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März 2016 / Martin Mertens
Zu der amerikanischen Marke Krell habe ich ein etwas ambivalentes Verhältnis. Das pendelt zwischen Bewunderung für die fortlaufenden technischen Innovationen und deren konsequente Umsetzung in neue Produkte auf der einen und der Abneigung gegen den typisch amerikanisch-breitbeinigen Markenauftritt auf der anderen Seite. Dass Krell den hier zum Test anstehenden Vollverstärker „Digital Vanguard“ (www.audio-reference.de) genannt hat, bedient dabei eher meine Vorbehalte.
Andererseits ist Krell wirklich immer für eine Überraschung gut. Um mich wieder mit der Marke anzufreunden, muss ich nur an das Gastspiel des Krell S 300i bei mir zurückdenken. Das war ein Verstärker, der mir ausnehmend gut gefallen hat. Der protzte einerseits nur so vor Kraft – klar, US-Boy eben -, andererseits besaß er eine enorme Sensibilität für Zwischentöne, womit er sich aufs angenehmste von dem gerne gepflegten „Schwarz/Weiß“-, „Gut/Böse“-, „Ganz oder Gar nicht“-Klischee abhob.
Der Krell Digital Vanguard heimst bei mir auf jeden Fall schon aufgrund seiner aufwendigen Technik Sympathiepunkte ein. Die Vorverstärker-Sektion arbeitet mit einer diskreten Class-A-Schaltung. Ein Faible für Class-A ist bei Krell quasi genetisch – Dan D’Agostino, der inzwischen mit Produkten seiner neuen Firma unter eigenem Namen für Furore sorgt, hat Krell in den 1980er Jahren gegründet und war hier bis 2009 auch als Chefingenieur tätig. Und Dan D’Agostino ist von der prinzipiellen Überlegenheit von Class-A überzeugt – zumindest was die Verzerrungsfreiheit betrifft.
Wenn es darum geht, ordentlich Ausgangsleistung zu produzieren, wird es mit Class-A allerdings schwierig. Die Verlustleistung ist bei dieser Art von Schaltung bekanntermaßen enorm hoch. Mein Musical Fidelity AMS 35i, seines Zeichens einer der letzten echten Class-A-Vollverstärker, wandelt zum Beispiel kontinuierlich 300 Watt aus dem Stromnetz in Wärme um, nur damit er im Bedarfsfall maximal 35 Watt davon an die Lautsprecher abgeben kann. Mit 35 Watt ist jenseits des großen Teiches aber kaum ein Blumentopf zu gewinnen. Und auch wenn Energiesparen dort weniger ein Thema ist und der immense Stromverbrauch eines leistungsstarken Class-A-Verstärkers womöglich egal wäre – wegen der für die Stromversorgung erforderlichen Trafos und der zur Abfuhr der Abwärme notwendigen Kühlflächen wäre ein solcher Amp quasi eine Immobilie. Und das passt nun mal weniger zu einem modernen Verstärker-Konzept.
Deshalb hat Krell seine innovative iBias-Regelung entwickelt. Hierbei handelt es sich um eine Schaltung, bei der der Ruhestrom dynamisch in Abhängigkeit vom Ausgangsignal unter Einbeziehung der Lautsprecherlast geregelt wird, sodass das Signal letztendlich immer im Class-A-Bereich verstärkt wird. Diese Technik kommt in den großen Endstufen der Marke zum Einsatz. Der Vanguard arbeitet im Prinzip mit der gleichen Schaltungstopologie wie die großen Endstufen, muss allerdings auf diese iBias-Regelung verzichten. Seine beachtliche Leistung von 200 Watt an 8 Ohm und 400 Watt an 4 Ohm produziert er im konventionellen AB-Betrieb. Da ein AB-Verstärker dieser Leistungsklasse ebenfalls ordentlich Abwärme produzieren kann, hat Krell dem Vanguard zwei Lüfter spendiert, die die Wärme aus dem Gehäuse blasen. So können die Kühlkörper klein ausfallen und das Ganze passt in ein kompaktes Gehäuse.
