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Gibt es ein Audio-Thema, zu dem einem noch mehr Klischees einfallen als zu italienischen Produkten? Ich glaube kaum. Deshalb könnte „Il suono italiano“, der Slogan des italienischen HiFi-Vollsortimenters Gold Note (Vertrieb: www.tad-audiovertrieb.de), auf eine ganz falsche Fährte führen. Denn was man damit assoziieren mag, trifft auf den Plattenspieler Giglio (Preis: 4.190 Euro) so gar nicht zu. Der ist nämlich kein romantisches, sondern ein sehr modernes Produkt.
„Noch‘n Klischee“, hätte Heinz Erhardt gesagt, aber wieder eines mit wahrem Hintergrund: Auch Gold Note wurde aus Unzufriedenheit über den Status quo der Audioszene vor über 25 Jahren gegründet. Der Ingenieurstudent Maurizio Aterini hatte schon früh HiFi-Geräte modifiziert, nun begann er während seines Studiums einen eigenen Plattenspieler zu entwickeln. Aus Aterinis Impuls hat sich im vergangenen Vierteljahrhundert ein wirklich bemerkenswertes Unternehmen namens Akamai entwickelt, das inzwischen jedes zur Musikwiedergabe nötige Gerät anbietet, selbst Kabel sind im Angebot.
Der Einzelkämpfer Aterini hatte anfangs für andere Firmen entwickelt und seine Produkte später unter dem Namen Blue Note angeboten, was ihm aus nachvollziehbaren Gründen, namentlich dem Einspruch der legendären Jazz-Plattenfirma, untersagt wurde. Daher gründete er zusammen mit seiner Frau und einem Partner 2012 die Firma, deren Produkte wir heute unter dem Namen Gold Note kennen. Auf ihrer Website sieht man neben den alten Hasen erfreulich viele junge Mitarbeiter, was auf eine gute Verschmelzung von Erfahrung, Tradition und Innovation deutet.
Über die Brücke
Die Gestaltung der Gold-Note-Geräte liegt in den Händen des hauseigenen Designers Stefano Bonifazi – eher die Ausnahme in der Audiowelt von heute. Und natürlich fällt die hübsche Zarge des Giglio jedem zuerst ins Auge. Doch sie sieht nicht nur elegant aus, sie ist auch nach speziellen Kriterien konstruiert und trägt entscheidend zur Gesamtperformance bei.
Die untere Zargenhälfte ist aus massivem Walnussholz geformt und erinnert an die Wellen des Mittelmeers. Konstruktionstechnisch folgt sie den sogenannten Catenary-Kurven oder Kettenlinien, die unter anderem für die besondere Stabilität mittelalterlicher Pfeiler verantwortlich waren. Was nach Lokalpatriotismus klingen mag, hat einen seriösen Hintergrund. Im 16. Jahrhundert waren Florenz und die Toskana, woher Aterini und seine Mitstreiter kommen, der Schmelztiegel von Kunst, Handwerk und Technologie in Europa. Michelangelo, ihr berühmtester Protagonist, baute unter anderem die Santa-Trinita-Brücke über den Fluss Arno nach eben diesen mathematischen Prinzipien wegen der daraus resultierenden strukturellen Qualität. Die Zarge des Giglio erhält ihre endgültige Gestalt durch das Oberteil aus poliertem Acryl und einer 3 mm starken Edelstahlplatte quasi als Sandwichbelag dazwischen. Die unterschiedlichen Resonanzeigenschaften der Materialien sollen unerwünschte Schwingungen besonders gut absorbieren und ableiten.
Die No 2
Der Giglio ist die No 2 im Plattenspielerportfolio der Toskaner. In ihm fließen alle Aspekte Florentiner Tradition zusammen – Ästhetik, Design und High-Tech. Das Augenfälligste ist natürlich sein Design, das allerdings wie beschrieben kein Selbstzweck ist. Hinter dem Namen Giglio verbirgt sich die Lilie, Wappenblume von Florenz sowie der Name der zweitgrößten Insel der sieben toskanischen Archipele. So wird dann auch ein Schuh aus dem Mittelmeer-Wellen-Vergleich.
