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Inhaltsverzeichnis

  1. 1 Musik + Modul
  2. 2 Sehring S903: Klangtest & Vergleiche

fairaudio's favourite Award 202130 Jahre und ein bisschen leise. Ja, „Sehring Audio Systeme“ (https://sehring-audio.com) baut zwar seit schlappen drei Dekaden Lautsprecher – und sonst (fast) gar nichts –, ist marketingseitig aber eher ein Leisesprecher. Selbst der Relaunch des Internetauftritts ließ, ausgehend vom Marktstart der neuen 9er-Serie, tiefenentspannte fünf Jahre auf sich warten. Gut gelungen ist die Page allerdings schon, spielen Sie einfach mal ein wenig mit dem Konfigurator rum, das ist schon ziemlich cool. Vielleicht steht die Website sogar sinnbildlich für das Schaffen von Stefan Sehring, dem Technik & Ton ganz offensichtlich über BWL & Businesspläne gehen.

Sehring S903 Lautsprecher - Schallwand Detail

Die Modulbauweise ist Kennzeichen aller Sehring-Lautsprecher – ebenso wie die hochwertigen, sehr ansehnlichen und robusten Oberflächen. Der Farbkombinationen sind kaum Grenzen gesetzt

Konfigurator? 14 Mitglieder zählt die Sehring’sche Großfamilie aktuell. Jeder Lautsprecher lässt sich dank Modulbauweise selbst viele Jahre nach dem Kauf aufs nächstgrößere Modell upgraden. Inserate in Gebrauchtbörsen und komplette Neukäufe werden dadurch obsolet – zumindest, wenn man der Berliner Marke treu bleibt. Auch mit optionalen Features wie Bodenplatten, Metalltraversen oder höherwertigen Terminals lassen sich der Praxistauglichkeit und dem Klang stante pede oder ebenfalls peu à peu auf die Sprünge helfen.

Zum Test geladen ist ein Pärchen Sehring S903 (ab 9.350 Euro, Testmodell: 10.650 Euro). Der viertgrößte Lautsprecher im Sehringportfolio ist für mich als ehemaliger S703-Besitzer so etwas wie der Klassiker. Für einen klanglich ausgewachsenen – darauf kommen wir noch genau zu sprechen – Standlautsprecher gleichwohl eher klein: Ohne optionale Bodenplatten keinen Meter hoch (das Testmodell wurde im Nachgang mit zwei Bodenplatten „gestreckt“) und gerade einen Viertelmeter breit und tief, ist die S903 eher Stumpen als Statement.

Aber ein so ziemlich attraktiver: Mir jedenfalls gefallen die eigenständigen Proportionen, insbesondere die reduzierte Tiefe sowie die Gehäusefugen und die sich dadurch ermöglichenden Farbkombinationen. Auch bei den unterschiedlichsten Besuchern, die während der letzten Wochen in meinem Hörraum aufschlugen, ging regelmäßig der Daumen hoch. Der Neuköllner Stumpen avancierte gar zum ausgemachten Frauenschwarm. Wenn da mal nicht Parallelen zu „Deutschlands meister Band der Welt“ aka Knorkator aufkommen.

Sehring S903 Lautsprecher von vorne

Unser Testmodell der Sehring S903 kommt mit zwei optionalen Bodenplatten und Traversen. Die Füße stammen hingegen von Audioplan (Antispikes)

Noch wichtiger als Sexysein ist Stefan Sehring der Sound: Der dritte Vorteil der Modulbauweise läge denn auch darin, dass „störende Interferenzen zwischen den resonanzoptimierten Baugruppen wirkungsvoll vermieden“ würden – trotz eher moderater Gehäusestärken von unter zwei Zentimetern. Die in der eigenen Schreinerei gefertigten Gehäuselabyrinthe gehören zum komplexesten, was ich kenne: Sehring spricht hier stolz vom „Multi Chambers System“. Und klar bekommt auch die freiverdrahtete Frequenzweiche ihr eigenes Zimmerchen – direkt hinter der Mitten-Hochton-Einheit. Die Qualität eines Lautsprechergehäuses nimmt signifikant Einfluss aufs Klangergebnis – das weiß jeder. Gleichwohl könnten die Lösungswege, die die Entwickler beispielsweise bei meinen unbedämpfteren, gezielt resonierenden Spendor D9 und den so ziemlich „toten“ Gehäusen der Sehring 903 eingeschlagen haben, unterschiedlicher kaum sein. Viele Wege führen nach Rom, sind akustisch gleichwohl relevant, wie wir noch hören werden.

