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Frank Hakopians / Mai 2015
Was ist nicht schon alles über Aktivlautsprecher geschrieben worden. Die vielen leidigen Scheingefechte und endlos geführten Diskussionen in diversen Foren und Publikationen dürften allmählich auch auf die Gemüter der strapazierfähigsten Zeitgenossen drücken. Die einen werden nicht müde, kurze Signalwege zu loben und komplexe Frequenzweichen zu verteufeln. Für die anderen vibriert die empfindliche Elektronik im Lautsprechergehäuse munter im Takt der Musik. Und was ist mit dem Recht auf freie Verstärkerwahl?
Dabei ist es doch eigentlich ganz einfach, zumindest wenn man sich beim Essener Hersteller Progressive Audio (www.progressiveaudio.de) umsieht. Der nimmt die Sache sportlich und bietet seine Lautsprecher aus der Extreme-Serie gleich in beiden Bauarten an. Die passive Version der kleineren Extreme 1 hat dem Kollegen Martin Mertens erst unlängst einigen Respekt abgenötigt und seine ehrwürdigen Speaker von Musikelektronik Geithain in arge Bedrängnis gebracht.
Obwohl Progressive Audio selbst ziemlich amtliche Vollverstärker im Programm führt, macht Firmeneigner und Mastermind Ralf Koenen keinen Hehl aus seiner Vorliebe für die aktiven Varianten. Mit denen, so argumentiert der Entwickler, könne er maximale Kontrolle über alle Parameter im Signalweg ausüben. Auch arbeitet eine den Endstufen vorgeschaltete aktive Frequenzweiche um Größenordnungen weniger verlustbehaftet als ihr passives Pendant. Er gibt aber zu bedenken, dass sich der Aufwand klanglich nur auszahlt, wenn auf klassische Verstärkertechnik zurückgegriffen werde. Tatsächlich kann Ralf Koenen den häufig zur Aktivierung eingesetzten Modulen in Class-D-Technik herzlich wenig abgewinnen, weshalb er sich auch entschied, ungleich teurere Verstärker aus eigenem Hause einzusetzen. Wer dem Braten nicht traut, kann sogar erst die passive Ausgabe erwerben und zu einem späteren Zeitpunkt ein Upgrade auf die aktive Version vornehmen.
Nachdem Progressive Audio mit der kompakten Extreme 1 gestartet ist, folgt der entsprechende Nachschlag in Form einer größeren Schwester, welche folgerichtig auf den Namen Extreme 2 hört. Die Neue ist ein Standlautsprecher mit einer lichten Höhe von überschaubaren 102 Zentimetern. Dabei fällt die Front genauso breit aus, wie die der Extreme 1. So darf sich auch die Extreme 2 das Etikett „ausgesprochen wohnraumfreundlich“ ans Revers heften.
Das war freilich nicht das primäre Ziel bei der Entwicklung und wer Ralf Koenen ein wenig kennt, weiß, dass es dem erfahrenen Entwickler mit nachrichtentechnischem Background in erster Linie um Impulsrichtigkeit, Phasentreue und letztendlich um die maximal unverfälschte Übermittlung einer „Nachricht“ geht, die bei Progressive Audio natürlich in einem musikalischen Kontext zu sehen ist.
Firmenchef Ralf Koenen samt seinem extremen Machwerk
Seine Maxime ist einfach und klar: Was reingeht, muss auch wieder rauskommen. Alles was diesem Ziel entgegensteht, bekämpft der durchtrainierte Mitfünfziger so vehement wie Fledermausohr Batman seinen Kontrahenten Joker. Hauptsächlich sind das Phasenfehler, die tonale Färbungen und inkorrekte Raumdarstellung provozieren. Dann Kompressionseffekte, welche Dynamik und Transparenz kosten. Außerdem legt man bei Progressive Audio allergrößten Wert darauf, durch Optimierung der Sprungantwort den Grundstein für eine Reproduktion ganz nahe am Original zu schaffen.
Wer sich erst einmal an diese von üblichen Artefakten befreite Wiedergabe gewöhnt hat, so Koenens Kalkül, wird sich fürderhin schwerlich wieder mit den Fehlern herkömmlicher Lautsprecher-Designs abfinden wollen. Man muss sicher nicht alle Thesen des Esseners teilen, aber die straighte Linie mit der dieser seine Standpunkte vertritt, verdient Respekt und macht deutlich, dass man bei Progressive Audio keinem Trend hinterher hecheln muss, sondern genau weiß, was man will. Und das offenbar mit einigem Erfolg, denn der Betrieb läuft seit gut zwanzig Jahren. In einer Branche, in der es vor Eintagsfliegen nur so wimmelt, beileibe keine Selbstverständlichkeit.
