Inhaltsverzeichnis
Oktober 2014 / Martin Mertens
Manchmal kommt man einfach schwer zusammen. Ich meine, man selbst und das Audio-Equipment, das einen interessiert. Entweder gibt es in erreichbarer Nähe keine Möglichkeit, das potenzielle Objekt der Begierde zu hören, oder es stehen andere Gründe dazwischen. Toll, dass man sich als HiFi-Tester Komponenten einfach nach Hause kommen lassen kann. Und das habe ich im Fall der Progressive Audio Extreme I gemacht.
Der Grund, warum die Extreme I und ich bis dato nicht so richtig zusammengefunden hatten, lag allerdings nicht an mangelnder Gelegenheit. Die hätte es auf den Norddeutschen HiFi-Tagen und auf der High End 2014 schon gegeben. Allerdings ist Ralf Koenen (www.progressiveaudio.de), der die Extreme I entwickelt hat, leidenschaftlicher Opern-Fan. Gerne führt er seine Preziosen mit entsprechender Musik vor. Und ich verlasse fluchtartig den Raum, wenn irgendwo ein Koloratursopran ertönt. Doch selbst die im wahrsten Sinne des Wortes flüchtigen Eindrucke, die ich von den Extreme I bei besagten Events mitgenommen hatte, waren großartig. Auch hier im Wortsinne: Die mit 190 x 400 x 350 Millimeter (BxHxT) verhältnismäßig kleinen Lautsprecher hatten es nämlich verstanden, die jeweiligen Räume mit einer dermaßen unglaublichen Souveränität mit Musik zu füllen, dass ich unbedingt mehr über sie und ihren Schöpfer wissen wollte.
Ein bisschen musste ich die Herren von fairaudio schon drängen, bis sie Kontakt zu der kleinen aber sehr gut beleumundeten Manufaktur von Ralf Koenen in Essen-Kettwig aufnahmen. Progressive Audio, so der Name der Koenen’schen HiFi-Firma, wurde 1995 gegründet. Alle seitdem von Progressive Audio vorgestellten HiFi-Komponenten – seien es zum Beispiel die Lautsprechermodelle Elise oder Pearl, die Vollverstärker A1 und A2 oder die CD-Player CD 1 und CD 2 – fanden regen Anklang, sowohl in der Fachpresse als auch bei einer ausreichend betuchten Käuferschaft.
Betucht deshalb, weil Komponenten, die Koenen baut, leider nicht ganz billig sind. Bis zur Einführung der Extreme I war kein Lautsprecher von Progressive Audio unter rund 10 kEuro zu bekommen. Außer vielleicht mal ein Vorführmodell oder ein Rückläufer mit optischen Mängeln. Die Nachfrage nach solchen Einzelstücken war letztendlich wohl so hoch, dass Herr Koenen beschloss, ein Lautsprechermodell für Musikliebhaber anzubieten, die nicht so viel Geld für Boxen ausgeben können. Der „übliche“ Weg, einfach eine abgespeckte Version eines Erfolgsmodells anzubieten und dabei preisbedingte Kompromisse einzugehen, gefiel Herrn Koenen aber gar nicht. Klar, eine Elise, die anstelle im aufwendigen Acrylgehäuse in einer einfachen Behausung aus Spanplatte daherkäme, wäre bestimmt für unter 10.000 Euro das Paar zu machen gewesen. Aber das hätte irgendwie einen Verrat an den eigenen Überzeugungen bedeutet. Und zu denen gehört nun mal unter anderem, dass Acryl das bessere Gehäusematerial ist. Für dererlei Kompromisse war Herr Koenen nicht zu haben.
Dann lieber eine komplette Neuentwicklung. Die Extreme I ist deshalb ein vollwertiger Progressive-Audio-Lautsprecher geworden – zu einem Preis von rund 4.000 Euro. Wie ist das möglich? Nun, nach eigenem Bekunden verspricht sich Herr Koenen in diesem Preissegment eine höhere Absatzmenge, und die ermögliche schon mal eine kostengünstigere Produktion. Dann hätte es da dieses Lautsprecherchassis gegeben, mit dem er schon länger geliebäugelt habe: den 16 Zentimeter messenden Koaxial-Treiber aus der Excel-Serie von Seas.
Den 18-cm-Koax aus der Prestige Serie findet man ja in einigen sehr hochwertigen Lautsprechern – etwa in der C-Serie des deutschen Herstellers Ascendo (siehe den Testbericht der Ascendo C6 oder der C8 Renaissance) oder auch beim amerikanischen High-End-Hersteller von Schweikert. Die Koaxe der höherwertigen Excel-Serie sieht man dagegen seltener. Koenen verbaut in der Extreme I nicht das Serienchassis, sondern bezieht von den Norwegern eine spezielle, nach seinen Spezifikationen modifizierte Version – was natürlich nur bei einer größeren Abnahmemenge zu vertretbaren Preisen möglich sei.