In der Giglio-Produktbeschreibung bin ich über den Begriff „Hourglass Design“ gestolpert. Aterini meint damit die Form des Motorpulleys, die an ein Stundenglas erinnert. Dadurch soll eine besonders stabile Rotation mit minimalem Schlupf und idealer Selbstzentrierung des Riemens gewährleistet werden. Durch den flachen Pulley läuft der Riemen weit unten am Teller, was schwingungstechnisch von Vorteil sein und den Gleichlauf verbessern soll. Macht Sinn, denn je höher das Pulley baut, desto länger müsste die Motorachse werden, was tendenziell nachteilig ist.
Der drehzahlüberwachte 12-Volt-Synchronmotor aus der Schweiz trägt offenbar einen wichtigen Teil zur enormen Durchzugskraft des Giglio bei. Sein computergesteuertes Netzteil glättet den Sinus für einen sehr guten Gleichlauf und erlaubt neben der Drehzahlumschaltung von 33 1/3 auf 45 rpm eine Geschwindigkeitsfeineinstellung samt Speicherfunktion.
Rock’n‘Roll
Ich wollte genauer wissen, woher der enorme Drive des Giglio kommt, denn das scheint mir seine herausragende Eigenschaft zu sein. So richtig wollte sich Maurizio Aterini nicht in die Karten schauen lassen und antwortete diplomatisch, das läge am Gesamtdesign des Giglio. Ja sicher, ist klar, da wäre ich nicht drauf gekommen – und natürlich hat er (auch) recht. Ein paar Kriterien hat er mir dann aber doch verraten: die feste Kopplung von Plattenteller und langer Lagerspindel; das Tellermaterial und die verschiedenen Resonanzfrequenzen der Materialien, die ideal aufeinander abgestimmt sind; der kräftige Motor mit seiner exakten Steuerung und schließlich das beschriebene Zargendesign, das für die maximale Verwindungssteifheit der gesamten Einheit sorgt.
Der 33 mm starke Plattenteller des Giglio besteht aus SUSTARIN C (Copolymer), landläufig als POM bekannt. Das Material hat beste Dämpfungseigenschaften, ist kratzunempfindlich und lässt sich hervorragend zerspanen. Eine geringe Wasseraufnahme und Kriechneigung erlaubt die Herstellung eng tolerierter Fertigteile. Das ebenfalls mit geringsten Toleranzen hergestellte Tellerlager ist aus poliertem Messing. Die geteilte Spindel ist 60 mm lang und aus poliertem und hitzebehandeltem C40-Stahl gefertigt. Aterini meint, die lange Spindel sei zwar schwierig herzustellen, garantiere aber den größtmöglichen Abstand zwischen Lagerkontakt (Kugel) und Eintauchpunkt der Abtastnadel, was wünschenswert sei. Die 5-mm-Lagerkugel aus Tungsten dreht geschmeidig auf einem Bronzelagerspiegel. Der kardanisch gelagerte Tonarm mit seitlichen Spitzenlagern und Kugellagern im Armschaft ist vornehmlich aus Aluminium 6000 gebaut, alle Parameter wie Azimuth etc. sind einstellbar.
Luft nach oben
Den Plattenspieler aufzubauen ist ein Leichtes. Ich mag zwar Spikes nicht besonders gerne und hätte sie auch gegen Absorber ersetzt. Doch beim Giglio blieb mir keine Wahl, da sich die frontseitige Wellenform des Holzunterbaus auch auf der Unterseite fortsetzt und dadurch keine plane Auflagefläche besteht. Technisch ergibt das Sinn, da sich so stehende Wellen und Resonanzen brechen lassen.
Das Gegengewicht lässt sich auf den hinteren Armstummel trotz händischem Gegendruck aus meiner Sicht nur mit viel zu viel Krafteinwirkung auf die empfindlichen Lager aufschieben. Um ehrlich zu sein, scheint mir hier wie auch beim etwas sperrigen Handling des Tonarms die Grenze toskanischer Feinmechanik erreicht zu sein.
