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Das Testsystem ist nagelneu und damit eine Einspielzeit von sicherlich 30 bis 50 Stunden eigentlich unerlässlich. Doch lässt sich meine Neugier solange einfach nicht zügeln und ich höre während des Einspielens schon mal etwas intensiver rein. Erstaunlich, wie ausgeglichen das Stradivari bereits nach einigen wenigen Stunden zu spielen vermag. Da ist nichts von der Unausgegorenheit anderer MCs zu hören, wenn sie in quasi jungfräulichem Zustand durch die Rillen pflügen müssen. Bässe, Mitten und Höhen stehen bereits aus dem Stand im rechten Verhältnis zueinander. Zwar darf es an den Frequenzrändern gerne noch etwas ausgedehnter zugehen, wobei es insbesondere der Hochtonbereich etwas an Luftigkeit vermissen lässt, dem grundsätzlich schon recht beachtlichen Genussfaktor der Vorstellung tut das aber keinen Abbruch. Und so wandert flugs eine schwarze Scheibe nach der anderen auf den Teller des Raven AC.
Die Anschlusspins sind natürlich farblich markiert
Erwartungsgemäß profitiert natürlich auch das Clearaudio Stradivari V2 von der Prozedur des Einspielens und legt mit der Zeit doch hörbar an Durchzeichnung zu. Auch Tiefe und Schwärze des Bassbereichs präsentieren sich nach etwa 30 Stunden in noch besserer Verfassung als zuvor. Geschätzte 15 Stunden später stellt sich schließlich die ersehnte Offenheit im oberen Frequenzbereich ein, und zwar auf einem Niveau, dass kaum mehr Raum für weitere Steigerungen übrig lässt. Was auch auffällt, ist das erfreulich zurückhaltende Rillengeräusch des Abtasters.
Schon der erste Eindruck deutet es an, das Clearaudio Stradivari V2 will ein Tonabnehmersystem für (fast) alle Lebenslagen sein. Ein Allrounder freilich, der in der Lage ist, auch höchsten Ansprüchen gerecht zu werden.
Die Gesamtaufnahme der Schumannsinfonien von 2013 mit Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern ist eine Klasse für sich und auf Vinyl ein hochwillkommener Prüfstein für jedes anspruchsvolle analoge Setup. Den auf 1000 Stück limitierten Schuber mit den 8 LPs gab es seinerzeit im Direktvertrieb der Berliner Philharmoniker (www.berliner-philharmoniker-recordings.com) zu erstehen.
Markante Eigenschaften der Berliner Philharmonie sind seit jeher die hervorragende Transparenz der Klänge sowie eine grandiose Durchhörbarkeit bis in die letzte Reihe. Um diese Charakteristik auch aus den schwarzen Rillen zu lesen, bedarf es eines sehr guten Auflösungsvermögens sowie der Fähigkeit zur präzisen Ausleuchtung der Bühne in Breite, Tiefe und – hier scheitert es häufig – auch in der lichten Höhe. Das Clearaudio Stradivari V2 meistert die Aufgabe ganz ausgezeichnet, obwohl mit dem Aventurin 6 von Stein Music (4.990 Euro) und einem Dynavector XV-I S (4.580 Euro) die Latte hier gewiss nicht niedrig angelegt ist. Allein preistechnisch gesehen rangieren die beiden MCs eine Klasse über dem Clearaudio Stradivari V2.
Doch das System aus dem Frankenland lässt sich nicht so einfach auf die Plätze verweisen und punktet mit einer Raumdarstellung, die luftig genug ist, um auch größeren Konzerthallen glaubhafte Dimensionen zu verleihen – es besitzt aber andererseits auch einen recht verbindlichen Sinn für die physischen Grenzen eines Raumes. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, dann gelingt es dem Clearaudio Stradivari V2 hier mit verblüffender Authentizität, die typische Akustik der Berliner Philharmonie in meinem Hörraum wiederauferstehen zu lassen.
