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Dieser Testbericht erschien im Oktober 2019 im englischsprachigen Audio Review Magazin 6moons.com und kann dort in der Originalversion gelesen werden: Ilumnia Vocalis. Er wurde durch uns auszugsweise übersetzt und wird hier den deutschsprachigen Lesern präsentiert. 6moons und fairaudio haben die Übereinkunft, gegenseitig ausgewählte Artikel zu übersetzen und für die englische beziehungsweise deutsche Leserschaft zu publizieren. Der Autor des Artikels ist am Anfang des Textes genannt. Der Bericht und alle Bilder unterliegen dem Copyright von 6moons.
Ihr fairaudio-Team
(Webseite des deutschen Ilumnia-Vertriebs: https://acm-audio.de/ | Die Lautsprecher lassen sich daheim zur Probe hören, hier finden Sie weitere Informationen dazu.)
von Srajan Ebaen
Die Treiber der Ilumnia-Lautsprecher der belgischen Brüder Tom und Jef Nuyts kommen ohne Sicken aus Kautschuk, gefaltetem Papier, Schaumstoff oder Leder aus und verzichten sogar auf das innere Äquivalent, die Zentrierspinne, die üblicherweise aus imprägniertem, gewelltem Gewebe besteht. Wie ist das möglich?
Fragte man Gilles Milot von Leedh, was die generellen Schwachstellen dynamischer Lautsprechertreiber sind, würde er wahrscheinlich „ein Weicheisenpolstück im Motor, die Sicke und die Zentrierspinne“ als die drei entscheidenden Komponenten nennen, die die meisten Probleme in traditionellen Lautsprechern verursachen. Fertin Acoustic bietet mit dem Modell 8 einen Lautsprecher an, der mit drei Kohlefaserstäben die Beschränkungen traditioneller Aufhängungen auf ganz eigene Weise überwinden möchte. Ähnliches gibt es bei Cube Audio, deren Breitbänder zwar die klassische Sicke beibehalten, aber die herkömmliche Spinne durch eine gefräste Phenolfeder ersetzen. Keiner der genannten Treiber ist jedoch so radikal wie das 8-Zoll-Chassis von Ilumnia mit seiner „umgekehrten Pyramide“.
Die Ilumnia Vocalis (Preis der MkI-Version zum Testzeitpunkt 2019: 14.500 Euro) sind über einen weiten Frequenzbereich omnidirektional abstrahlende, durchschnittlich wirkungsgradstarke Kompaktlautsprecher, die nahezu als Punktschallquellen durchgehen. Ihr einzigartiger Breitbänder arbeitet mit einem ScanSpeak-Illuminator-Hochtöner zusammen, der in einer doppelwandigen Kammer residiert, die, von einem Stiel gehalten, über dem Haupttreiber schwebt.
Das Schichtholzgehäuse der Lautsprecher – eine aufwendige Konstruktionsmethode, die sowohl von Magico als auch von TAD aus Kostengründen und weil sie schwierig zu realisieren ist, aufgegeben wurde – besitzt einen Netzkabelanschluss. Dieser ist jedoch nicht für einen integrierten Verstärker gedacht, sondern ermöglicht die – Achtung, jetzt kommt’s – elektromagnetische Aufhängung des Ilumnia-Treibers über eine zweite Schwingspule. Das Ganze nennt sich „Linear Excursion Motor System“ (LEMS). Diese ungewöhnliche Technologie der Gebrüder Nuyts soll einen Großteil der elektrischen und mechanischen Verzerrungen beseitigen, die bei allen herkömmlichen dynamischen Lautsprechern auftreten. Nach 20 Jahren als HiFi-Journalist ist dies natürlich etwas, das ich einfach selbst hören muss!
