Inhaltsverzeichnis
Auch im Hochton spielen die Abscisse feinst aufgelöst und extrem dynamisch – was bei den hier eingesetzten Bändchen zu erwarten stand. Obwohl das Rundstrahlverhalten laut JMR ja optimiert wurde – eine gewisse Richtwirkung scheint es zu geben. Direkt auf meinen Hörplatz ausgerichtet, ist es mir schon fast zu viel des Guten. Die Empfehlung des Herstellers, die Lautsprecher nicht einzuwinkeln, sondern einfach parallel zueinander aufzustellen, erweist sich als genau richtig. Denn in Sachen Hochtonenergie sind die Abscisse keine Kinder von Traurigkeit. Dass das Ganze nicht nervt oder scharf klingt, liegt daran, dass die Bändchenhochtöner immer Informationen übertragen und nie einfach nur Hochtonenergie versprühen.
Bei Eva Cassidy, Live at Blues Alley, kann der massive Einsatz, mit dem der Drummer seine Besen auf die Becken drischt, anstrengend werden. Zumindest, wenn das Ganze zu einem undifferenzierten Zischen gerät. Nicht so über die JMR Abscisse. Die dröselt akribisch alles auseinander. Jedes einzelne Auftreffen eines Besendrahtes auf die Bronze des Beckens scheint sie akribisch nachzuvollziehen. Ergo: Der Aufwand mit den Bändchenhochtönern in ihren eigenen Gehäusen und der speziellen Ankopplung, der geteilte Frequenzweichenaufbau mit Silberkondensatoren und wahrscheinlich auch die Gummibeschichtung zahlen sich hörbar aus. Das hier Gebotene spielt auf alle Fälle in der obersten Liga und macht mir sehr deutlich, dass der Hochton nicht gerade die Paradedisziplin meiner Geithain ist. Die besitzen in den obersten Lagen bei weitem nicht das Auflösungsvermögen der Abscisse, ziehen sich aber elegant aus der Affäre, indem sie sich hier generell zurückhalten – ganz nach dem Motto: Wer weniger tut, macht weniger falsch.
Stellt sich die Frage, ob sich der beim Bass getriebene Aufwand ebenso auszahlt. Und ich kann nur sagen: Ja. Wobei es zu differenzieren gilt. Beeindruckend ist auf jeden Fall, wie tief die Fünfzöller der Abscisse dank Transmission-Line-Unterstützung in den Frequenzkeller hinabsteigen. Die „Samba Saravah“ von Stacey Kent auf dem Album Dreamer in Conzert wird von einem Lauf sehr tiefer Töne begleitet, die viele Lautsprecher schlicht unterschlagen oder die die Tieftöner schlimmstenfalls in gewaltige Bewegung versetzen, ohne dass dabei Schallabstrahlung stattfindet, weil sich das Ganze unterhalb der Bassreflex-Abstimmfrequenz der Lautsprecher abspielt und quasi nur Luft gepumpt wird. Bei zu hohem Pegel hört man dann ganz schnell das scharfe Klackern, mit dem die Schwingspule an der hinteren Polplatte anschlägt.
Bei meinen Geithain liegt der Basslauf wohl ziemlich auf oder in der Nähe der BR-Abstimmfrequenz. Die Folge ist, dass die Lautsprecher hier ordentlich schieben und mächtig Druck aufbauen. Klingt eindrucksvoll, ist allerdings schon etwas dick aufgetragen und kann nerven. Und die JMR? Steigen mal eben locker flockig in solche Tiefen hinab und geben die Basslinie schlank, elegant und klar konturiert wieder. Ohne Druck und ohne den „Kistenklang“, den manche Bassreflexboxen produzieren – eher im Stil von guten geschlossenen Lautsprechern oder auch von Hornlautsprechern. Wobei diese Konzepte meist nicht so weit hinunter reichen.
Allerdings weisen geschlossene Boxen und Basshörner meist ein besseres „Bremsverhalten“ auf. Das spielt bei natürlichen Klängen keine so große Rolle, weil jedes akustische Instrument nun mal ein natürliches Ausschwingverhalten aufweist. Ein natürlicher Tieftonimpuls hört nicht unmittelbar auf. Selbst wenn er durch die Hand oder einen Dämpfer gestoppt wird, ist er nie sofort weg.
Anders sieht das bei synthetischen Tönen aus. Die können sehr unvermittelt aufhören, wie etwa auf „Die Another Day“ auf Madonnas Album American Life zu vernehmen. Und diesen Effekt können die Abscisse etwas weniger eindrucksvoll (re-)produzieren. Klar, dem Anfang eines Impulses folgen die kleinen, leichten Membranen ganz offenkundig verzögerungsfrei. Sie haben kein Problem damit, blitzschnell anzuspringen. Aber die TL dahinter möchte, einmal in Schwingung versetzt, offenkundig auch gerne ordentlich ausschwingen. Wer vorwiegend elektronische Musik hört sollte insbesondere hier noch einmal genauer hinhören. Das gilt auch für Hörer, die den Bass vorwiegend körperlich genießen. Denn auch wenn die Abscisse tief und laut können – den physischen Druck mächtiger Bässe, an dem sich etwa geneigte Metal-Fans gerne erfreuen, während sie den Kopf im Rhythmus vor der mit mindestens zwei Fünfzehnzöllern bestückten PA-Box „bangen“, können die Abscisse nicht bieten, nicht einmal ansatzweise. Dafür funktioniert ihr Bass beispielsweise mit Klassik wieder hervorragend. So ist es beeindruckend, mit welcher Vehemenz die Kesselpauken dem wilden Treiben des ersten Satzes von Stravinsky, Le Sacre du Printemps (Pierre Boulez, Cleveland Orchestra, Deutsche Grammphon) ein Ende setzen.
In Sachen Räumlichkeit sind die JMR Abscisse über jeden Zweifel erhaben. Sie bauen die Bühne eher klassisch auf, sprich, das Klanggeschehen beginnt etwa an der Basislinie (also die gedachte, durch die Standpunkte der Lautsprecher führende Linie). Dabei bauen die Französinnen gerne einen großen virtuellen Raum auf, der gefühlt weit über die Größe meines Hörraums hinausgeht, wenn der Aufnahmeraum nun mal größer war. Sänger, Instrumente und sonstige Klangquellen positionieren sie hier sauber und klar umrissen. Meine Geithain bauen eine im Vergleich dazu offensivere Räumlichkeit auf, lassen mich also auch im anstelle vor dem akustischen Geschehen sitzen, bieten hinsichtlich der klaren Abgrenzung der einzelnen Schallquellen aber nicht die Schärfe, die die JMR bieten.
Test: Jean-Marie Reynaud Abscisse | Standlautsprecher