Inhaltsverzeichnis
Dezember 2016 / Michael Bruß
Alter Schwabe … Ich glaube, das war das erste Mal, dass ich beim Tragen sogenannter Kompaktlautsprecher derart ins Schwitzen gekommen bin. Okay, in meiner Zeit als Aushilfe beim HiFi-Händler gab es mal die Revel Ultima Gem und die Wilson Audio Cub, beide dazu angetan, einem die Schweißperlen auf die Stirn zu treiben, und das nicht nur wegen des Versicherungsschadens im Falle des Fallens. Allerdings spiel(t)en beide in einer gänzlich anderen Preisklasse, die den zur Sumo-Ringer-Klasse nötigen Materialaufwand quasi unumgänglich machte. Umso gespannter bin ich jetzt auf die beiden ungleich günstigeren Schwaben …
Über 38 Kilogramm bringt ein Pärchen Nubert nuVero 60 (www.nubert.de) inklusive Verpackung auf die Waage – und da sie traut miteinander vereint in einem Karton angeliefert werden und sowieso nicht gerade zierlich gebaut sind, wird schon der Transport ins erste Obergeschoss zum brustwirbelverrenkenden Kraftakt. Mit 16 Kilogramm Nettogewicht pro Stück liegen die Boxen aus Schwäbisch-Gmünd sogar gute anderthalb Kilo über der aktuellen Inkarnation der oben bereits genannten Revel Ultima Gem mit der Zusatzzahl 2 – preislich allerdings glatte 8.400 Euro (im Paar) darunter: Ganze 1.570 Euro ruft Nubert fürs Pärchen nuVero 60 auf, für die Gem2 müssen fast 10.000 Euro den Besitzer wechseln.
Klar, allein aufs Gewicht kommt es nicht an, da spielen andere Dinge eine wichtigere Rolle. Doch auch bei den inneren Werten lässt sich die Nubert nuVero 60 nicht lumpen und zieht bei der Zahl der Wege mit der Amerikanerin gleich: Hier wie da finden sich pro Kanal eine Hochtonkalotte, ein Mitteltöner und ein Basstreiber – traditionell ist das eher eine Bestückung für Standlautsprecher. Warum also nicht gleich diesen bauen beziehungsweise kaufen, statt den gefühlt um sein Resonanzvolumen beschnittenen Kompakten? Nun, darauf gibt es viele Antworten, vom ästhetischen Aspekt über die geringeren Kosten für das Gehäuse bis hin zu flexibleren Aufstellungsmöglichkeiten. Zudem: Wo weniger Gehäuse ist, da kann auch weniger klangschädlich resonieren. Dennoch hat Nubert es sich freilch nicht nehmen lassen, auch dem Gehäuse der nuVero 60 Verstrebungen und Bedämpfungmaßnahmen zu spendieren.
Die Nubert nuVero 60 gibt’s auch in Hochglanz-Schwarz und -Weiß
Klar, auf dem Ständer klingt’s mit Kompakten generell am besten, womit das Preisargument zumindest teilweise wieder ausgehebelt wird. Jedoch haben die Nubert nuVero 60 einige Gegenargumente auf Lager, wenn es um die Aufstellung im Regal oder wandnah auf anderen Möbeln geht: Mit einer Höhe von knapp unter 50 Zentimetern und einer Breite von 23,4 Zentimetern eignen sich die nuVero 60 ja durchaus noch fürs Regal, und jeder einzelne Weg lässt sich mittels eines soliden Kippschalters auf der Rückseite in der Amplitude beeinflussen (noch eine Parallele zur Revel Ultima Gem!). Im Hochton kann der Besitzer von der Neutralstellung ausgehend in beide Richtungen um etwa 1,5 dB korrigierend tätig werden. Nubert spricht von einer sanften und einer brillanten Einstellung, wobei Letztere zum Beispiel korrigierend wirken soll, wenn die 26 Millimeter durchmessende Seidenkalotte nicht in Richtung des Hörers zielen kann (siehe Abstrahlverhalten) oder bei akustisch stark bedämpften Räumen etwas mehr „Pfeffer“ gefragt ist. Umgekehrt können eher hell klingende Räume mit vielen schallharten Flächen davon profitieren, die Energie im Hochton etwas zu zügeln.