Einen weiteren Glanzpunkt setzt das System, wenn es sich um Stimmliches zu kümmern hat. Youn Sun Nahs Album Lento von 2012 ist eine Fundgrube für Audiophile. Klangfarblich perfekt, mit 3D-Plastizität und feinsinniger Dynamik versehen, bietet die Aufnahme der Koreanerin eine Bühne, auf der sie sich gesanglich höchst beeindruckend entfalten kann. Das gelingt mit Vinyl nochmals besser als auf der CD.
Frappierend, wie lebensecht und körperlich das Stradivari V2 die Sängerin in die Mitte des Raumes stellt. Natürlich bewältigen auch andere Top-Abtaster diese Aufgabe, doch dem Clearaudio bereitet es die hörbar geringste Mühe, technische Aspekte und die üblichen Kriterien des gewöhnlichen HiFi-Fetischismus für die Dauer eine LP-Seite vergessen zu machen. Nicht wenige Analogfans wünschen sich von einer so betörenden Stimme wie die Sun Youn Rahs nichts sehnlicher als eine lang andauernde, wohlige Stimulation ihrer Musculi arrectores pilorum. Für diese Zeitgenossen kann das Stradivari eine echte Offenbarung sein, denn wenn das Clearaudio aus den Rillen liest, lässt eine Gänsehaut nicht lange auf sich warten.
Wer mehr Schmelz und Inbrunst als auf der CD erwartet, wird nicht enttäuscht, allerdings ohne dass das Stradivari V2 nur tumb auf die Tränendrüse drücken würde. Das imaginäre Schmalztöpfchen bleibt glücklicherweise verschlossen. Der Vortrag wirkt fließend und angenehm untechnisch. So gelingt es dem Clearaudio Stradivari V2, zarte Frauenstimmen anrührend und emotional authentisch wiederzugeben, ohne die Grenze zum Kitsch ernsthaft zu überschreiten. Eine Fähigkeit, die es nach meinen Erfahrungen mit dem großen Dynavector in nicht unerheblichem Ausmaß teilt.
Gerade als ich dem ungebrochen musikalischen Fluss und der geschmeidigen Diktion des Tonabnehmers aus Erlangen vollends zu erliegen drohe – Attribute die ich, vom XV-1S mal abgesehen, eher mit den Abtastern von Koetsu oder bestimmten Kreationen aus dem Hause Benz (ach, das gute alte Ruby) in Verbindung bringen würde – überrascht mich das Stradivari erneut, weil es bei „Empty Dream“ nach etwa drei Minuten zwei hintereinanderfolgende, ausgesprochen leise tönende Beckenanschläge links von der Mitte mit selten gehörter Prägnanz herausarbeiten kann. Anschlag und Ausschwingen des Metalls, wann habe ich das je in dieser Deutlichkeit vernommen?
Das Clearaudio Stradivari beherrscht also nicht nur den „Laid back“-Modus, sondern dürfte, gemessen an der Vielzahl winziger Details, welche es aus den Rillen zu lesen vermag, auch in Sachen Informationsfreude und Analysefähigkeit im Kreis erlauchter Kollegen von der MC-Fraktion überzeugen.
Allerdings geschieht das nicht immer zur ungetrübten Freude des Hörers. Während bei Lento die Detailgenauigkeit des Tonabnehmers einen verblüffenden Realismus verantwortet, kann dies an anderer Stelle auch für unerwartete Ernüchterung sorgen. The Jazzalbum – watch what happens des Bassbaritons Thomas Quasthoff, 2006 unter Mitwirkung des Trompeters Til Brönner eingespielt, ist kürzlich auch auf Vinyl erschienen. Wegen ausnehmend guter Kritiken landete das Album rasch in meinem Plattenregal, obwohl Beherrschung diesmal angebrachter gewesen wäre.
