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Ziemlich genau vier Jahre ist es her, dass ich den DAC eines kleinen Herstellers aus der Schweiz zum Test bekam: den Merason DAC-1. Das Teil hatte seine Eigenheiten, klang überragend und kostete 4.500 Euro. Anfang 2023 stellte Merason (Vertrieb: www.cm-audio.net) dann den technisch wie vom Gehäuse her stark überarbeiteten DAC-1 Mk II vor. Und auch der Preis bekam ein deutliches Update, für das Topmodell sind nun knapp 8.000 Euro zu berappen. Zwischen dem neuen Spitzenmodell und dem kleinen Modell Frérot (aktuell 1.350 Euro) klaffte eine gewaltige Lücke – die der neue Merason Reuss (4.900 Euro) jetzt füllt.
Die Reuss ist übrigens der viertgrößte Fluss der Schweiz, wo der Reuss, also der DAC, größtenteils hergestellt wird. Gehäuse, Frontplatte und Bedienknöpfe werden in der Schweiz gefertigt und auch die Bauteilbestückung, Montage und Kontrolle erfolgen in der Eidgenossenschaft. Das merkt man zumindest schon mal äußerlich: Das Gehäuse, das es in Schwarz oder Silber gibt, ist perfekt verarbeitet, huldigt dabei aber keinem Materialfetischismus. Mir gefällt das.
Während das Gehäusedesign mehrheitsfähig ist – das des DAC-1 mit Acryl-Front und Edelstahl-Korpus wirkte etwas gewöhnungsbedürftig –, dürfte die Technik weiterhin ein wenig polarisieren. Daniel Frauchiger, Chef und Mastermind von Merason – beziehungsweise Niedal Audio Lab, so der offizielle Firmenname, Merason ist die Marke –, zeigt sich davon überzeugt, dass klassische Multibit-Wandler aktuellen Delta-Sigma-DACs klanglich überlegen sind. Deshalb setzt er in all seinen D/A-Wandlern auf den Burr Brown 1794A. In den beiden größeren DACs steckt pro Kanal ein eigener Chip, beim kleinen Frérot teilen sich beide Kanäle einen einzigen 1794A. Nutzt man den Chip in Mono-Konfiguration, kann man in den Bereichen Dynamik, Störabstand und Kanaltrennung noch ein paar Dezibel mehr herauskitzeln. Die Verwendung eines Chips mit „alter“ Multibit-Technik bringt allerdings einen Nachteil mit: Es lassen sich lediglich PCM-Daten verarbeiten, der 1794A bietet dabei eine maximale Wortbreite von 24 Bit und eine Abtastrate von 192 kHz.
Natives DSD und extrem hohe Auflösungen – die aktuellen Spitzen-Delta-Sigma-Wandler gehen bis 32 Bit und 768 kHz hinauf – bleiben beim Merason Reuss außen vor. Ob das relevant ist, muss jeder für sich entscheiden. Meine persönliche Erfahrung ist, dass die Musik, die ich am häufigsten höre, weder in DSD noch in extrem hohen PCM-Auflösungen angeboten wird. 24 Bit sind dabei, auch mal 96 kHz, aber darüber hinaus habe ich nichts auf der Festplatte, was ich ernsthaft höre. Ein paar Dateien in extremen Formaten finden sich dort, die dienen im Wesentlichen jedoch nur dazu, auszuprobieren, ob ein D/A-Wandler, der solche Datenraten verarbeiten können soll, auch hält was er verspricht. Jenseits von 24 Bit/96 kHz habe ich persönlich noch nie eine verlässlich nachvollziehbare Klangverbesserung hören können. Die einzige Situation, in der ich DSD für notwendig halte, ist, wenn man wirklich ein SACD-Laufwerk und entsprechende SACDs sein Eigen nennt. Aber wie gesagt, das ist lediglich meine persönliche Meinung zu diesem Thema.
Nach diesem kleinen Exkurs über Sinn oder Unsinn extrem hochauflösender Audiodaten zurück zum Merason Reuss. Egal um was für ein Datenformat es sich handelt, es muss erst mal rein in den DAC. Dazu bietet der Reuss je einen USB-, Cinch-S/PDIF-, Toslink- und AES/EBU-Eingang an. Zur Taktung der asynchronen USB-Übertragung verfügt der Reuss über zwei Oszillatoren für die beiden „Sampling-Familien“ auf Basis von 44,1 und 48 kHz, deren hohe Güte für ein jitterarmes Signal sorge. Alle ankommenden Signale werden zudem galvanisch von der Signalquelle getrennt. Von Oversampling, Upsampling oder Resampling, sprich, von allerlei Rechentricks vor der eigentlichen D/A-Wandlung, hält Daniel Frauchiger wenig. Entsprechend verzichtet der Merason Reuss auf solche Technologien.