„Kompakt“ allerdings nach amerikanischen Maßstäben. Der Digital Vanguard besitzt ein übliches Full-Size-Gehäuse von 434 x 105 x 445 mm (BxHxT). Berücksichtigt man, dass hier neben Vor- und Leistungsstufen ein potenter 750-VA-Ringkerntrafo nebst 80.000 µF Siebkapazität untergebracht sind, ist der Krell-Amp aber sicherlich nicht zu groß dimensioniert. Im Inneren herrscht entsprechend dichtes Gedränge, denn auch das aufwändige Digital-Board (1.900 Euro Aufpreis), das den Vanguard zum Digital Vanguard macht und mit dem sich der Verstärker auch nachträglich digital aufrüsten lässt, benötigt Platz. Das Digital-Board macht aus dem Vanguard nicht nur einen Vollverstärker mit Digital-Eingängen, sondern eine veritable Zentrale für den Einsatz in A/V-Umgebungen, da es neben analogen und digitalen Eingängen noch drei HDMI-Buchsen mitbringt: Zwei Eingänge und einen Ausgang. Ok, das alles verlangt nach Erläuterung.
Die analogen Eingänge – drei unsymmetrische in Form eines Trios an Cinchbuchsen-Paaren und ein symmetrischer in Form zweier XLR-Buchsen – bedürfen keiner weiteren Erklärung. Der auf dem Digital Board integrierte D/A-Wandler – hier handelt es sich um einen der aktuell besten Wandler-Chips, einen ESS Sabre 9018S – nimmt Daten elektrisch über eine Cinchbuchse (PCM bis 192 kHz/24 Bit) oder optisch über eine TOSLINK-Buchse (96 kHz/24 Bit) entgegen. Hier können z. B. ein CD-Laufwerk oder andere Quellen, die entsprechende digitale Signale liefern, angeschlossen werden.
Heimkino-Freunde können sich über die HDMI-Anschlüsse freuen. Bei Signalen, die von einem entsprechenden Zuspieler, etwa einem Blu-Ray-Player oder SAT-Receiver, über einen der beiden HDMI-Eingänge ankommen, greift sich der Digital Vanguard die Ton-Daten ab, wandelt sie um und übernimmt deren Verstärkung. Die Bilddaten reicht er über den HDMI-Ausgang an einen angeschlossenen Fernseher weiter. Da der HDMI-Ausgang über einen Rückkanal verfügt, kann der Krell auch den Ton des angeschlossenen Fernsehers wiedergeben, ohne dass hier weitere Kabel erforderlich sind.
Darüber hinaus bietet der Digital Vanguard einen Ethernet-Anschluss in Form einer Buchse für gängige LAN-Kabel mit 8P8C-Modularstecker. Das ist insofern bemerkenswert, als dass er auf einen USB-B-Eingang verzichtet. So umgeht Krell die ewige Diskussion um die klangliche Qualität der USB-Verbindung im Speziellen oder eines Computers als unmittelbaren Zuspieler im Allgemeinen. Das Digital Board ist mit einer eigenen Streaming-Bridge ausgerüstet, womit sich der Digital Vanguard in jedes DLNA-basierte Mediennetzwerk einbinden lässt. Das kann ein Computer sein, auf dem ein geeigneter DNLA-Server läuft und der über einen Switch mit dem Digital Vanguard verbunden ist. Das kann genauso ein Eigenheim umspannendes Mediennetzwerk sein. Zur Bedienung empfiehlt Krell in jedem Fall die „mConnect Player App“, die es kostenlos im Apple- oder Google-Play-Store gibt.
Als DAC kommt auf dem Digital Board ein ESS Sabre 9018S zum Einsatz
Auch mobilen Medien gegenüber zeigt sich der Digital Vanguard offen. Oben rechts auf der Front sitzt ein USB-A-Anschluss. Also doch USB? Jein. Der Anschluss eines Computers ist hier nicht vorgesehen. Dafür kann man hier z. B. einen Speicherstick oder eine externe Festplatte mit Musikdaten einstecken, auf die der Vanguard dann zugreifen kann. Für Menschen, die ihre Musik bevorzugt auf dem Smartphone oder einem Bluetooth-fähigen mobilen Player dabei haben, verfügt der Digital Vanguard noch über Bluetooth-Funktionalität. Wird das entsprechende Gerät mit dem Digital Vanguard gekoppelt, kann die Musik direkt über den Verstärker abgespielt werden. Dank aptX soll die Klangqualität bei der Bluetooth-Übertragung nicht allzu sehr leiden.
Einen Kritikpunkt muss sich Krell allerdings – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – gefallen lassen: Angesichts der zahlreichen Möglichkeiten, die der Digital Vanguard bietet, ist die Bedienungsanleitung spärlich. Sie besteht aus einem Blatt und geht nicht auf die komplexeren Möglichkeiten des Vanguard ein.
Test: Krell Vanguard | Vollverstärker