Alle guten Dinge beginnen in einer Garage
Oft entstehen radikal neue Ansätze nicht in einer gut finanzierten High-Tech-Firma mit einem ganzen Kader von Ingenieuren, sondern in einer Garage – durch Enthusiasten, die den Job von der Pike auf gelernt haben. Angesichts der langwierigen Forschungs- und Entwicklungsarbeit, die dem radikal neuen Treiber von Ilumnia vorausging, darf man annehmen, dass es wohl Jahre dauern wird, bis sich diese Investitionen amortisiert haben werden und echte Gewinne erwirtschaften, die nicht gleich wieder in das Unternehmen gesteckt werden müssen. Vielen Menschen mit sicheren Jobs dürfte die Idee, ein solches Start-up zu gründen, ziemlich verrückt vorkommen.
Aber da war diese verrückte Idee mit der elektromagnetischen Aufhängung … Tom von Ilumnia führt dazu aus: „Durch die Verwendung von zwei Spulen, eine für das Signal und eine für die Aufhängung, haben wir eine doppelte Dämpfung. Da wir den Punkt der ‚kritischen‘ Dämpfung erreichen wollten, mussten wir die elektromagnetische Gegenkraft der zweiten Spule eliminieren, denn sonst würde unser Treiber mit Transistorverstärkern mit hohem Dämpfungsfaktor zu stark gedämpft werden. Unsere Lösung besteht darin, die zweite Spule mit einer Strom- statt mit einer Spannungsquelle zu betreiben. Unser Standlautsprecher Ilumnia Magister verfügt über eine justierbare Aufhängung, mit der sich die Resonanzfrequenz des Tieftöners steuern lässt. Dies hat auch einen Einfluss auf die höheren Frequenzen. Die Vocalis besitzt zwar keine justierbare Aufhängung, verwendet aber ebenfalls eine Stromquelle für die Aufhänge-Spule.“
Kurz und gut: Bei diesem Lautsprecher gibt es keine Sicke und keine Zentrierspinne, dafür aber zwei Schwingspulen – eine für den Antrieb und eine für die Aufhängung der Membran.
Technik im Detail
Tom Nuyts von Ilumnia erklärt die Effekte des LEMS auch anhand von Messungen: „Viele unserer Daten stammen aus einer Forschungsarbeit von Dr. Klippel zu diesem Thema. Auf Seite 65 dieser Arbeit fasst er das Ganze in einer Schlussfolgerung zusammen. Das erste Diagramm zeigt die Teile eines typischen dynamischen Lautsprechers, die ein nichtlineares Verhalten, d. h. eine Verzerrung, verursachen können.“
Die nächsten Diagramme zeigen typische Verzerrungen im Zusammenhang mit der Aufhängung und deren Auswirkung auf die X/I-Kennlinie. Diese Linie zeigt die Auslenkung der Membran im Verhältnis zum Strom. Eigentlich sollte man erwarten, dass die Auslenkung der Membran mit jedem Schritt, beispielsweise einer Stromerhöhung um 0,5 A, gleich anwächst. Aufgrund der Kompression durch die Aufhängung ist das jedoch nicht der Fall (lila Linie). Bei unserem LEMS ist das anders (rote Linien), und bei der Ilumnia Magister ist es sogar einstellbar.
