfhörer an einem dedizierten Kopfhörerverstärker betrieben werden sollte. Ich finde, es ist durchaus löblich, dies bei solch einem hochpreisigen Produkt auch einmal explizit zu erwähnen – es zeigt, wofür der HD 800 entwickelt wurde.
Dabei bleibt der Sennheiser HD 800 – ganz im Gegensatz zur immer häufiger anzutreffenden niederohmigen Konkurrenz – weiterhin bei den klassischen 300Ohm. Dieser Kopfhörer ist nicht für MP3-Player und PC bestimmt, was man auch am konsequenterweise fehlenden 6,3mm auf 3,5mm-Klinkenadapter sieht.
Den bisherigen Sennheiser-Spitzenmodellen (ebenfalls 300Ohm) sagte man nach, dass sie sehr gut mit dem angeschlossenen Equipment skalieren. Und auch der HD 800 reagiert signifikant auf verbesserte Verstärkung – er gewinnt deutlich an Präzision. Dies ist sicher der erhöhten Kontrolle über die 53mm Treiber zu verdanken. Noch drastischer ist der Unterschied in Sachen Bühnendarstellung – diese wird erst mit entsprechender Verstärkung wirklich zusammenhängend und überzeugend präsentiert. Gerade bei solch kritischen Punkten merkt man, dass der HD 800 an einen Kopfhörerverstärker gehört.
Test: Sennheiser HD 800 | Kopfhörer