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Gerade bei höheren Lautstärken, so Genelec, bieten drei gegenüber zwei Wegen Vorteile, da durch den separaten Mitteltonzweig Klarheit und Transparenz gefördert werden. Insbesondere, so mag man ergänzen, wenn eine Box echten Tiefbass und gleichzeitig hohen Pegel können soll, haben drei Treiber-Spezialisten bisweilen konzeptionell die Nase vorn. Für die unteren Lagen wird je Kanal ein 10-Zöller eingesetzt, den eine 150-Watt-Endstufe auf Trab bringt. Die Endstufe muss wohl auch unterhalb der Resonanzfrequenz des Chassis weiter „nachschieben“, denn anders wäre die untere Grenzfrequenz, die Genelec angibt, kaum erklärlich: 26 Hz bei -3 dB! Da gibt es große Passivlautsprecher, die das nicht erreichen. Sechsundzwanzig – ich freue mich schon!
Neben den üblicherweise Erwähnung findenden Vorteilen koaxialer Chassis – geringere Interferenzprobleme, Punktschallquellencharakteristik, potenziell besser aufeinander abgestimmte Gruppenlaufzeit – fängt man sich freilich auch konzeptionelle Nachteile ein: Durch den Hub der Mitteltonmembran wird die Abstrahlung des Hochtöners moduliert beziehungsweise können Dopplereffekte auftreten; zudem sind unerwünschte Kantenbrecher und Beugungserscheinungen durch Sicke, Außenkorb oder dessen Befestigungsschrauben nicht selten. Beides verursache einen gewissen „Ripple“, also Unebenheiten im Frequenzschrieb, so die Finnen.
Gegen das erste Problem gibt es eine simple Medizin – man lasse den Mitteltöner einfach weniger Hub machen, kopple ihn also nach unten recht früh ab. Bei der Genelec 8260 erfolgt die Trennung bei 490 Hz, der gesamte Bass-/Grundtonbereich wird also vom 10-Zöller eine Etage tiefer gestemmt.
Zur Lösung des zweiten Problems ist schon ein wenig mehr konstruktiver Gehirnschmalz nötig. Man kennt Ähnliches beispielsweise auch von KEF (siehe auch Tests KEF R900 und KEF Q900). Bei den Briten sind die Sicken der „UNI-Q“-Koaxe sehr flach ausgeführt, um unebene Übergänge Richtung Schallwand zu vermeiden, und der Treiberkorb ist von außen ebenfalls nicht zu sehen, dafür gibt‘s Blendringe. Genelec geht es anders an: Die Sicke ist nach innen verlegt worden, der Übergang Mitteltönermembran/Gehäuse fällt folglich völlig nahtlos aus, und so auch der Richtung Hochtöner. Ja, dank der charakteristischen Mulde des 8260-Gehäuses „sieht“ der Hochtöner eine völlig ebene und sich definiert öffnende Schallführung, was der homogenen Schallabstrahlung nützen soll. Wer sich auf den Genelec-Jargon einlässt, spricht jetzt von einem „Minimum Diffraction Coaxial“-Treiber der in einem „Directivity Control Waveguide“ steckt. MDC hin, DCW her, eine Nahaufnahme sagt wahrscheinlich mehr als tausend Akronyme:
Koax-Treiber der Genelec 8260. Hinter Gittern: Die Aluminium-Hochtonkalotte, hellgrau drum herum: die schaumstoffartige Oberfläche der Mittelton-Sandwichmembran
Mittel- und Hochtöner werden übrigens von je einer 120-Watt-Endstufe angetrieben, zusammen mit dem Bassabteil stehen also in Summe 390 Watt pro Kanal zur Verfügung. Bei allen drei Wegen werden Class-AB-Verstärker verwendet.
Die Trennung der Frequenzbereiche erfolgt, wie schon erwähnt, durch einen DSP-Chip. Danach gefragt, worin man denn den Vorteil einer Trennung durch einen digitalen Signalprozessor im Vergleich zu der mit einer analogen Aktivweiche sehe, erhalte ich zur Antwort, dass dies zumindest kein Nachteil sei … Die Entscheidung „pro DSP“ sei nicht aus Gründen einer vermeintlich klanglich vorteilhaften Weichentechnik gefallen, sondern um eine umfangreiche Raumoptimierung des Lautsprechers zu ermöglichen; umfangreicher als das, was über die rückseitigen DIP-Schalter angeboten wird (im Wesentlichen Bass-/Höhen-Absenkung). Wenn aber ohnehin schon Digitalfilter zur Anpassung an die Raumakustik benutzt werden, dann kann man an derselben Stelle auch gleich die Weiche implementieren. Das leuchtet ein.
Prinzip-Zeichnung des Genelec-8260-Koax
Ein sich damit ergebender Vorteil liegt darin, dass die Genelec 8260 auch digital angesteuert werden kann. Die erste und einzige Wandlung ins analoge Signal erfolgt dann erst kurz vor den Endstufen des Lautsprechers. Direkter geht’s kaum. Der korrespondierende Nachteil liegt auf der Hand: Möchte man die Box analog ansteuern, wird zunächst ins Digitale gewandelt, im DSP gewerkelt und hernach wieder in die analoge Welt zurückgewandelt. Man hat folglich – im Vergleich zu analogen Aktivboxen – zwei zusätzliche Konvertierungen im Signalweg. Aber am Ende des Tages ist natürlich entscheidend, was hinten rauskommt – und dazu weiter unten mehr.