Über den DAC-Chip haben wir gesprochen. Das vom Burr Brown 1794A generierte Stromsignal wird von der Ausgangsstufe in eine entsprechende Signalspannung umgesetzt, mit der dann Verstärker angesteuert werden können. Genaugenommen besitzt der Merason Reuss vier Class-A-Stufen, denn er arbeitet komplett symmetrisch, sodass für jeden Stereokanal zwei Ausgangsstufen nötig sind.
Um einen Vor- oder Vollverstärker kommt man beim Einsatz des Reuss nicht herum, denn der Schweizer besitzt keine Möglichkeit, die Lautstärke zu regeln. Auch einen Kopfhörerausgang gibt es nicht. Der Reuss ist ausstattungsseitig sehr puristisch unterwegs, technisch dagegen aufwendig aufgebaut. So werden Analog- und Digitalschaltungen getrennt von drei Transformatoren mit insgesamt zwölf stabilisierten Versorgungsspannungen versorgt. Dass sämtliche Bauteile nach klanglichen Gesichtspunkten ausgewählt wurden und das Schaltungslayout – wie überhaupt der komplette Aufbau des Geräts – klagoptimiert ist … geschenkt.
„Geschenkt“ meine ich hier in keiner Weise despektierlich. Wer schon öfter das Vergnügen hatte, Highend-Manufakturen zu besuchen oder ausführlich mit Entwicklern über ihre Produkte zu sprechen, weiß, dass sehr viel Finetuning in hochwertigen Geräten steckt. Klang lässt sich bei allen technischen Möglichkeiten eben nicht komplett durch Messwerte darstellen. Ich weiß, es gibt Menschen, die diesbezüglich anderer Meinung sind. Der weitaus größte Teil aller Entwickler, mit denen ich bisher zu tun hatte, zuckt bei dem Thema mit den Schultern und gesteht, dass man mit Messwerten zwar weit kommt, aber die letzten Feinheiten nur experimentell nach Gehör abstimmen kann. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Zeit und Aufwand Entwickler hier investieren. Das gilt übrigens unabhängig von der Gerätekategorie.
Der Betrieb des Merason Reuss ist völlig unproblematisch. Die meisten Musikserver und Streaming-Bridges arbeiten mit einem Linux-basierten Betriebssystem, das den Reuss automatisch erkennt und richtig ansteuert. Auch Apple-Geräte funktionieren Plug and Play. Lediglich bei „Windosen“ kann es nötig sein, einen Treiber zu installieren. Einen geeigneten ASIO-Treiber bietet Merason auf der Homepage zum Download an. Wobei neuere Windows-Versionen von selbst einen passenden Treiber nachladen, sofern er nicht installiert ist.
Merason Reuss: Hörtest und Vergleiche
In der letzten Zeit habe ich mich mit dem ein oder anderen DAC beschäftigt und bin überrascht worden, was für klangliche Unterschiede hier zu hören sind. Spannend finde ich, dass dabei klangliche Aspekte zutage treten, die in ihrer Auswirkung zwar klar zu hören sind – die zu beschreiben aber eine Herausforderung darstellt. Offenbar gibt es beim Wechsel zwischen digital und analog noch andere Gesichtspunkte als Tonalität, Auflösung, Phase, Dynamik etc.
Der ungewöhnliche Bass
Wozu diese Vorrede? Ganz einfach: Mir sind auch beim Merason Reuss ein paar Aspekte auffallen, die ich nicht mit gängigem HiFi-Vokabular erklären kann. Einer betrifft den Bass.
Obwohl ich beim Schweizer Wandler keine Tendenz in Richtung warm oder kühl wahrnehmen kann, und obwohl er dementsprechend keine Bassbetonung erkennen lässt, hat seine Tieftonperformance eine enorme Durchschlagskraft. Der Ideon Audio EOS (9.900 Euro), den ich mir nach dem furiosen Bericht meines Kollegen Ralph Werner einige Tage nachhause holen musste, spielt gegenüber dem Reuss kräftiger und lässt eine kleine „Spaßbetonung“ im Tiefton erkennen. Trotzdem wirkt der Bass des Reuss … hm, ich möchte fast schreiben „bösartiger“. Er ist zwar nicht so anmachend wie der des EOS, hat aber eine ganz eigene Art von Power. Ein bisschen ist das hier so wie mit einem richtig großen Lautsprecher, der zwar grundsätzlich neutral spielt, gleichzeitig aber immer erkennen lässt, dass „die Macht mit ihm ist“, dass er den Raum stets im Griff hat. Mit dem Merason Reuss ist ein ganz eigener Druck im Raum, eine Energie, die ich weniger bewusst hören, aber fühlen kann. Ja, vielleicht macht der Schweizer DAC im Subbass Dinge, die anderen Wandlern verborgen bleiben.