Die Verstärkerzüge der aktiven Progressive Audio Extreme 2 sind direkte Abkömmlinge der im AB-Betrieb arbeitenden Komplementärverstärker aus Progressive Audios A1, einem Vollverstärker mit ausgezeichnetem Ruf und solo gut 10.000 Euro teuer. Selbstverständlich ohne Über-Alles-Gegenkopplung und mit einer Bandbreite von einem Megahertz. So etwas konstruiert sich nicht einfach mal aus dem Handgelenk, sondern bedarf maximaler Präzision beim Entwurf und enormer Kenntnis bezüglich des Verhaltens der verwendeten Bauteile und Schaltungen.
Two in one: Tief/Mitteltöner und Hochtöner der Progressive Audio Extreme 2 kommen in Form eines Koaxialsystems daher
Den legendären und teuren Siliziumcarbid-Transistor des Referenzverstärkers A2 findet man derzeit leider in keinem der Aktiveinsätze von Progressive Audio. Diese ohne Frage reizvolle Option ist mit Blick auf eine bewusst kundenfreundliche Kalkulation im Moment noch kein Thema. Womit wir beim Preis für ein Pärchen Progressive Audio Extreme 2 aktiv angelangt wären. 8.300 Euro sagt der charmant lächelnde Firmenchef. Ich addiere im Kopf die Preise für ein Pärchen erstklassig verarbeiteter und eleganter Standlautsprecher, den A1 und natürlich einen Satz feiner Lautsprecherkabel und komme unter dem Strich auf ein Sümmchen, dass sich deutlich oberhalb des geforderten Betrags einpegelt. Ein passives Paar Extreme 2 wechselt übrigens für 4.998 Euro seinen Besitzer. Eine spätere Aktivierung kostet am Ende etwas mehr als die Differenz beim Direktkauf.
In jedem Aktivmodul arbeiten zwei Endstufen mit je 100 Watt Leistung und treiben damit einen 16 Zentimeter großen Tiefmitteltöner mit Magnesiummembran und eine 20-Millimeter-Seidenkalotte in einem Koaxialsystem an. Den Treiber lässt sich Progressive Audio übrigens vom Spezialisten Seas auf den Boxenleib schneidern. Technisch hat das Chassis nicht mehr viel mit dem Basisprodukt des norwegischen Herstellers gemein, bemerkt Herr Koenen und, ja, dank des koaxialen Aufbaus kommt man dem Prinzip der Punktschallquelle, in der Theorie das Optimum, wenn es um korrekte räumliche Darstellung geht, schon erstaunlich nahe. Weil aber der etwa handtellergroße Treiber trotz seines Hubs von eineinhalb Zentimetern naturgemäß keine Bäume in den tiefen Frequenzen ausreißen kann, gibt es ein wenig Unterstützung durch eine Bassreflexöffnung auf der Rückseite der schlanken Box.
Reichen da die hundert Watt für den Tiefmitteltöner? Der könnte doch sicher auch gut das Doppelte vertragen. Ja, natürlich könne er das, lächelt Herr Koenen, aber dann leide das Timing der beiden Treiber. Alles ausprobiert.
Wie beim Essener Lautsprecherspezialisten üblich, besteht das Gehäuse aus Acryl, einem Kunststoff, dem man eine äußerst klangförderliche innere Dämpfung zuschreibt. Lediglich einen Zentimeter ist das blütenweiße Gehäuse stark, aber aufgrund eines wärmesensitiven Klebers superdicht. Kein Spalt lässt die Klebestellen erahnen. Dank einer präzisen Resonanzanalyse kann auf herkömmliche, Energie absorbierende Dämmmaterialien zu einem Großteil verzichtet werden. Dafür werden unter Druck an bestimmten, neuralgischen Punkten gezielt Verstrebungen eingeklebt. Über das hierzu nötige Know-how schweigt sich der immer noch sehr freundliche dreinschauende Entwicklungschef freilich aus. Da ich allmählich den Perfektionismus hinter all dieser Detailarbeit zu erkennen glaube, fürchte ich, dass ein entsprechender Hinweis den Wettbewerb auch nicht viel weiter bringen dürfte. Sollen die doch ruhig weiter ihr MDF sägen, bemerkt mein Gesprächspartner verschmitzt.
