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Bevor ich dem Klang der Ilumnia Vocalis auf den Grund gehen kann, muss ich sie natürlich erst einmal anschließen, mit Strom versorgen und ihren dreistufigen Kippschalter in Position bringen. Die linke Stellung ist neutral, die mittlere senkt das 150-Hertz-Band um -3 dB ab, und in der rechten Position wird der Bereich ebenso stark angehoben. Wir starten mit der Grundstellung.
Sehr schnell wird mir klar, dass die Ilumnia Vocalis außergewöhnliche Lautsprecher sind. Doch das Außergewöhnliche ist anders als das, was ich erwartet habe. Wenn man weiß, dass die Ilumnia dynamische Kompression und Verzerrungen sowie damit zusammenhängende Nichtlinearitäten – die alle gleichzeitig auftreten und sich in Wechselwirkung überlagern – eliminieren beziehungsweise reduzieren sollen … was erwartet man dann eigentlich für ein Resultat? Ein saubereres, also detaillierteres und transparenteres Klangbild? Schnellere, energetisch weniger zurückhaltende Impulse und Transienten? Mehr dynamischen Pepp?
Die Tonalität
Nun, das Erste, was mir auffällt, ist die unerwartet kraftvoll-satte Tonalität, die bis in niedrigste Lautstärkegefilde hinein stabil bleibt und auch bei sehr geringem Pegel nie ausmagert. Die von Ilumnia angestrebte Reduzierung von Verzerrungen manifestiert sich also in einem „schwereren“ Ton und nicht in einer gefühlten Leichtigkeit. Das ist der erste Aha-Moment.
Dann der Bass. Ein Ambient-Track des Bombay Dub Orchestra schockt mich mit kräftigen, tiefen, plötzlichen Bassattacken. Das war wohl die erste Lektion darüber, wie signifikant eine Reduzierung der Tieftonverzerrungen und das Fehlen der üblichen dynamischen Kompression sein können. Und da das Gehäuse nicht mitschwingt, also keinen „Boxenklang“ mitbringt, kann selbst so ein relativ kleiner Treiber eine außergewöhnliche Bass-Performance liefern.
Abbildung und Perspektive
Der nächste außergewöhnliche Punkt ist die Raumabbildung: Die Ilumnia Vocalis vermittelt einen maximal weiten Panoramablick mit normalem – nicht diffusem, aber auch nicht hyperscharfem – Fokus. Die Verwendung von Breitbändern in einem 360°-Lautsprecher wirkt logischerweise ihrem inhärenten Abstrahlverhalten – zunehmende Bündelung des Breitbänders in Richtung höherer Frequenzen – entgegen. Ein 10“-Breitband-Lautsprecher von Zu Audio strahlt bis zu seinem Endpunkt bei 10 kHz immer gerichteter ab, der 8-Zöller von Ilumnia hingegen umgeht dank des Omni-Konzepts diese sonst unvermeidliche Bündelung und die damit verbundenen Nebeneffekte.
Zum Vergleich und zur Einordnung: Das Klangbild der Ilumnia Vocalis unterscheidet sich grundlegend von dem der Børresen Acoustics 02. Die Dänen sind der Inbegriff von maximaler Präzision, intensiver Trennung, holografischer Abbildung und scharfer Kantenbegrenzung. Sie sind „Geschwindigkeitsdämonen“, die sich auf eine sehr definierte Artikulation von Einschwingvorgängen konzentrieren und das moderne Ideal einer hohen Auflösung zelebrieren. Mit einer bewusst stärkeren Einbeziehung des Raums und der Aktivierung eines größeren Teils der Hörumgebung kann die Ilumnia Vocalis natürlich keine laserscharfe Holographie betreiben – was bei Live-Musikdarbietungen aber eigentlich auch so gut wie nie geboten wird. Die Ilumnia Vocalis konzentriert sich also nicht im gleichen Maße auf die „Analyse des Raums“ wie die Børresen Acoustics 02. Ihre Visitenkarte ist vielmehr eine gewisse „klangliche Körperhaftigkeit“. Ihre Dynamik wird von „Masse“ begleitet. Das suggeriert weniger Maximal-Beschleunigung als vielmehr Wucht. Ein Schwergewichtsboxer bewegt sich anders als ein Weltergewichtler – und kann mit noch verheerenderer Kraft zuschlagen.
Rundum vs. Rundum
Ganz gleich, welche Elektronik ich verwende, die tonale Richtung der Vocalis bleibt erhalten. Sie ist der Ilumnia offenbar inhärent. Um herauszufinden, wie viel von dieser Charakteristik ein Effekt der vorgeblich geringeren Verzerrungen ist, höre ich die Vocalis gegen einen anderen Rundstrahler – mit herkömmlichen Treibern.
Nun ist der Kohlefaser-Biegewellentreiber meiner German Physik HRS-120 freilich alles andere als konventionell, doch ihr nach unten abstrahlender Tieftöner ist ein typischer dynamischer Lautsprecher mit einer klassischen Sickenaufhängung. Er deckt den Bereich ab, in dem laut Klippel typische Tieftöner eine Verzerrung von bis zu 30 % aufweisen. Ein A/B-Vergleich der beiden Omnis vergleicht also keine Äpfel mit Äpfeln, doch es ist der beste Vergleich, den ich anstellen kann.