Schaut man von der Seite auf den Hochtöner, sieht man, dass die Montageplatte nicht ganz eben ist, sondern minimal konkav verläuft – ein wenig wie ein angedeutetes Horn. Laut Nubert-Entwickler Thomas Bien hilft diese Platte, die Energie des Hochtöners über einen Frequenzbereich von 2,2 bis fast 16 kHz bei einem Abstrahlwinkel zwischen 0° und 30° so gut wie gleichbleibend zu halten (normalerweise bündelt ein Treiber mit zunehmender Frequenz immer stärker). Dabei helfe auch die ansonsten weitgehend ebene Umgebung der Seidenkalotte, die möglichst nah an eine unendliche Schallwand herankommen soll. Der Grund sei, dass Kantendispersionen (diese Thematik treibt Nubert besonders stark um, wie wir noch sehen werden) sehr starke Schwankungen im Frequenzgang hervorzubringen vermögen. Unter anderem deshalb hat der Mitteltöner der Nubert nuVero 60 eine flache Membran – so entfällt die ansonsten unvermeidliche Vertiefung in der Schallwand durch den Membrankonus.
Der Tieftöner der Nubert nuVero 60
Der Mitteltöner mit seinem Aluminiumdruckgusskorb, dem Neodymmagneten und einer großen Belüftungsöffnung ist also ein recht außergewöhnliches Exemplar; mit Blick auf seine flache Membran ebenso wie auf seine nur 5,2 Zentimeter Durchmesser. Bei ihm handelt es sich um einen BMR-Treiber (Balanced Mode Radiator), der eine in Segmente unterteilte Membran besitzt, die in höheren Frequenzbereichen als Biegewellenwandler fungiert, sprich sich nicht mehr wie ein Konus kolbenförmig bewegt – so hoch setzt Nubert ihn allerdings gar nicht erst ein. Ein wichtigerer Grund für die sehr kleine Flachmembran ist allerdings auch hier wieder das Rundstrahlverhalten, das laut Nubert-Entwickler Thomas Bien deutlich ausgewogener sei als bei herkömmlichen Treibern. Das läge daran, dass das Verhältnis von (kleiner) Membranfläche zu abgestrahlter Schallwellenlänge (wegen der tiefen Ankopplung ab 400 Hz recht lang) so ist, dass eine fast ideale Punktschallquelle mit entsprechend gleichmäßigem Rundstrahlverhalten entstehe, was sich in einem sauberen Mittelton ohne Verfärbungen ausdrücke. Auf der vertikalen Achse (Höhe der Sitzposition) veränderten sich die tonale Balance und die Abbildung dadurch kaum, so Bien.
Der Mitteltöner sei aber, so Nubert, generell ein wahres Wunderteil, obwohl als einziges Chassis der nuVero 60 keine Eigenentwicklung: Trotz seiner geringen Membranfläche kann er bei entsprechender Trennung einen Maximalpegel von bis zu 112 dB erreichen. Die mit 3,2 Zentimeter Durchmesser verhältnismäßig große Schwingspule hat daran sicher entscheidenden Anteil, da sie die Membran fast auf der ganzen Fläche antreibt und nicht nur in der Mitte „anpackt“. Zusätzlich ist der Antrieb voll ventiliert und lässt einen Blick auf die Bienenwabenstruktur der Membran zu, die sehr viel Stabilität bringe und den Bereich der Partialschwingungen nochmals so weit nach oben schiebe, dass sie laut Nubert in praxi keine Rolle mehr spielten.
Klang vs. Messwerte
Auch der Mitteltöner lässt sich in der Intensität variieren – hier jedoch interessanterweise nur in Richtung „Prägnant“, von „Neutral“ ausgehend. Das hat den (Hinter-)Grund, dass Kantendispersionen dafür sorgen, dass der Frequenzgang insbesondere im Bereich um 2,5 kHz auf Achse gemessen etwas abfällt – und das ist so gewollt: In der Neutralstellung bleibt diese leichte Senke bestehen, da sie gemäß Nubert in Hörtests von den meisten Hörern als angenehmer und natürlicher wahrgenommen wird als der messtechnisch auf Achse lineare Frequenzgang. Jener lässt sich mit der Stellung „Prägnant“ aufrufen, sollte man eine, nun ja, eben prägnantere Wiedergabe der Mitten wünschen. Die Crux: Da der kleine Einbruch des Mitteltons schon bei 15° außerhalb der Achse keine Rolle mehr spielt, kann die „Prägnant“-Schaltung dort sogar zu einer Überhöhung dieses Bereichs führen.
Übrigens bekämpft Nubert die normalerweise unvermeidlichen Kantendispersionen nicht nur über die aufwändigen Möglichkeiten zur Filtereinstellung, sondern minimiert diese Effekte auch direkt dort, wo sie entstehen, nämlich an der Schallwand beziehungsweise an deren Kanten. Die Schallwand steht über den eigentlichen Korpus über und ist an den Kanten abgerundet; so soll sie deutlich weniger Störungen verursachen als harte Kanten. Zusätzlich sind – eine der auffälligsten optischen Besonderheiten der Nubert nuVero 60 – Hoch- und Mitteltöner leicht asymmetrisch auf ihren Montageplatten angebracht, um die Laufzeiten zu den Gehäusekanten zu heterogenisieren und den Effekt nicht nur an einer Stelle im Frequenzband auftreten zu lassen, sondern ihn weniger klangschädlich auf mehrere Bänder zu zerstreuen.