Frappierend flexibel

Sehring S903 Lautsprecher - Schalter zur Pegeleinstellung Bass, Mitten, Hochton

Bei der Sehring S903 lassen sich Dämpfungsfaktor, Mitten und Hochton mittels Knebelschaltern feintunen

„Multi“ sind bei den Sehring S903 aber nicht nur die Chambers, sondern auch die Soundsettings: Von den von der Standardeinstellungen abweichenden Widerständen, die der Fachhändler flugs in die Frequenzweiche integrieren kann, falls dies eine schwierige Raumakustik oder besondere Geschmäcker fordern, will ich erst gar nicht reden. Von den drei Knebelschaltern mit insgesamt 27 Kombinationsmöglichkeiten und dem stufenlos regelbaren Potenziometer auf der Rückseite einer jeden 903 hingegen schon: Der Hochtonknebel (drei 1-dB-Schritte) bedient ausschließlich den Superhochton und greift ziemlich weit oben ab 10 kHz ein. Damit lässt sich quasi die Luftigkeit, die „unterschwellige Frische“, regeln. Der Mittenknebel zielt auf den Bereich zwischen den beiden Trennfrequenzen (300 Hz und 3100 Hz, Trennung mit 12dB pro Oktave) des Dreiwegesystems und lässt ebenfalls eine Einstellung in drei 1-dB-Schritten zu. Interessant ist hier nicht zuletzt der Einfluss auf die Räumlichkeit der Wiedergabe, spielt man mit diesem Schalter. Der dritte Knebel zielt auf den Dämpfungsfaktor und den Bereich ab 300 Hz aufwärts ab. Er steuert die Steilflankigkeit von Impulsen, das Klangbild mutet entweder knackiger, gefühlt frischer oder etwas runder, gefühlt wärmer an.

Ich habe während des Testzeitraums intensiv mit den Schaltern experimentiert, insbesondere während der Einspielphase. Die S903 tönen anfänglich nämlich durchaus recht „bassig“, was sich zunehmend legt. Nach der grob um 200 Stunden währenden Einspielphase gefällt mir die Neutralstellung (alle Knebel nach links) am besten.

Build your Bass

Sehring S903 Lautsprecher - Pegelsteller für Tiefton

Der rückseitige Drehregler an der Sehring S903 dient zur Regelung der Passivmembran

Mit dem unterhalb der drei Schalter positionierten Drehregler, der mit einem Wertebereich von 0 bis 100 skaliert ist, bieten die Sehring S903 ihrem Eigner einen weiteren Spielplatz: Das zugrundeliegende Potenziometer arbeitet logarithmisch, die Skala dient nur der Orientierung, bezieht sich also auf keine feste Einheit. Doch was lässt sich hier regeln?

Holen wir etwas aus: Der unterste Treiber auf der Schallwand ist ein sogenannter Passivtreiber, der ohne Verbindung zur Frequenzweiche arbeitet und salopp ausgedrückt schlichtweg ein Bassreflexrohr ersetzt. Das Funktionsprinzip – Stichwort: Helmholtzresonator – ist aber das gleiche (falls Sie das näher interessiert: Funktionsweise eines Bassreflexsystems). Der Antrieb der 22-cm-Passivmembran erfolgt also durch den darüberliegenden „normalen“ Basstreiber, vermittelt über die Federwirkung des gemeinsamen Luftvolumens. Rein mechanisch also. Die Vermeidung von unerwünschten Mitteltonanteilen und Strömungsgeräuschen, mithin von Verzerrungen, werden gegenüber herkömmlichen Bassreflexsystemen gemeinhin als Vorzüge ins Feld geführt.

Zurück zur Regelung: Das parallel geschaltete Poti wirkt auf den Passivtreiber im Grunde wie die Last auf einen Generator. Die Reglerposition „0“ käme dabei einem Kurzschluss gleich (maximale Last), „100“ entspricht 50 Ohm, dreht man bis zum Anschlag über die „100“ hinaus, erhält man einen offenen Schalter (unendlich hoher Widerstand ≙ minimale Last).