Auch wenn die eigentlichen Endstufen der Aktivlaustprecher, anders als im Vollverstärker A1, nicht vollständig symmetrisch ausgeführt sind, empfiehlt Progressive Audio die Ansteuerung der Extreme 2 über den XLR-Eingang. Nur wenn dies partout nicht möglich ist, wäre die neben dem symmetrischen Eingang vorhandene Cinchbuchse eine Alternative. Dahinter erfährt das Signal allerdings eine sofortige Symmetrierung. Nicht elektrisch oder mithilfe eines zugekauften Trafos, sondern mit einem hochpräzise gewickelten Transformator aus eigener Fertigung. Das Wissen und Können dazu habe man sich erarbeiten müssen, weil auf dem Markt nichts Adäquates zu bekommen gewesen sei. Auf die Frage, ob sich der ganze Aufwand denn tatsächlich klanglich auszahlt, wenn am Ende die Verstärkung doch unsymmetrisch erfolgt, handele ich mir einen zehnminütigen Vortrag über die Vorzüge der symmetrischen Signalführung in den Eingangsstufen ein, was offenbar einem ganz entschiedenen Ja gleichkommen dürfte.
Hinter dem Eingangsterminal teilt eine aktive analoge Frequenzweiche mit 18 dB Flankensteilheit den Treibern ihren jeweiligen Einsatzbereich zu. Die Essener verzichten ganz bewusst auf den Einsatz von derzeit auch in ausgewiesenen High-End-Kreisen so beliebten DSPs. Es sei zwar verlockend einfach, die Frequenzweiche mithilfe eines digitalen Signalprozessors zu realisieren, zumal auf diese Weise in Mehrwegesystemen sogar eine Phasenkorrektur leicht möglich ist. Doch wie im richtigen Leben, wo bekanntlich alles seinen Preis fordert, habe man bei Tests auch klangliche Verschlechterungen ausgemacht. Darüber hinaus verweist man darauf, dass die von Haus aus phasenkorrekt konzipierte Extreme 2 eine zusätzliche Korrektur nicht nötig hat.
Ob ich denn schon mal mit DSP gesteuerten Systemen eine wirklich gute Schallplattenaufnahme gehört habe? Nicht wirklich? Genau, die erforderliche AD- und die anschließende DA-Rückwandlung scheinen dem analogen Signal doch erstaunlich viel von seiner Unmittelbarkeit und klanglichen Farbenpracht zu rauben. Und weil Herr Koenen und mich eine ziemliche Leidenschaft fürs Vinyl eint, ist dieser Punkt dann auch rasch und einvernehmlich abgehakt.
Allerdings schwört man bei Progressive Audio auf Schaltnetzteile zur ultrastabilen Spannungsversorgung der Verstärker. Wenn die richtig gut gemacht sind, gäbe es auch kein Problem mit dem unsäglichen HF-Müll mehr. Auch in diesem Punkt muss ich Ralf Koenen inzwischen recht geben, denn spätestens seit den wirklich positiven Erfahrungen mit Clearaudios Absolute Phono Inside, der seine Energie ja ebenfalls aus einem High-Tech-Schaltnetzteil bezieht, habe ich meine anfänglichen Bedenken samt und sonders abgelegt.
Die Progressive Audio Extreme 2 Aktiv besitzt eine schaltbare Hochtonanhebung von einem moderaten Dezibel. Das mag in kräftig bedämpften Räumen hilfreich sein, ist bei mir, soweit greife ich schon mal vor, allerdings unnötig – daher bleibt der Schalter in der linearen Position
Dann entdecke ich doch noch ein weniger perfektes Detail. Ausgerechnet für den sicheren Stand der Aktivlinge gibt’s unscheinbare, zwar ausreichend stabile, aber irgendwie nicht standesgemäße Ausleger aus Acryl. Da hat der Rotstift wohl doch noch zugeschlagen … schon nimmt mir der Progressive-Audio-Chef den Wind aus den Segeln und erklärt, dass eigentlich eine Lösung aus poliertem Edelstahl vorgesehen sei. Aber die Produktion habe sich verzögert, sodass unser Testmuster noch nicht den Serienstandard darstelle. Ich vermute schwer, die Politur war dem Herrn Chefentwickler noch nicht glänzend genug.
Die serienmäßigen Metall-Ausleger der Extreme 2
Test: Progressive Audio Extreme 2 Aktiv | Aktivlautsprecher, Standlautsprecher