Luft nach oben besteht für meinen Geschmack auch beim hauseigenen, vormontierten Donatello-Gold-Tonabnehmer (990 Euro). Vor allem bei Klavieranschlägen fiel mir im Vergleich zu meinem Lyra Delos eine gewisse Rauheit auf. Basswiedergabe und Raum stimmten bereits, aber die Geschmeidigkeit fehlte, ein typischer Fall von mangelnder Einspielzeit. Als mir das der Vertrieb auf Nachfrage bestätigte, hatte ich das Delos bereits eingebaut und das blieb auch so. Klar, das Lyra Delos ist mit 1.600 Euro deutlich teurer als das Donatello Gold, aber die Kombination mit ihm gefiel mir einfach besser. Vor dem Umbau habe ich dem Donatello Gold natürlich noch weitere Einspielstunden gegönnt und glaube schon sagen zu können, dass das System eher den Dynamikliebhaber als den ausgesprochenen Feingeist anspricht.
Gold Note Giglio: Klangeindruck und Vergleiche
Der Gold Note Giglio ist trotz seiner hübschen Larve ganz sicher kein vordergründiger Schönspieler. Er klingt eher straff als fett, drahtig als weich und knackig als rund. Zusammen mit dem Lyra Delos gelang es mir zu vergessen, dass ich es mit einem Wiedergabegerät zu tun habe, ich begann einfach nur noch Musik zu hören. Man kann so etwas nicht wollen, es passiert einfach und das merke ich daran, dass ich Platte um Platte auflege.
So zum Beispiel Roisin Murphy (Album: Take Her Up To Monto; auf Amazon anhören). Im Jahr vor dieser Aufnahme hatte ich sie live gesehen und meine Ahnung, sie sei die weitaus bessere Madonna, wieder einmal bestätigt gefunden. Nun scheint sie wieder die Bühne der Musikarena des Münchner Tollwood Festivals zu betreten und sich auf der gesamten Breite und Tiefe zu bewegen. Es kommt wirklich selten vor, dass ich die Augen schließe und mich dann am realen Ort des Geschehens wähne. Mit dem Gold Note kann ich wieder in diese merkwürdige Mischung aus Indie, Elektro, Elfe und Disco eintauchen und folge den teilweise seismisch tiefen Bässen genau so leicht, wie Rosie Murphys Gesang und den wabernden Synthielinien. Mein Eindruck ist, dass die Tieftonfähigkeiten hier nur von meinen Lautsprechern begrenzt werden.
Am anderen Ende des Frequenzschriebs darf ich eine glitzernde Hochtonabbildung genießen, sie wirkt seidig und extrem ausgedehnt – dabei aber neutral und nicht forciert. Und das Wichtigste: Die Auflösung ist stupend und trägt Züge von Masterbandästhetik, sprich einer dezidiert analogen, stressfreien Wiedergabe, die ausgesprochen natürlich wirkt. Genau das vermisse ich öfter mal bei Drehern von Acoustic Solid oder auch Transrotor, die zwar hervorragend auflösen und neutral spielen, den Zuhörer aber trotzdem schon mal links liegen lassen können.
Vom legendären Tenorsaxofonisten Sonny Rollins (Album: Tour de Force; auf Amazon anhören) kann man gar nicht genug Platten haben und ich frage mich, wann ein Albumtitel je mehr Programm war. Die Einspielung aus dem ersten Studio des legendären Aufnahmeingenieurs Rudy van Gelder im Wohnhaus seiner Eltern klingt, als wäre sie in einem heißen, rauchigen Club entstanden. „On fire“ sagen die Amerikaner zu so einer Performance, die 1957 den Free Jazz vorwegnimmt. Mehr Attacke geht nicht, das ist wie so eine Art Bop-Punk! „B. Quick“ klingt, als würde ich es auf 45 abspielen, so viel Dynamik schüttelt der Plattenspieler mit dem Delos aus 33 1/3 Umdrehungen. Das war die letzte Aufnahme von Rollins für die Plattenfirma Prestige und genau so klingt sie auch: Mit einer Art musikalischer Rakete bricht er hier zu neuen Ufern auf. Der Giglio ermöglicht mir, das zu verstehen – er dreht stoisch und zugleich involvierend, mit geradezu unbeirrbarer Auflösung durch diese Energiekugel an Musik seine Runden. Mein Pear Audio spielt im Vergleich etwas wärmer, verfügt über eine rundere, sonorere Mittenwiedergabe und ja, das ist vielleicht nicht ganz die reine Lehre. Da ist der Italiener – das mag für den einen oder anderen eine Überraschung sein – sogar der ehrlichere Klangvermittler.