„Wind“ von Øystein Sevågs großartigem Album Caravan ist, wie alle seine Werke, gut aufgenommen worden und deckt eine große Bandbreite an Frequenzen und Texturen ab. Bei den Obertönen des Saxofons, die für ein schärferes Timbre sorgen, haben die HRS-120 mit ihrer +4-dB-Option die Nase vorn. Bei der allgemeinen Abbildungsschärfe dagegen sind die Ilumnia Vocalis im Vorteil. Das Gleiche gilt für die peitschende, krachende Gewalt des charakteristischen Schlagzeugspiels des Titels, bei dem Blitze von der Erde in den Himmel zu zucken scheinen. Auch im Bassbereich liegen die Monitore vorn, sie entwickeln mehr Kraft, Klarheit und Präzision bei den Übergängen und verströmen mehr Wucht.
Als Referenz für diese Aufnahme verwende ich den Raal Requisite SR1a True-Band-Kopfhörer. Die Abwesenheit von Energiespeicherung und Reflexionen macht ihn zum am besten auflösenden und schnellsten Schallwandler, den ich kenne. Kein Lautsprecher kann mit ihrer Geschwindigkeit und Präzision mithalten, aber von den beiden heutigen Vertretern kommen ihnen die Ilumnia Vocalis näher. Ob das an den geringeren Verzerrungen liegt? Nun, wie kann ich das wirklich wissen? Jedenfalls klingen sie sauberer, schneller und prägnanter als die German Physiks. Da scheint in der Tat eine gewisse Beziehung zu bestehen.
Bei einem von Natur aus halligen Stück wie Khalil Chahines Interpretation des Klassikers „Clair Obscur“ betonen die omnidirektionalen Vocalis die „nachklingenden“ Aspekte. Hier geht es nicht um „trockene Trennung“, sondern um aquarellartige Übergänge, um sich überlagernde Überblendungen und die Schattierungen der Klangfarben, die sich hieraus ergeben. Obwohl das Gehäuse der Ilumnia Vocalis nur halb so groß ist, verfügen sie über einen kräftigeren Bass, einen größeren dynamischen Kontrast und eine etwas bessere Lokalisierung.
Definierendes Moment
Bei allem Enthusiasmus über die Entdeckung der neuen Treibertechnologie von Ilumnia darf nicht übersehen werden, dass die derzeitige Implementierung das Abstrahlverhalten und damit die Klangcharakteristik dominiert. Omnidirektionale Lautsprecher gibt es von vielen Herstellern, und ihre Vorteile in Bezug auf die „Klangdichte“, die stabile, von der Position des Hörers unabhängige Abbildung und schließlich das der Live-Musik näherkommende Verhalten im Raum sind nicht nur bei Ilumnia zu finden. Genauso wenig wie die Nachteile der Ilumnia oder ihr „andersartiger“ Stil bei der Mikroauflösung durch eine weniger scharfe Trennung und eine stärkere Einbeziehung der Hörumgebung.
Um zum Beispiel tiefer in Concha Buikas charakteristisches Timbre einzudringen, das geheimnisvoll kratzig sein kann, müssten die Ilumnia die Präsenzregion eigentlich etwas stärker betonen. Ansonsten bleiben diese Aspekte nämlich etwas gedämpft. Dasselbe gilt für die Stimmen von Hakan Altun und Cengiz Kurtoglu bei ihrer Version des beliebten „Duyanlara Duymayanlara“ von Usta Cirak. Die Ilumnia Vocalis verstärken wunderschön die sonoren, gutturalen Qualitäten im Mitteltonbereich. Die wispernden, luftigen Töne nehmen sie jedoch etwas zurück. Mit ihrem ungewöhnlich kraftvollen Bass gerät ihr Klangbild insgesamt vollmundig, wuchtig, dunkel – und sehr weitläufig.
Testfazit: Ilumnia Vocalis
Dank des ungewöhnlich sauberen, kraftvollen Tieftons ihres Breitbandtreibers können die Belgier mit einem minimalistischen Zwei-Wege-Konzept eine außergewöhnliche und lebendige Dynamik erzielen. Dabei fallen die Höhen der Ilumnia Vocalis etwas milder aus, was die Klangbalance insgesamt wärmer und dunkler geraten lässt als man es von „normalen“, modernen HiFi-Lautsprechern vielfach kennt.
Die Hauptmission der Ilumnia ist jedoch, die Wiedergabe mehr nach „Live-Musik“ klingen zu lassen als nach „Studiokost“. Mit ihrem verzerrungsarmen Omni-Konzept geht es ihnen genau darum. Das bedeutet: Die Klangbilder der Ilumnia Vocalis sind groß und füllig, liefern aber weniger von der gewohnten „audiophilen Kantenschärfe“. Nach meiner Erfahrung mit Live-Musik – mit den Ohren auf einem Sitzplatz im Publikum und nicht dort, wo die Stütz-Mikrofone stehen – ist genau diese „Klangdichte“ essenziell. Brachiale Violinen-Einsätze klingen mit den Vocalis wie ein großer Organismus und lassen sich nicht in einzelne Spieler aufdröseln – und wenn doch, dann ist das Orchester zweitrangig!
Testpakete fürs Probehören des Lautsprechers daheim: Hier finden Sie weitere Informationen dazu.
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Test: Ilumnia Vocalis | Kompaktlautsprecher