Zwar kann die warme, sonore Stimme Quasthoffs unter klanglichen Aspekten überzeugen, doch hapert es leider an anderer Stelle. Weder Sänger noch Musiker wirken besonders inspiriert. Man fragt sich, ob Gesang und Begleitung überhaupt zur selben Zeit am selben Ort aufgenommen wurden. Glatt, allzu glatt plätschern die Songs dahin, was dann vom Stradivari V2 leider auch vollkommen ungefiltert mitgeteilt wird. Andere Tonabnehmer, wie das Denon DL-103R, verfahren beim Auslesen der Rilleninfos schon mal etwas gnädiger. Gut möglich, dass das Denon, da es weniger detailliert zu Werke geht und insgesamt etwas runder tönt, die Holprigkeiten der Interpretation von Quasthoffs „Jazzalbum“ weniger offen zutage treten lässt. So richtig jazzig groovt es aber auch mit dem DL-103R nicht. Vielleicht wäre ein Live-Gig in einem kleinen Club die bessere Wahl für die Aufnahmesession gewesen?
Was möglich ist, wenn sich Jazzer die musikalischen „Bälle“ gegenseitig zuwerfen, wird dagegen auf The Giants, einer Aufnahme des Pablo-Labels von 1974 mit Oscar Peterson, Joe Pass und Ray Brown, anschaulich demonstriert. Obwohl die Aufnahmequalität keineswegs schlecht geraten ist, stehen für mich diesmal aber nicht audiophile Meriten im Fokus, sondern die Hörfreude, die es bereitet, den gereiften Haudegen bei ihrer vordergründig entspannten, energetisch aber doch so geladenen Session zu lauschen. Drei Musiker, die nichts mehr beweisen müssen und dennoch ein Feuerwerk abbrennen als ginge es um die Aufnahme in die ewige Hall of Fame des Jazz, wo sie natürlich längst alle ihren Platz gefunden haben.
Völlig zu recht, meint auch das Clearaudio Stradivari V2 und lässt es sich nicht nehmen, mit Verve und feindynamischer Akkuratesse die Interaktionsfähigkeit der Protagonisten unter Beweis zu stellen. Und tatsächlich, was das Clearaudio Stradivari V2 da aus den schwarzen Rillen zu extrahieren vermag, scheint über das übliche Auslesen von Informationen hinauszugehen.
Dabei zeichnet sich das System mit dem Ebenholzbody durch eine bemerkenswert geschlossene und homogene Wiedergabe aus. Mir fällt aus dem Stand kein MC ein, dass dem Clearaudio Stradivari V2 hier so ohne Weiteres gleichkäme. Vor einem tiefschwarzen Hintergrund erscheinen Hektik und Unruhe weitgehend ausgetilgt. Da ist es leicht, dem Musikgeschehen zu folgen und sich dann und wann einfach auch ganz, ganz tief in die jeweilige Klangwelt fallen zu lassen.
Bevor sich nun das allgemein noch tief verwurzelte HiFi-Über-Ich ernsthaft in die Diskussion einschaltet, sei versichert, dass sich der Abtaster auch in den schnöden klassischen Disziplinen keine Blöße gibt.
Ray Browns Bass steigt tief hinab in den Basskeller, so tief, wie es mit einem Kontrabass gemeinhin eben möglich ist. Allerdings grummelt er dabei mehr semi-dry denn extra-brut vor sich hin. Klar ist jedenfalls, dass man dem Stradivari Bassschüchternheit sicher nicht unterstellen kann, auch wenn es einige wenige Kollegen, meist aus höheren Preisligen, geben mag, die tiefer, trockener und humorloser den Basskeller bearbeiten können. So kann das Stein Music Aventurin 6 mit mehr profunder Schwärze aufwarten und sich auch in Sachen Bassdynamik eine Nasenlänge vor dem Clearaudio Stradivari positionieren. Dem ausgeglichenen Dynavector XV-1S bleibt allerdings nur mit größerer Abgeklärtheit und den „abgehangeneren“ Bässen zu kontern, während das schiere Ausmaß beim Tiefgang einem Patt gleichzukommen scheint.