Mit Eric Dolphy geht es mir kaum anders (Album: Far Cry; auf Amazon anhören). Fast scheint es mir, als hätte ich diese Platte, die ich schon so lange besitze, noch nie wirklich gehört. Wo steht denn Roy Haynes Schlagzeug da im Raum? Fast habe ich den Eindruck, er thronte über der Band und tatsächlich, als ich nachsehe, stelle ich fest, dass diese Aufnahme in Rudy van Gelders eigenem Studio in Engelwood Cliffs entstanden ist – einem sehr hohen Raum, der an ein Kirchenschiff erinnert. Die schiere Ausdehnung in alle Raumdimensionen finde ich im wahrsten Wortsinn unerhört.
Und dann packt mich dieser Rhythmustanz von Dolphy mit seiner Bassklarinette. Attacke, Dynamik und Transientenspeed beschreiben den Klang von Gold Note Giglio und Lyra Delos hier am besten. Die Klappen des Instruments sind auf faszinierende Weise sehr deutlich wahrnehmbar, ich höre sozusagen wie mit einem guten, involvierenden, hochauflösenden Transistorverstärker und nicht mit einer schwelgerischen Röhre. Wie silbrige Glühwürmchen tanzen die Klappengeräusche von Dolphys Bassklarinette um meine Ohren. Je mehr Zeit ich mit dem Giglio verbringe, desto mehr schätze ich seine tonal neutrale, ehrliche Wiedergabe, die sich in einer Art ermüdungsfreier Durchhörbarkeit manifestiert; die aber, wie zum Beispiel bei Roisin Murphy, jederzeit mit einem gnadenlos trockenen Bass angereichert sein kann, wenn er denn auf der Platte ist.
Als ich schließlich die Beatles höre (Album: Let it be), zaubert mir der Giglio ein breites Grinsen ins Gesicht: Wie herrlich klingen denn die Stahlsaiten der Gitarre(n) und wie hymnisch steigen die Chöre dahinter nach oben in einen irre gut und extrem tief ausgeleuchteten Raum? Alle Schichten der Produktion von „Across the Universe“ bis hin zum Endmix von Phil Spector scheinen sich mir zu offenbaren. George Harrisons „I me mine“ rockt mit seiner richtig dreckigen Gitarre direkt aus der Mitte, hier zeigt der Giglio Auflösung und gleichzeitig Integrationsfähigkeit. Nicht einmal die Streicher auf „The long and winding road“ nerven mich, auch wenn ich für immer ein Fan von Let it be naked bleiben werde, der viel später erschienenen Platte ohne den Produktionsanteil von Phil Spector und damit auch ohne Streicher.
Marktgeschrei: eine Einordnung
Ich muss noch ein Wort zum Preis des Giglio verlieren: Knapp 4.200 Euro für ein Laufwerk mit Tonarm sind natürlich kein Pappenstiel und der Markt ist gerade in diesem Segment dicht umkämpft. Etwas darunter angesiedelt findet man Plattenspieler wie den Acoustic Solid Wood Black, den Acoustic Signature Double X, den Transrotor Fat Bob TMD oder den Dr. Feickert Volare – immer mit Tonarm. Preislich etwas darüber liegt der Rega Planar 10 vom selben Vertrieb, der Dr. Feickert Woodpecker oder mein Captain John Handy SE von Pear Audio.
Mit dem habe ich den Giglio genauer verglichen: Grundsätzlich spielt der Gold Note Giglio straffer, ja, wenn man so will: moderner, allerdings insgesamt nicht so geschmeidig wie der Pear, der seine Stärken in einer durchsichtigen, natürlichen und tonal reichhaltigeren Wiedergabe hat – während der Italiener eher mit Dynamik und Drive punktet.
Test: Gold Note Giglio | Plattenspieler