Sehring S903 Lautsprecher - Passivmembran

Der Passivtreiber der Sehring S903

Lange Technikrede, kurzer Hörsinn: Höhere Werte lassen die Passivmembran freier schwingen, führen zu einer Pegelanhebung der Resonanzfrequenz sowie mehr Tiefgang und – vor allen Dingen im Bereich unter 50 Hz – mehr Bassdruck. Sehring empfiehlt Werte unter 100 nur bei wandnaher Aufstellung, ich selbst empfinde in meinem eigentlich bassunkritischen Hörraum und einem Wandabstand von über einem Meter die Stellung „70“ am stimmigsten, aber das ist nicht zuletzt auch Geschmacksache.

Noch ein Spielplatz

Ach, einen weiteren Spielplatz hätte ich fast vergessen: Der Dom der Passivmembran lässt sich abschrauben, mittels der sodann zutage tretenden Metallscheiben kann man die Schwungmasse des Passivtreibers ändern. Eine geringere Masse führt zu einer höheren Resonanzfrequenz (Werte zwischen 21 bis 27 Hz sind möglich), also zu weniger Tiefgang und entsprechend mehr Druck in der nächsthöheren Bassetage. Tipp: Hier erst mal alles im Auslieferungszustand belassen und dann nach einigen Monaten an einem ruhigen, regnerischen Sonntag bei lecker Kaffee das letzte Feintuning betreiben. Wechseln Sie nicht mehr als zwei Scheiben für einen erneuten Hördurchgang.

Kurzes Zwischenfazit

Sehring S903 Lautsprecher - Basstreiber

Klar, eine Sehring S903 klingt grundsätzlich wie eine Sehring S903 – der generellen Soundcharakteristik widmen wir uns weiter unten noch ausführlich –, daran ändern auch die umfangreichen Regelmöglichkeiten nichts. Dennoch sind sie für einen Passivlautsprecher ebenso ungewöhnlich wie superpraktisch: Während die Knebelschalter eher der Feinannäherung ans persönliche Hörgusto oder dem Verstärker dienen und so nicht zuletzt den einen oder anderen Zubehörkauf obsolet machen, lässt sich bassseitig insbesondere aufstellungsbedingten beziehungsweise raumakustischen Problemen hörbar entgegen wirken. Das ist schon einen kleinen Zwischenapplaus wert.

Apropos Raum: Sehring empfiehlt die S903 ab 25 Quadratmetern aufwärts. Was aufgrund der Regelmöglichkeiten bestimmt prima funktioniert. Meine Empfehlung lautet dennoch: Gönnen Sie den S903 am besten mindestens 30 Quadratmeter Auslauf – und kaufen Sie sich keinen „großen“ Lautsprecher, um ihn für einen „kleinen“ Raum herunterzuregeln. Mit den S901 und M901 werden von Sehring zwei kostengünstigere Lösungen für kleinere Räume angeboten, die bei Bedarf jederzeit zur S903 upgegradet werden können. Das ist ja gerade Sinn und Zweck des Modulsystems …

Gut bestückt: die Treiber

Sehring S903 Lautsprecher - Papiermembran

Der Mitteltöner der Sehring S903 kommt mit einer Membran aus geschöpftem Papier

Passivmembran, Knebel und Potis hin oder her – die eigentliche Fleißarbeit verrichten immer noch die motorisierten Treiber. Widmen wir uns also auch diesen noch kurz: Stefan Sehring ist Fan von Wavecor, einem in China ansässigen Hersteller, der vom ursprünglich aus Dänemark stammenden Allan Isaksen geführt wird. Der 22 cm-Tieftöner wird in der Sehring-Werkstatt zusätzlich beschwert, kommt mit extralanger Schwingspule und mutet auch dank Aluminiummembran recht massig an. Pegelfestigkeit, Tiefgang und – bei Sehring stets ganz oben im Pflichtenheft – Verzerrungsarmut seien auf der Habenseite zu verbuchen, so die Berliner. Der 15-cm-Mitteltöner kommt hingegen mit einer Membran aus geschöpftem Papier, die von Sehring in Sickennähe zusätzlich beschichtet wird, auch hierbei steht das Thema Verzerrungsminimierung im Vordergrund.

Der Ringradiator für den Hochton stammt hingegen von Peerless, wird von Sehring in Phaseplugnähe ebenfalls zusätzlich beschichtet und kommt bauartbedingt mit einem eigenen Volumen, arbeitet aber in der gleichen Gehäusekammer wie der Mitteltöner. Entscheidend sei, so Stefan Sehring, dass der Hochtöner nicht nur einfach verschraubt, sondern zusätzlich „verspannt“, sprich mittels einer hinter dem Treiber befindlichen Vorrichtung fest ans Gehäuse gedrückt werde. Übrigens: Auch der Mitteltöner erfährt eine Verspannung, allerdings mit einer gegen die Schrauben gerichteten Kraft. Der Lohn des mechanischen Aufwandes sei laut Sehring nicht zuletzt abermals eine weitergehende Verzerrungsminimierung, insbesondere aber Impulstreue.