In den Mittellagen brilliert das Clearaudio mit Farbigkeit und Grundtonstärke. Gut möglich, dass hier eine kleine Prise zusätzlicher Wärme mit hineinspielt. Doch wer wollte nun, angesichts der erwähnt gelungenen Stimmwiedergabe, den Finger heben? Zumal sich eine über Gebühr betonte Mitteltonlastigkeit nicht ernsthaft konstatieren lässt. Sehr wohl aber sollte die besonders geschmeidige Gangart erwähnt werden, mit der das Klavierspiel Petersons nicht zu einer stakkatoartigen Abfolge einzelner Noten verkommt, sondern ungemein flüssig und buchstäblich wie aus einem Guss aus den Lautsprechern perlt.
Das Setup: Laufwerk Raven AC von TW-Acustic mit Tonarm von Pyon Sound und dem Clearaudio Stradivari V2
Ziemlich raffiniert scheint mir die Abstimmung am oberen Frequenzende gelungen. Hier geht es zwar primär klar und differenziert zu, gleichwohl fehlt jeder Anflug von nerviger Kühle. Dass beschert etwa den Streichern der Philharmoniker einen wunderbar seidigen Auftritt, ohne das dabei oben heraus auf eine angenehme Portion Frische verzichten werden müsste. Ob das Stradivari besonders gut mit Streichern kann? Den Kalauer haben bereits andere bemüht, und wirklich falsch liegt man damit wohl auch nicht. Mein Dynavector lässt es im direkten Vergleich oben rum etwas dezenter, gedeckter zugehen als unser Testkandidat. Es fehlt auch dem XV-1S generell nicht an Offenheit, doch wirkt der Klang der Saiten mit dem Clearaudio Stradivari noch strahlender und frischer.
Das Aventurin 6 kann die beiden anderen Systeme tatsächlich an schierer Hochtonenergie übertreffen. Auch dem MC aus Mülheim an der Ruhr lässt sich dabei keine unnötige „Coolness“ im Hochton nachweisen, dafür demonstriert es überzeugend, was es mit den sogenannten „goldenen“ Höhen auf sich hat. Die Perkussionisten der Berliner Philharmoniker können sich jedenfalls an besonders strahlenden Becken erfreuen. Ob allerdings die energischen, wenngleich minimal rauer intonierenden Streicher des Aventurin 6 oder der elegant anmutende Tonfall der beiden anderen MC-Systeme am Ende richtiger ist, bleibt auf dem gebotenen sehr hohen Niveau der Wiedergabe letztlich eine Frage der persönlichen Präferenzen.
Im Juni des Jahres verstarb Mighty Sam McClain, der R&B-Veteran, dessen unverwechselbare Stimme auch auf so einigen wunderbaren LP-Produktionen zu hören ist. Give it up to love aus 1992 geht nicht nur unter die Haut, sondern lässt auch dynamisch wenig anbrennen. So wie das Clearaudio Stradivari V2 beim gleichnamigen Opener den treibenden Beat von Bass und Schlagzeug dynamisch ganz in die Nähe des Live-Erlebnis rücken kann, hat das echte Klasse. Nicht weniger beeindruckend, wenn Einwürfe der E-Gitarre die womöglich rauchgeschwängerte Luft eines imaginären Clubs wie Peitschenhiebe zerschneiden. Ziemlich cooles R’n’B-Feeling, möchte man da meinen. Mighty Sams nah und intim eingefangene Stimme bei „Got to have your love“, welche mit vielen feinen und feinsten Artikulationsgeräuschen präsent und intensiv den Hörraum füllt, vermag das Stradivari in feindynamischen Aspekten nahezu eins zu eins zu reproduzieren. Gut möglich, dass sich hier die jahrelange Erfahrung Clearaudios in der Konstruktion hochdynamischer MCs bezahlt macht.
Das Clearaudio Stradivari V2 kann sich qualitativ neben meinen beiden (deutlich) kostspieligeren MCs gut behaupten und mag schon deshalb zu den hochinteressanten Angeboten in seiner Klasse zählen. Das durchgängig hohe Niveau seiner Perfomance prädestiniert das Stradivari V2 damit in der Tat zu einem idealen Allrounder unter den mir bekannten MC-Tonabnehmern. Einen, mit dem es sich für sehr, sehr lange Zeit bestens leben lässt.
Test: Clearaudio Stradivari V2 | Tonabnehmer