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Laut gehen sie trotzdem – lauter als ich es bei mir zu Hause ausloten konnte. Glücklicherweise hatte ich aber während der Braunschweiger Funkausstellung die Gelegenheit, die Dynaudio X38 auch in dieser Disziplin zu erleben. Es ist schon sehr beeindruckend, über diese schlanken Lautsprecher ein großes Orchester beim Danse Macabre in höchster Lautstärke zu erfahren. Tutti komprimiert sie dynamisch so gut wie gar nicht, selbst die großen Pauken kommen beeindruckend echt rüber. Das mögen Lautsprecher, die insgesamt einseitiger auf Grobdynamik ausgelegt sind, noch effektvoller und plakativer hinkriegen (Klipsch, JBL, …), doch fehlt es solchen Speed- und Dynamikspezialisten dann häufig an Ausgewogenheit. Schnell sind die X38 übrigens auch, aber eben ohne sich selbst rechts zu überholen. Das bedeutet, dass Schallereignisse intakt bleiben und nicht in Höhen und „den Rest“ zerfallen.
So entführt mich Scott Walkers „Clara“ in (w)irre Klangwelten, die wie eine akustische Umsetzung von Alice im Wunderland auf Drogen anmuten. Wo andere Lautsprecher die fragmentarischen musikalischen Strukturen des Stücks durch klangliche Zerfaserung ins Nervige abgleiten lassen können, fesseln die Dynaudio X38 mit unnachahmlichem Integrationswillen und purer Natürlichkeit, lassen mich Scott Walker auf seinem musikalischen Trip begleiten und die bizarre Schönheit der Klangwunderwelt fasziniert und gebannt betrachten. Grandios, ergreifend, verstörend …
Gänzlich unverdächtig, audiophiles Gezirpe zu produzieren, sind die Todesmetall-Wikinger von Unleashed aus Schweden – im Gegenteil, hier wird seit 1989 schneller, roher Death Metal mit Nackenbrechergarantie serviert. Auch wenn die Outputs der Mannen um Frontschwein Johnny Hedlund dabei über die Jahre qualitativ stark variierten, ist das letzte Opus As Yggdrasil Trembles ein echter Hammer Thors geworden, der vom ersten Riff an wieder Lust auf stickige, feuchte Konzertkeller macht. (Ach, Ex-Haus a.k.a. Exil in Trier, wie oft ich Unleashed dort wohl live erlebt habe …?)
Mit den Dynaudio X38 muss ich an mich halten, die Lautstärke nicht auf ein Maß zu erhöhen, das der nächtlichen Uhrzeit wirklich nicht angemessen wäre: Ohne vom Lautsprecher aufoktroyierte Zurückhaltung dreschen die Gitarristen auf ihre Streitäxte ein, wirbeln die Trommeln und rasen die Double-Bass-Drums exakt voneinander abgegrenzt aus dem Raum zwischen den Boxen. Der Kick des Fells ist ebenso präsent und gut hörbar wie die Kessel, und sogar der E-Bass macht sich akustisch bemerkbar – ein absolutes Novum auf Unleashed-Alben! Klar hat diese Aufnahme keinen echten Tiefbass und auch keine himmelhoch auflösenden Frequenzeskapaden zu bieten, aber darum geht es auch nicht: Mit dieser Vorstellung besiegen die neuen Dynaudio Excite X38 mein frühaudiophiles „Trauma“ und beweisen, dass sie durchaus in der Lage sind, auch mal die Sau raus zu lassen. Nun ja, dem Zuhörer das schweißnasse Haar des Frontman ins Gesicht zu werfen und die Hitze und den Geruch nach Bier des Trierer Exils mit martialischer Brutalität und Lautstärke in die Magengrube zu donnern – das überlassen sie nach wie vor lieber ihren Cousins und Cousinen aus dem Horn-Lager. Ein wenig nordische Vornehmheit muss schließlich gewahrt bleiben …
Trotz dieser erstaunlichen Leistungen der Dynaudio X38 meldet sich mein Bauchgefühl mit „Da geht doch noch mehr!“ Schauen wir also, was Verstärker mit ordentlich Dampf so mit den Dynaudios anzustellen in der Lage sind und schließen die überaus kräftigen, schnellen und unbestechlichen AVM MA3.2 Monos an. Selbige sind Class-D-Verstärker und liefern stramme 420 Watt an die Anschlussklemmen der X38. Okay, das ist vielleicht akademisch und sicher keine Kombi, die in der Realität allzu oft anzutreffen sein wird. Angesichts dessen, was die X38 schon mit den 100 Watt des 3.500 Euro günstigen Majik DSM bieten, konnte ich es mir jedoch nicht entgehen lassen, sie an ihre klanglichen Grenzen zu bringen.
Und das war auch gut so, denn was mit den AVM-Monos passiert, ist fantastisch – und ich war nicht wirklich darauf vorbereitet. In jedem, absolut jedem Punkt wächst die X38 nun über sich hinaus und auf eine klangliche Ebene, angesichts derer ich mich mehr als einmal fragte, was eine Dynaudio Focus 340 (physisch in etwa die gleich Liga, mit knapp 5.000 Euro aber deutlich teurer) da noch draufsetzen kann: Unleashed haben offensichtlich nun noch einen Met mehr intus und rotzen ihren Schwedentod noch enthemmter raus. Irgendwie entsteht auch der Eindruck, der Platte sei bei einem Remastering noch mehr Druck und noch etwas mehr Präzision mitgegeben worden.
Mit klanglich anspruchsvollerer Kost wird schnell klar, dass die Dynaudio zwar (wie versprochen) schon in „normalen“ Ketten hervorragend spielen, aber durchaus auch in der Lage sind, Qualitätssteigerungen bei den vorgeschalteten Komponenten ungefiltert weiterzureichen: Der Raum, in dem die Musik spielt, wird nun noch weniger durch die physische Platzierung der Lautsprecher begrenzt, sondern baut sich knapp vor den Boxen beginnend auf, reicht von dort sehr tief nach hinten und scheint sogar in der Vertikalen kein Ende zu finden. Flöten auf guten Klassikaufnahmen schweben über der Lautsprecher-Ebene und ihr Echo scheint von den Wänden und der Decke des Aufnahmeraums (also von weit oberhalb der Lautsprecher) zu kommen – genial! Das erinnert mich ein wenig an Rundumstrahler à la German Physiks und könnte ein Verdienst der leicht nach oben orientierten Abstrahlcharakteristik sein – oder wäre das zu simpel gedacht?
Praktische Lösung: die „Schuhe“ der Dynaudio besitzen sowohl Gummisohlen wie Spikes
Wenn ich nun die finanziellen Aufwände für meine eigene Kette und diese Testkette vergleiche, komme ich nicht umhin zu bemerken, dass ich in beiden Fällen grob über den Daumen gepeilt bei der gleichen Summe rauskomme. Da fällt es mir gar nicht so leicht, zuzugeben, dass die Kombination aus Dynaudio X38, AVM MA 3.2 und Linn Majik DSM meinem geliebten vollaktiven Linn-System in den meisten Disziplinen die Butter vom Brot nimmt. Nur bei der Grobdynamik und (mit ganz knappem Vorsprung) der Körperhaftigkeit der Abbildung kann das in sich geschlossene Linn-Ökosystem noch seine Trümpfe ausspielen.
Test: Dynaudio Excite X38 | Standlautsprecher