Sehring S903 Lautsprecher - Treiberselektion

Die Treiber der Sehring S903 werden vor dem Einbau in Selektionsgruppen eingeteilt

Zu den Grundtugenden eines jeden Sehring-Lautsprecherpaares gehören seit jeher geringe Kanalabweichungen: Hierfür werden zunächst alle in der Werkstatt eintreffenden Treiber vorselektiert, gegebenenfalls nachbehandelt (auch die erwähnten Gewichte an den Basstreiber spielen hier mit rein) und schließlich in verschiedene, homogene Gruppen einsortiert. Beim Bau eines Lautsprecherpaares bedient man sich je Treiberpaar aus einer dieser Gruppen. Schlussendlich erreiche man so eine Abweichung von maximal 0,3 dB innerhalb eines ausgelieferten Lautsprecherpaares, verspricht Sehring.

Sehring S903: Klangtest & Vergleiche

Sehring S903 Lautsprecher im Hööraum

Den ersten Kontakt mit Sehring-Lautsprechern hatte ich vor gut zwanzig Jahren, eine noch aus der alten Serie stammende S703 hatte ich mir sogar mal gekauft – und einige Jahre so ziemlich zufrieden besessen, bis sie einer deutlich teureren Thiel CS 3.7 wich. Ich würde behaupten, es gibt typische Klangeigenschaften, die einen Sehring-Lautsprecher kennzeichnen und mir bei der S903 besonders positiv ins Ohr fallen. Ich lehne mich sogar so weit aus dem Fenster, in dieser Sache von einem echten „Ausnahmetalent“ zu sprechen:

Denn nicht nur mir, sondern auch jedem anderem, der sich während der letzten Monate in meinem Hörraum vor die Sehring S903 setze, fiel eines im Grunde immer zuerst auf: Die Reinheit, die Klarheit, die von diesen Lautsprechern ausgehen. Was nicht die Bohne mit unangenehmer Analytik oder Strenge zu tun hat. Die S903 tönen einerseits sehr detailliert und transparent, provozieren aber in keiner Weise Zischelei oder Härten. Im Grunde genommen könnte man das Pferd ebenso umgekehrt aufzäumen: Die Sehring S903 liefern einen geschmeidigen, ja: irgendwie eingängig-süffigen Ton, ohne abgesoftet oder aufgesetzt „schön“ zu klingen.

Horizons-Rapture - The Physics House BandKonkret führt das etwa dazu, dass der vorlaute, fulminant aus beiden Kanälen zischelnde Becken- und Hi-Hat-Einsatz in „Obeliskmonolith“ von The Physics House Band (Album: Horizons / Rapture auf Amazon anhören) zwar ordentlich schallert, aber nicht stresst. Zudem werden die nicht nur von der Bronzeabteilung des Schlagzeugs, sondern auch von präsenten Orgelklängen flankierten Toms extrem sauber und mit zackiger Attack herausgearbeitet. Selbst in der Gemengelage fast absaufende Obertöne vereinzelter Snares reichen die 903 eindeutig definiert durch.

Unverstellt

Und, na klar: Auch highendige Aufnahmen profitieren von dieser besonderen Stärke der Berliner, nicht zuletzt aufgrund der klaren Sicht auf Klangfarben und der damit verbundenen organischen Mittenwiedergabe: Clair Obscurs Album Antigone gehört zu den unverstelltesten Aufnahmen, die ich kenne, und wartet mit sehr unmittelbar eingefangenen Instrumenten wie Geige, Bratsche, Flöte, Klarinette oder Handtrommeln etc. auf. Das Wörtchen „unverstellt“ passt mit Blick auf die Sehring S903 ebenfalls wie die Faust aufs Auge. Die resultierende Authentizität des Gebotenen ist absolut faszinierend: Hut ab, liebe Tontechniker, Hut ab, werte Sehring-Entwickler.