„Das folgende Diagramm zeigt, was diese Nichtlinearitäten für eine niederfrequente Sinuswelle bedeuten.“
„Kommen wir zu den elektrischen Nichtlinearitäten. Im Allgemeinen nimmt die zusätzliche Kraft des Motors ab, je stärker der Treiber angetrieben wird. Das liegt daran, dass die Spule allmählich das Magnetfeld verlässt. Zusätzlich zur abnehmenden Kraft gibt es eine weitere Nichtlinearität durch den Umstand, dass die magnetische Baugruppe eines Treibers die Flussänderungen auf der positiven und negativen Seite der Magnetbaugruppe nicht spiegelt. Hier sehen Sie die charakteristischen Graphen eines ScanSpeak 18W und eines Seas 18M, die in dieser Preisklasse oft eingesetzt werden.“
„Als nächstes sehen wir die Kraftfaktorkurve unseres Treibers, das ist die weiße Linie. Sie sehen, dass auch wir einen Kraftabfall erleiden, wenn unsere Spule das Magnetfeld verlässt. Wir lösen das Problem mit unserer Aufhängung. Die orangefarbene Linie zeigt die Kraft unserer Aufhängung, die den Konus in seine neutrale Position zurückzieht und damit die Spinne und die Sicke ersetzt. Wir kompensieren den Kraftverlust der ersten Spule, indem wir die Gegenkraft unserer Aufhängung an den Enden der Auslenkung verringern. Die grüne Linie zeigt dies. Sie sehen, dass die Kraft der Aufhängung abnimmt, wenn die Leistung des Motors sinkt. Das ist genau das Gegenteil von dem, wie sich eine herkömmliche Aufhängung verhält. Das Ergebnis ist praktisch keine Kompression, aber was noch wichtiger ist, keine Intermodulation oder Amplitudenmodulationsverzerrung.“
„Man könnte mit den Schultern zucken und denken, dass die Verzerrungen, die traditionelle dynamische Lautsprecher aufgrund ihrer Konstruktion erleiden, ähnlich sind wie Jitter in der Digitaltechnik, bei dem die Ingenieure ein paar Pikosekunden „jagen“. Man könnte mutmaßen, dass all dies nicht groß anders sei als der Klirrfaktor, den Verstärkerentwickler unter 0,0005 % zu drücken versuchen … Doch leider zeigen die nächsten Diagramme deutlich, dass die bei weitem größten Verzerrungen eines HiFi-Systems immer von den Lautsprechertreibern verursacht werden.“
„Die Zahlen oben sind typisch, das heißt also circa 10 – 30 % Verzerrung bei der nominal möglichen Auslenkung. Dies sind Beispiele für alle Arten von Verzerrungen. Das Beispiel mit der dicken schwarzen Linie zeigt den Effekt in Summe. Unterhalb von 100 Hertz erreicht die Verzerrung leicht 10 – 30 %, oberhalb von 100 Hertz sinkt sie auf etwa 1 – 2 %. Aber denken Sie daran, dass dies mit stationären Testtönen gemessen wurde. Wenn Sie ein Musiksignal abspielen, wirkt sich die Verzerrung eines 40-Hertz-Tons auf einen 200-Hertz-Ton darüber um den gleichen Betrag aus. Das Diagramm zeigt also vielleicht 1 % bei 400 Hertz an, aber dieser Wert könnte sich erhöhen, wenn gleichzeitig Basstöne auftreten, wie es bei Musik nun mal der Fall ist. Die kombinierte Grafik zeigt außerdem, dass die schwarze Linie fast auf der blauen Linie verläuft, die die Verzerrung der Aufhängung widerspiegelt. Das bedeutet, dass die Aufhängung der Chassis für den größten Teil der Verzerrungen der heutigen Lautsprecher verantwortlich ist. Auf diese Weise kam Dr. Klippel zu seinen Schlussfolgerungen, und deshalb haben wir uns bemüht, diese Hauptquellen für Verzerrungen in unserem Lautsprecherchassis zu eliminieren.“
Praktisches
In seiner derzeitigen Ausführung ist der Treiber der Ilumnia Vocalis nach oben gerichtet und setzt damit seinen Luftspalt dem Staub aus. Sollte mal irgendetwas eindringen und scheuern, erklärt das Handbuch, wie sich das Problem mit einem dünnen Stück Papier im Handumdrehen lösen lässt. Gut zu wissen: Der zentrale Metallpol des Treibers dient als Kühlkörper, der sich bei der Benutzung leicht erwärmt. Wenn der Netzschalter ausgeschaltet ist, geht der Treiber in seine Ruheposition und zieht sich unter den Rand des Metallrings zurück. Wird er eingeschaltet, hebt er sich sofort wieder an. Ilumnia empfiehlt eine 30-minütige Aufwärmphase, damit der Treiber seine volle Leistung entfalten kann, aber selbstverständlich kann man auch sofort Musik hören.
Test: Ilumnia Vocalis | Kompaktlautsprecher