Zwei Dinge empfinde ich als ein wenig umständlich, hier merkt man die Herkunft aus dem Studiobereich sehr deutlich:
Erstens: Dass man analog nur symmetrisch hineinkommt, kann ich verschmerzen. Symmetrische Vorstufenausgänge sind so selten nicht, gegen einen optionalen Cinch-Eingang hätte ich gleichwohl nicht protestiert. Aber dass ich digital nur via AES/EBU hineingelassen werde, ist schon ein Manko. Nur wenige HiFi-Digitalquellen haben das drauf. Also bitte bei der nächsten Überarbeitung der Genelec 8260 noch eine S/PDIF- sowie am besten auch eine USB-Schnittstelle einbauen. Natürlich gibt es für überschaubares Geld entsprechende Adapter/Konverter, aber wenn ich eine Box für um die 9.000 Euro kaufe – will ich mir dann Gedanken über Adapter machen?
Zweitens: Dass es keine normale Fernbedienung für die Lautstärke gibt, ist schon etwas seltsam. Ja, ich weiß, ich muss nur die Genelec-Loudspeaker-Management-Software kaufen, diese auf einen Rechner installieren, den via USB an ein spezielles Kästchen anschließen, …
… von welchem eine Ethernetstrippe zu einem Kanal der 8260 geht, von dem dann ein weiterer Verbinder zum anderen …
… und – schwuppdiwupp! – schon lässt sich der Pegel dieses „Lautsprecher-Netzwerks“ mit einem Fader (siehe Bild rechts) einstellen. Aber, liebe Leute, darauf hat natürlich niemand außerhalb eines Studios die geringste Lust. Wirklich nicht. Gut, die Software kann deutlich mehr als nur die Lautstärke justieren – dazu komme ich gleich –, aber trotzdem ist das doch eine sehr umständliche Fernbedienung. Doch was heißt „Fernbedienung“? Es ist überhaupt die einzige Art, wie ich den Pegel innerhalb des Lautsprechers – also an der Stelle, die eigentlich dafür vorgesehen ist, nämlich im DSP – einstellen kann. (Natürlich kann ich „außerhalb“, also quellseitig den Pegel variieren. Ist es aber elegant, in der Quelle auf digitaler Ebene die Lautstärke anzupassen, wenn beim Empfänger, der Box, im DSP sowieso noch einmal gerechnet wird?)
Genug gemeckert: Besagte Genelec-Loudspeaker-Management-Software (GLM) dient in der Tat nicht einfach nur als Pegelsteller, das Tool kann bis zu 25 Monitore und fünf Subwoofer verwalten, was wohl auch in Surround-Studioanwendungen als heftigeres Setup durchgehen dürfte. Eine automatische Raumeinmessungs-Funktionalität („AutoCal“) ist ebenso mit an Bord wie zehn (optional manuell einstellbare) Akustikfilter – vier Shelving- und sechs Notchfilter – zur individuellen Klangabstimmung der Lautsprecher. Zur Raumeinmessung braucht‘s natürlich ein Mikro, wofür Genelec im Bundle mit der Software rund 700 Euro aufruft. Ich glaube, ich würde meinen Händler nett, aber bestimmt fragen, ob er die Messung für mich übernimmt, denn für eine Einmessung, mehr braucht man als einfacher HiFi-Kunde in der Regel ja nicht, finde ich das ein wenig happig (ohne Mikro liegt die GLM-Steuerung bei 279 Euro).
So unpraktisch das mit der Lautstärkeeinstellung ist, so einfach geht die Kalibrierung von der Hand: Verkabeln – Software aufrufen – zwei Sweep-Töne laufen lassen – Korrekturfilter abspeichern – fertig. Zehn Minuten dauert das. Man kann natürlich auch zehn Tage damit verbringen, das 80-seitige Manual zur Software zu studieren, um auch die letzten Feinheiten kennenzulernen. Muss man aber nicht.
Was macht die AutoCal-Funktion nun? In der Hauptsache versucht sie die Raummoden auszugleichen. Hierzu werden Peaks im Frequenzgang abgeflacht, Dips hingegen so belassen – der Versuch, ein Moden-„Tal“ aufzufüllen, bringt Endstufen leicht ans Limit, zudem sind die Berge akustisch kritischer als die Täler. Über 2 kHz wird per AutoCal generell nicht mehr korrigiert. Es wird also mit Bedacht eine raumabhängige Frequenzgangglättung im Bass/Mitten-Bereich unternommen, wer darüber hinaus Dinge anpassen möchte, der kann sich innerhalb der GLM-Software „manuell“ an den Filtern austoben. Zudem erfolgt automatisch eine Pegel- und Laufzeitkorrektur zwischen linkem und rechtem Kanal, wenn der Abstand zum Messpunkt nicht exakt gleich sein sollte. In meinem Fall wurde eine 3-cm-Differenz mit einem Delay von 0,08 ms „ausgebremst“.
Test: Genelec 8260 | Aktivlautsprecher, Kompaktlautsprecher