alt-J_An_Awesome_WaveAuch im Umgang mit – zumindest für meine Ohren – „schwierigen“ Sibilanten verdienen sich die Sehring S903 Lob: Bei „Matilda“ von Alt-J (Album: An Awesome Wave; auf Amazon anhören) zischelt Sänger Joe Newman verschiedentliche S-laute schon recht vorwitzig auf die Gesangsspur. Die S903 neigen hier weder zum Rundlutschen (die Sehring S703 tendierte in diese Richtung) noch zum Ausfransen. Aber ebenso wenig zum Scharfzeichnen (wie das etwa meine Thiel CS 3.7 gerne taten). Die Sibilanten werden von den Berlinern vielmehr so in Szene gesetzt, dass sie zwar markant, aber gleichzeitig unaufgesetzt wirken. Obwohl deutlich wahrnehmbar, könnte man sie glatt überhören, richtete man die Aufmerksamkeit nicht unmittelbar auf sie.

Hand in Hand

Sehring S903 Lautsprecher - Frequenzweiche für den Mittelhochton

Die handverdrahtete Frequenzweiche für den Mittelhochton, im Bassteil der Sehring S903 steckt eine zweite Weiche

Ja, die Sehring sind ein extrem gutes Beispiel dafür, dass stressfreies Hören und hohe Auflösung samt flinker Feindynamik kein Widerspruch sein müssen, sondern liebend gerne Hand in Hand gehen. Viele Hörer kennen den Effekt: Beseitige ich Störeinflüsse, nehmen Langzeittauglichkeit, Präzision und Feindynamik meist gleichermaßen zu, so nicht selten beispielsweise beim Einsatz von guten Netzfiltern zu hören. Kurz zum Vergleich: Meine Spendor D9 (um 9.500 Euro), die für meinen subjektiven Hörgeschmack zum leckersten zählen, was bisher lautsprecherseitig meinen Hörraum beehrte, empfinde ich ebenfalls als uneingeschränkt langzeittauglich und detailliert. Gleichwohl muten einzelne Töne und Instrumente sowie unterschwellig das gesamte Klangbild weniger fokussiert, ja: diffuser an. Auch Klangfarben verlieren gegenüber den Sehring S903 an Klarheit. Die D9 sind absolut faszinierende, sehr lebendige Lautsprecher, aber in Sachen Verzerrungsarmut eindeutig lässiger unterwegs als die S903.

Bühnentalent

Sehring S903 Lautsprecher - Mitteltöner-Membran

Dass die S903 räumlich kompetent zur Sache gehen, stand nach meinen bisherigen Erfahrungen mit Sehring-Lautsprechern zu erwarten. Ich will mich daher gar nicht lange mit Pflichtübungen und grundlegenden Beschreibungen aufhalten: Ortungsschärfe, die Loslösung des Klangbildes von den Lautsprechern und die Dimensionierung sowohl einzelner Instrumente als auch der gesamten virtuellen Bühne sind ohne Fehl und Tadel. Extrapunkte vergebe ich subjektiv (ich weiß, das ist Geschmacksache) für das sich schön vereinnahmend Richtung Hörplatz öffnende Klangbild, ich mag das einfach. Das eigentliche Pfund, mit dem die Sehring S903 aber subjektiv wie objektiv wuchern: die Luft, der schwarze Freiraum um einzelne Instrumente. Nicht nur dass dieses Talent die klangfarblichen Kontraste von Instrumenten und Stimmen befördert. Es sorgt gleichzeitig dafür, dass – wenn die Aufnahme und die vorgeschaltete Elektronik es hergeben – Instrumente und Stimmen besonders plastisch und greifbar erscheinen:

SUMAC and Keiji HainoWenn ein renommierter Sludge-Post-Metal-Gitarrist, Aaron Turner, und ein altgedienter japanischer Multi-Instrumentalist, Keiji Haino, gemeinsam Musik machen, kann dabei eigentlich nur Spezielles herauskommen: Nennen wir es mal eine besondere Form von Jazz. Addiert man die Sehring S903, wird es noch besonderer: Das großformatig aufgenommene und von den 903 livehaftig (sorry fürs abgenudelte Wort, es trifft’s hier einfach) transportierte Schlagzeug vermittelt mir beinahe das Gefühl, selbst vorm Drumset zu sitzen. Nur halt spiegelverkehrt. Die spärlichen Gitarrentöne lassen einzelne Saiten vorm geistigen Auge erscheinen und mich gemeinsam mit Aaron Turner zum Tremolo greifen. Flöte und Taepyeongso (klingt ein bisschen wie ein Dudelsack) schweben wie von sicherer Geisterhand gehalten über und mitten im Geschehen. „Interior Interior Interior Interior – Space – Disgusting Disgusting Disgusting“ von Keiji Haino + Sumac ist ein auf den ersten Blick eher schleppender, sperriger Song, der einen auf mittelmäßigen Anlagen bestimmt kalt lässt, mit hochwertigen Ketten aber eine fast hypnotische Sogwirkung entfacht. Großes, schräges Kino!