Und wie erreicht man das? Auch darauf hat Koenen eine Antwort: Sie muss einfach überzeugend klingen. Um dies zuwege zu bringen, hat Koenen zwei Aspekten besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
Der erste Aspekt sei, dass Menschen, die Lautsprecher in einem – für die Verhältnisse von Progressive Audio – preiswerten Segment kaufen, keine höherpreisigen Verstärker einsetzen würden; Koenens eigene Verstärker seien damit aus dem Rennen. Deshalb stand es ganz oben im Pflichtenheft, dass die Extreme I elektrisch einfach zu treiben sein sollen, damit sie möglichst an allen, auch günstigeren Amps, ihr volles Potenzial ausspielten.
Dank einer aufwändigen Frequenzweiche habe er es geschafft, dass die Extreme I über den gesamten Frequenzbereich eine Impedanz von 4 Ohm aufweisen. Und zwar ohne ein parallel zur Weiche geschaltetes R-C-L-Glied (ein Korrekturnetzwerk aus einem Widerstand (R), einem Kondensator (C) und einer Spule (L)), was seiner Meinung nach Dynamik koste. Dank der linearen Impedanz soll sich die Extreme I mit so gut wie allen Verstärkern exzellent verstehen und besten Klang gewährleisten.
Als zweiten Aspekt führt Koenen an, dass sich die Extreme I mit möglichst vielen Hörräumen verstehen soll, dass sie also möglichst unempfindlich auf Raumakustik und Aufstellung reagiere. Hier hält er eine saubere Impulsantwort und die richtige Phasenbeziehung zwischen Hochtöner und Tiefmitteltöner für entscheidend. Selbstverständlich ist ihm auch ein linearer Frequenzgang wichtig, der aber nur an zweiter Stelle. Auch hier will er dem Koax durch die Frequenzweiche perfekte Manieren anerzogen haben.
Dass als Gehäusematerial Acryl zum Einsatz kommt, war natürlich gesetzt. Koenen baut auf die höhere innere Dämpfung, die das Materials bei tiefen Frequenzen aufweise. Dadurch könne man viel effektiver unerwünschte Schwingungen kontrollieren als mit MDF oder Spanplatte. Das Gehäuse der Extreme I besteht aus lediglich 10 mm starkem Acryl. Eine Versteifung im Inneren gibt dem Ganzen zusätzliche Stabilität. Ihre Position sei messtechnisch ermittelt worden, sodass das Gehäuse optimale Dämpfungseigenschaften aufweise.
Auch die Versteifung im Inneren der Box besteht aus Acryl
Was gibt es sonst noch über die Extreme zu berichten? Nun, die Bassreflexöffnung befindet sich auf der Rückseite. Sie hat einen recht großen Durchmesser und der Rand ist strömungsgünstig verrundet. Dann gibt es auf der Rückseite noch einen Schalter, mit dem der Hochtonbereich um ein Dezibel angehoben werden kann – mehr braucht es nach Meinung von Koenen in stark bedämpften Umgebungen nicht. Das Anschlussterminal (monowiring) kommt von Furutech – kein Wunder, da Koenen mit seinem zweiten Standbein, der Progressive Audio Distribution, kurz Padis, unter anderem den Deutschlandvertrieb der japanischen Edelmarke übernommen hat. Ansonsten bietet Progressive Audio noch passende, 60 cm hohe Lautsprecherständer für die Extreme I. Die sind ebenfalls aus Acryl gefertigt und sehen in Kombination mit den Lautsprechern edel aus. Allerdings macht Ralf Koenen mir gegenüber keine Philosophie daraus und lässt so gut wie alle soliden Ständer gelten. Auf meinen Lovan Stands stehen die Lautsprecher zwar etwas zu hoch – dafür bemüßige ich mich ausgleichend einer ausgesprochen aufrechten Sitzhaltung auf dem Sofa.
Dass die Sache mit den hohen Stückzahlen offensichtlich klappt, zeigt übrigens die Tatsache, dass wir kein aktuelles Serienmodell zum Test bekommen konnten – alles ausverkauft und auf längere Sicht vorbestellt. Also haben wir zum Test ein Exemplar bekommen, das mit dem Serienmodell absolut identisch ist, mit einer Ausnahme: Der Reduzierring um das Chassis rührt von Versuchen mit einem größeren Treiber. Den gibt es bei den Serienmodellen nicht.
So schaut das Serienmodell aus
Jetzt aber genug der Theorie. Schließlich gehört es bei fairaudio zum Konzept, sich für das Wesentliche zu interessieren. Und das ist schlicht die Frage, wie es klingt. Ich nehme an, wenn ich jetzt schreibe „super“ und einfach weiter Musik höre, sind Sie mir böse …
Test: Progressive Audio Extreme I | Kompaktlautsprecher