Auch wenn die Dame sonst nicht meine bevorzugte Sängerin ist, die EP She is Coming von Miley Cyrus schätze ich – vielleicht gerade weil sie so untypisch für Cyrus ist, dass die Dame das Projekt, zwei weitere EPs in diesem Stil herauszubringen, um dann ein Album draus zu machen, aufgegeben hat. Der Track „Party Up the Street“ ist erstaunlich komplex und perfekt produziert. Ich bin immer wieder erstaunt, was es hier alles zu entdecken gibt. Da gibt es etwa die seltsam synthetischen „Whops“, die … ich will nicht sagen den Beat, aber so eine Art Puls des Songs bilden. Den setzt ein Soulnote D-1N (5.990 Euro) präsenter im Sinne von lauter/betonter in den Raum, doch mit dem Merason Reuss wirkt das Ganze trotzdem irgendwie substanzieller. Vielleicht weil der Merason hier noch etwas tiefer geht, eine Spur mehr Kontrolle besitzt und den Bass somit noch konkreter abbildet.
Apropos Puls – hören Sie sich mal „Speak to Me“ (das Intro zu „Breathe“) von Pink Floyd (Album: The Dark Side of the Moon) über den Reuss an. Ich hätte nicht gedacht, dass diese vergleichsweise alte Aufnahme noch so viel hergibt und so einen beeindruckenden Effekt erzeugt. Auch tiefe Instrumente gibt der Merason Reuss mit einer einzigartigen Energie wieder. Das Ganze ist immer perfekt kontrolliert, aber nie zu trocken. Hatte der Merason DAC-1 bei mir vor Jahren die Maßstäbe in Sachen Basswiedergabe gesetzt, ist der Reuss dem mindestens ebenbürtig.
Mitten, Hochton und die Auflösung
Weiter oben im Frequenzband bleibt es mit dem Merason Reuss spannend, denn er bietet ein beeindruckendes Auflösungsvermögen. Auch hier nehme ich Aspekte wahr, die mir bisher kein anderer DAC in dieser Form vor Ohren geführt hat. Nehmen wir noch einmal „Party Up the Street“. Am Anfang gibt es da eine Männerstimme, die im Vordergrund vor der Hauptstimme wie ein Ping-Pong-Ball hin und her zu wandern scheint und „Party, Party …“ singt. Diesen Effekt habe ich noch nie so klar und plastisch gehört wie über den Schweizer Wandler. Auch andere Effekte löst der Reuss so sauber auf, das die Aufnahme, die mir bisher sehr dicht und komplex vorkam, nun klar strukturiert und durchhörbar wirkt. Sorry, mein geschätzter RME ADI-2 DAC FS (1.200 Euro), da kommst Du in keiner Weise heran.
Das alles mündet in eine wirklich tolle, aber auch in keiner Weise geschönten Stimmwiedergabe. Nehmen wir zur Abwechslung eine Männerstimme: Bob Corritore & Friends Album Somebody Put Bad Luck On Me, bietet klassisch-modernen Blues vom Feinsten. „I’m Good As Gone“ bringt mir die markante Stimme von Oscar Wilson, der hier den Gesangspart übernimmt, sehr nah, lässt mich alle Facetten des Ausdrucks hören. Es gibt D/A-Wandler, etwa den schon genannten Soulnote D-1N, die mehr Wärme und (hier passt es ja besonders gut) Soul in die Stimme bringen. Dem Anspruch auf strikte Neutralität genügt das – im Gegensatz zum Merason – weniger, aber bei Soulnote steht man dazu, ein eigenes und in seiner Schlüssigkeit ebenfalls überzeugendes Klangideal zu verfolgen.
Der Hochton des Merason Reuss orientiert sich ebenfalls an der hochgelobten Schweizer Neutralität. Will sagen, der eidgenössische DAC zieht sauber bis in die höchsten Lagen durch, löst hervorragend auf, zeichnet klare Klangfarben und nervt nicht – sofern denn die Aufnahme nicht nervt. Hat der Toningenieur im Hochton geschlampt, gibt der Reuss das auch genau so weiter. Eine gnädige Dezenz lässt er so wenig erkennen wie künstliche Luftigkeit und Weite. Wo kein Hochton ist, zaubert er auch keinen.
Dynamik? Kein Thema.