Nachgedacht

Sehring S903 Lautsprecher - Mundorf-Terminal

Das Reinkupfer-Terminal der Sehring S903 stammt von Mundorf

Ja, um hier Vergleichbares zu finden, muss ich schon länger nachdenken. Die klanglich vorzüglichen, sehr musikdienlichen Quadral Aurum Gamma waren räumlich ebenfalls ohne Fehl und Tadel, diese „Griffigkeit“ einzelner Instrumente boten sie aber nicht. Meine geschätzten Spendor D9 bieten ebenfalls eine involvierende Räumlichkeit, aber nicht diese klaren Kontraste, diesen unverstellten Blick auf die virtuellen Instrumentenkörper. Aber genau: Die AudioSolutions Virtuoso M (23.000 Euro) sind vom ähnlichen Schlage wie die Sehring S903. Interessanterweise kommen auch sie mit einer überaus aufwändigen Gehäusekonstruktion (Box-in-Box-Konzept) und weitergehenden Klangeinstellungsmöglichkeiten. In Sachen Verzerrungsarmut/Reinheit und mithin authentischer Klangfarbendarstellung sowie packend-realistischer Bühnenabbildung zählen sie mit zum besten, was bisher in meinen Hörraum kam. Die Virtuoso M stehen mir aktuell nicht für einen direkten A/B-Vergleich zur Verfügung. Bitte nageln Sie mich daher nicht auf die letzten Prozentpünktchen fest – aber: Dass die Virtuoso M und die S903 hier zumindest in der gleichen Liga spielen, lässt sich schon seriös sagen.

Obenrum

Sehring S903 Lautsprecher - Hochtöner: Ringradiator

Der Peerless-Ringradiator der Sehring S903

Wenn es Vilnius versus Berlin hieße, würden die Litauer das Match wohl am ehesten aufgrund des Hochtons entscheiden. Wobei: In Sachen Langzeittauglichkeit sowie Definiertheit läuft es zunächst wohl auf Unentschieden hinaus. Beide Teams glänzen nämlich damit, gänzlich unaffektiert selbst zackigste Transienten unmissverständlich fokussiert herauszuarbeiten. In Sachen Luftigkeit und allerletzter Glanz machen die Virtuoso M aber letztlich doch Punkte, die S903 tönen etwas bedeckter. Auch meine Spendor D9 gehen luftiger und flirrender zur Sache – eh eine ihrer besonderen Stärken –, lassen gegenüber den Sehring aber an anderer Stelle Federn: Die saubere Eingefasstheit, den klaren Fokus von Hochtonereignissen bieten sie mit ihrer etwas diffuseren Charakteristik nicht.

Stumpen, die überraschen …

Eine Überraschung haben unsere Berliner Stumpen aber noch in petto: Bassdruck, Tiefgang, Grobdynamik und Pegelfestigkeit stehen denen von den richtig großen Jungs in Nichts nach. Meine ebenfalls eher grazil gebauten Spendor D9 streichen insbesondere grobdynamisch wesentlich früher die Segel, die AudioSolutions Virtuoso sind in Sachen Tiefgang limitierter als die Sehring S903. Okay, das PA-Feeling, das immersive Basserlebnis der Nubert nuVero 170 (die dafür in Sachen Reinheit und Kohärenz das Nachsehen haben) liefern die S903 nicht.

Aber: Egal, ob lauter, treibender Schmuddel-Mathrock, ultratiefe Bassflächen oder extrem trocken arrangierte Beats: Quantitativ (zumal sich die S903 tonal von „etwas schlanker“ bis durchaus „vollmundig“ regeln lassen) und vor allen Dingen qualitativ sollten auch anspruchsvolle Bassheads auf ihre Kosten kommen. Die konkreten Hörbeispiele: The Jesus Lizard / Goat (Kult, absolute Empfehlung!!), Burial / Etched Headplate und Dive / Concrete Jungle.

Sehring Audio

Schnappschus aus der Werkstatt von Sehring Audio

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Test: Sehring Audio S903 | Standlautsprecher

  1. 1 Musik + Modul
  2. 2 Sehring S903: Klangtest & Vergleiche

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