Das Bi-Wiring-Terminal der Nubert nuVero 60 inklusive Schaltern zur Klanganpassung
Urkraft
Last but not least wäre da noch der 18 Zentimeter durchmessende Basstreiber. Auch er lässt sich pegelseitig anpassen, und zwar um etwa 4,5 dB reduzieren. Sinnvoll ist das in kleineren Räumen ebenso wie bei wandnaher Aufstellung. Und ich kann mir gut vorstellen, dass diese Stellung bei den Nubert nuVero 60 in vielen Fällen angebracht sein dürfte, denn ihre Glasfasermembran in Sandwich-Bauweise ist dank des überaus potenten Antriebs (der Magnet passt gerade so durch die Gehäuseöffnung für das Basschassis) zu ganz erstaunlichen Auslenkungen mit entsprechendem Schalldruck fähig. Linear, also mit der Schwingspule permanent im homogenen Magnetfeld (in diesem Bereich komprimiert oder verzerrt der Treiber noch nicht verstärkt), bewegt sich die Membran um plus/minus 1 Zentimeter, und die maximale Auslenkung beträgt volle 3,5 Zentimeter!
In der Frequenzweiche der Nubert nuVero 60 kommen laut Hersteller unter anderem eng tolerierte und langzeitstabile Folienkondensatoren zum Einsatz. Die Trennfrequenzen liegen bei 400 Hz für den Übergang vom Bass- zum Mittentreiber (mit steilen 24 dB/Oktave getrennt), sowie bei 2,2 kHz auf dem Weg zum Hochton (18 dB/Oktave). Im Tiefton setzt Nubert eine Impedanzlinearisierung ein, die laut Thomas Bien dafür verantwortlich sei, dass der Bass im Bereich von 60 bis 100 Hertz nicht aufdicke, sondern stets straff und kontrolliert bleibe. Dass ein Hersteller für eine Box dieses Preisbereichs eine solche Lösung einsetzt, ist übrigens nicht unbedingt alltäglich.
Mit Schwung
Die Schallwand ist leicht geschwungen, an den Kanten sanft abgerundet und steht auf allen Seiten etwas über den eigentlichen Gehäusekorpus über – so sollen, wie bereits angesprochen, klangschädliche Kantendispersionen im Mitten- und Hochtonbereich minimiert werden. Nubert liefert auch ein Schutzgitter mit, das über Abstandshalter in sicher sitzenden Gummibuchsen montiert werden kann. Ich höre allerdings lieber ohne die Gitter, auch wenn diese nur wenig klangschädlichen Einfluss nehmen, wie ich kurz ausprobiert habe. Hütern über die neugierigen Krabbelfinger von Kleinkindern wird der solide Chassisschutz jedoch mehr als recht sein. Apropos solide: Das rückseitige Bi-Wiring-Terminal der Nubert nuVero 60 bietet nicht nur griffige, massive Schraubklemmen, sondern auch viel Platz für große Kabelquerschnitte. Besonders positiv zu vermerken ist, dass ab Werk keine dünnen Blechstreifen zwischen den Buchsenpaaren geliefert werden, sondern ordentliche Kabelstücke mit sauber vercrimpten Kabelschuhen. Das beigelegte Lautsprecherkabel mit seinen zwei mal 0,75 mm² Querschnitt und 4 Metern Länge darf als Notlösung gelten – darauf weisen die Nubertaner auch pflichtbewusst und deutlich genug hin.
Gutes Standing
Nubert war so nett, mir gleich auch die passenden Lautsprecherständer zu liefern. Die machen einen eleganten Eindruck und stehen vertrauenserweckend wackelfrei auf einer 45 x 34 Zentimeter großen und 1 Zentimeter dicken Bodenplatte aus schwarz eingefärbtem Glas. Die 8 Zentimeter durchmessende Säule des Ständers dient auch als Kabelführung, wenn einem die Optik wichtiger als die Praxistauglichkeit ist. Auch kann man ihn mit Sandbeuteln füllen, was dem ganzen Setup noch mal zusätzliche Stabilität verleiht. Die Lautsprecher selbst stehen auf einer 18,5 x 30,5 Zentimeter messenden Metallplatte, die Bohrungen aufweist, über die die Lautsprecher fest mit dem Ständer verschraubt werden können. Das kann klanglich durchaus einiges bringen, denn Relativbewegungen des Lautsprechers können sich insbesondere auf die Hochtonwiedergabe und die räumliche Abbildung nachteilig auswirken.
Test: Nubert nuVero 60 | Kompaktlautsprecher