Die Dynamik des Merason Reuss kann ich nur schwer beschreiben, denn die ist für ihn, wie allerdings für die meisten hochwertigen Wandler, einfach kein Thema. Früher hatte der ein oder andere DAC eher mal die Tendenz, die Dynamik besonders zu betonen. Der North Star Design Supremo, mit dem ich eine ganze Zeit lang Musik gehört habe, tendierte in diese Richtung – und ich habe das auch eine ganze Zeit gut gefunden. Mittlerweile schätze ich vor allem Geräte, die einfach natürlich klingen, also weder irgendwelche Limitierungen erkennen lassen noch über das Ziel hinaus schießen. Der Reuss macht es richtig, er spielt dynamisch und rhythmisch einfach auf den Punkt.
Wobei – in diesem einen Punkt wirkt der etwas kauzige Ideon Audio Ayazi mk2 DAC (3.700 Euro) noch eine Nuance selbstverständlicher, kommt ansonsten aber nicht an dem Merason Reuss heran – und will es vielleicht auch gar nicht. Eine andere Sache ist es, wenn man den Ideon Audio EOS zum Vergleich heranzieht. Der kostet das Doppelte des Reuss, schafft es aber, in allen Belangen noch mehr Selbstverständlichkeit ins Spiel zu bringen und insgesamt etwas souveräner, smoother und mit einem schwärzeren Hintergrund zu agieren.
Raumdarstellung
Die räumliche Abbildung gelingt dem mittleren Merason-Wandler sehr präzise. Wobei ich den Eindruck habe, dass er sehr genau das wiedergibt, was die Aufnahme vorgibt. Er kann die Bühne beeindruckend breit und tief gestalten und Musiker exakt und stabil positionieren, er kann einen in synthetischen Sphärenklängen baden oder eine Sängerin klar, beinahe greifbar vor einem materialisieren lassen. Wobei er das Geschehen tendenziell ein wenig auf mich zu rücken lässt – was ich als angenehm empfinde. Ich mag beim Musikhören eine direkte Ansprache, und im Fall des Reuss passt das auch perfekt mit den vielen Details zusammen, die er mir entgegenbringt. Wer aber eine richtiggehend immersive Räumlichkeit im Sinne eines Klangbades bevorzugt, wird sicher eher mit einem Soulnote D-1N glücklich.
Große Brüder
Jetzt interessiert Sie sicher, wie der Merason Reuss im Vergleich zu seinen großen Brüdern, dem DAC-1 und dem DAC-1 Mk II, klingt. Mangels unmittelbarer Vergleichsmöglichkeiten kann ich das zwar nicht im Detail ausdifferenzieren, aber doch eine Einordnung geben – hatte ich den DAC-1 seinerzeit doch ausgiebig testen dürfen und zudem beim „JahresausKlang“ von CM-Audio die Gelegenheit, Reuss und DAC-1 Mk II im Vergleich zu hören.
Alle „großen“ Merason DACs zeichnen sich durch eine phänomenale Basswiedergabe aus. Da hat schon der DAC-1 Maßstäbe gesetzt und die aktuellen Modelle stehen dem nicht nach, im Gegenteil. Zwischen Merason Reuss und DAC-1 Mk II höre ich keine signifikanten Unterschiede.
Weiter oben im Frequenzspektrum lässt sich feststellen, dass die Entwicklung bei Merason vorangeschritten ist. Beide aktuellen Modelle stellen einen Fortschritt gegenüber dem DAC-1 dar. Insbesondere was die Auflösung betrifft, ist es Herrn Frauchiger offenbar gelungen, noch mehr herauszukitzeln. Was die Quantität der Details angeht, sehe ich Reuss und DAC-1 Mk II auf „Ohrenhöhe“, wobei der DAC-1 Mk II die vielen Informationen schon noch eleganter in den musikalischen Fluss einbettet. Der Reuss klingt dagegen „studiomäßiger“: Er stellt die einzelnen Details offensiver heraus und spielt damit im Vergleich zum DAC-1 Mk II etwas plakativer. Man darf den DAC-1 Mk II als das „audiophilere Gerät“ bezeichnen, das mehr Wert darauf legt, die Musik ganzheitlich wiederzugeben und Details einzubetten. Er wirkt extrem griffig und organisch. Der Merason Reuss verkörpert demgegenüber die „Studiolehre“, beleuchtet alle Details ganz genau, doch das Wörtchen „organisch“ kommt mir bei ihm nicht in den Sinn. Ich möchte hier aber gar nicht von besser oder schlechter sprechen. Je nach Hörgewohnheit, Bedürfnissen oder je nach Musik kann auch der Reuss der passendere Wandler sein, wenngleich einen der Merason DAC-1 Mk II – über alles betrachtet – noch tiefer in die Musik eintauchen lässt.
Test: Merason Reuss | D/A-Wandler