Canton nennt seinen hier zum Test anstehenden Standlautsprecher kurz und knapp „A 45“ (www.canton.de | Preis: 3.000 Euro). Ein bisschen Fantasie vorausgesetzt, lässt sich mit dem Anfangsbuchstaben alles Mögliche assoziieren: Naheliegend ist natürlich „Anniversary“ für das in 2017 gefeierte 45. Jubeljahr des in Weilrod beheimateten Unternehmens, in dem dieses Model gelauncht wurde. Aber tun wir mal so, als wüssten wir das nicht. A wie audiophil? A wie außergewöhnlich? Nein, eigentlich ist die A 45 ein Ach-hör-doch-auf-kann-doch-gar-nicht-sein-Lautsprecher. Materialeinsatz und Preisgestaltung überraschen jedenfalls positiv. Die A 45 trägt die innovativen Keramik-Chassis von Canton in sich, ist traditionell aufgebaut – und wird, auch das ist eine Besonderheit, als Teil einer exklusiv online erhältlichen Serie direkt vom Hersteller vermarktet.
Die Canton A 45 ist Teil einer umfangreichen Produktfamilie. Diese besteht aus der für noch größere Räumlichkeiten geeigneten Canton A 55, der hier getesteten A 45 und der zierlicheren A 35. Flankierend gibt es noch die passende Kompaktbox A 45 BS, die sich (nicht nur) für kleinere Hörräume empfiehlt. Hochwertige Mehrkanal-Setups lassen sich mit Cantons A-Serie ebenfalls realisieren, denn auch Center, Subwoofer und Rear-Speaker werden angeboten.
Die Qual der Wahl überlässt Frank Göbl – Chefentwickler bei Canton und geistiger Vater der A 45 – dem Hörfreund nur allzu gerne. Vielleicht hole ich ein wenig aus: Das Vergnügen, ihm persönlich zu begegnen, hatte ich erstmals im Jahr 2012 im Stuttgarter Hörraum des Hifi-Magazins Audio. Die seinerzeit brandaktuelle Vento 890.2 beeindruckte mich nachhaltig – mit dem Resultat, dass ich sie später orderte. Die Canton Vento dienen mir noch heute in der 5.1-Konfiguration als zuverlässige Arbeitsgeräte.
Design ist zweifelsfrei immer Geschmackssache, doch ich mag diesen stummen, monumentalen „Brutalismus“ der Canton A 45. Technologisch hat sich über die Jahre natürlich einiges getan. Die aus eigener Fertigung stammende Innenverkabelung ist eine Erwähnung wert, gleiches gilt für die soliden Bi-Wiring-Terminals, die Endstufen- und Kabel-Experimenten offen entgegensehen. Und – oh, là, là – was sehe ich da? War seinerzeit bei der Vento das Keramik-Hochtonsystem schon ein Leckerbissen, so blicken mich bei der als Drei-Wege-Konstruktion ausgeführten Canton A 45 doch tatsächlich gleich fünf keramische Treiber an. Dank der ausgefeilten Chassistechnik genüge eine mit Filtern 2. und 3. Ordnung eher sanft ausgeführte statt überbordend steilflankige Trennung, um ein phasenrichtiges Zeitverhalten und eine homogene Gruppenlaufzeit der Treiber zu erzielen, so Göbl.
Um genau zu sein: Es handelt sich hier nicht um rein keramische Treiber, wie man sie beispielsweise vom Hersteller Accuton kennt. Aufwendig in der Fertigung und damit sehr kostspielig, sind diese berühmt für hochpräzise Feindynamik und finden vorzugsweise in hochpreisigen Highend-Modellen Verwendung. Aber: Vollkeramikmembranen sind dermaßen berührungsempfindlich, dass sie hinter Gittern spielen müssen. Nur so kann verhindert werden, dass allzu neugierige Finger einen Scherbenhaufen hinterlassen. Hinzu kommt, dass sie auch akustisch ein bisweilen divenhaftes Verhalten an den Tag legen können. Liegen Frequenzbereiche außerhalb ihres optimalen Arbeitsbereichs, kommen Partialschwingungen ins Spiel, die das Klangbild hart und aggressiv machen können. Deshalb werden Vollkeramikchassis häufig auch sehr steilflankig getrennt. Canton geht hier einen anderen Weg.
Als Basis für die notwendige innere Dämpfung und ein gutmütigeres Aufbrechverhalten als bei Vollkeramik dienen hier Aluminium-Membranen. Im Zuge eines Oxidations-Prozesses bildet sich auf ihnen eine sehr harte, keramische Oberfläche, die bei den Konus-Treibern zusätzlich mit Wolfram veredelt wird. Das Ergebnis vereine die Leichtigkeit des Aluminiums mit der austarierten Härte und Steifigkeit von Keramik, so Canton.
Der 25-mm-Hochtöner ist innerhalb einer Schallführung eingelassen, der 18 cm messende Mitteltöner residiert – ungewöhnlicherweise – über dem Hochtöner. So soll eine homogene Ankopplung im Übergang zwischen den beiden Treibern realisiert werden. Die drei ebenfalls 18 cm messenden Tieftöner werden bei 220 Hertz abgekoppelt. Wie beim Mittenkonus soll eine dreifach gefaltete Sicke für präzise Impulstreue sorgen – zudem ermögliche sie einen größeren Hub und eine taumelfreie Auslenkung. Auch kommt hier das Canton-typische „Displacement-Control“ zum Einsatz. Hierbei handelt es sich um eine spezielle Hochpass-Beschaltung, die den Tieftönern Frequenzen im Infraschallbereich und damit übermäßige Auslenkungen vom Leib halten soll.
Das alles hört sich einfacher an, als es ist, denn bis das gewünschte Ergebnis aus geringem Klirrverhalten und hoher Impulstreue stimmt, muss am richtigen Verhältnis experimentiert werden. Da passt es ganz gut, dass Canton zur Reduzierung von Signalverzerrungen im Entwicklungs- und Optimierungsprozess einen laserbasierten Klippel-Analyzer einsetzt. Diesem durfte ich vor einigen Jahren vor Ort bei der Arbeit „über die Schulter schauen“. Wie es zu diesem Besuch kam, ist schnell erklärt: Anlässlich eines Testaufbaus vergaß ich, den Ausgangspegel der DAC-Vorstufe von fix auf variabel zurückzustellen. Und als ob das nicht schon genug wäre, hing – zum Leidwesen einer der Ventos – eine im Kilowattbereich operierende Monoendstufe dahinter. Tja, den Rest können Sie sich denken … Zu meinem Erstaunen wurde nur der Mitteltöner gegrillt.
Das Gehäuse der Canton A 45 besteht zur besseren Resonanzunterdrückung aus hochverdichteter, 24 mm starker Faserplatte (HDF). Zwar verzichtet die A-Serie auf die aufwendig gebogenen und damit kostenintensiven Seitenwände der Reference-Linie, die schon allein durch ihre geschwungene statt parallele Form stehende Wellen reduzieren sollen. Aber irgendwo muss sich der Preisunterschied ja auch niederschlagen. Natürlich ist die Canton A 45 im Innern ordentlich versteift und großzügig bedämpft. Für den sicheren Stand und den notwendigen Bodenabstand ihres Downfire-Bassreflex-Ports wurde ihr eine massive Metallplatte mit vier höhenverstellbaren Standelementen mitgegeben.
Bei der Canton A 45 fallen die beeindruckende Massivität und piekfeine Verarbeitungsgüte auf. Lob wird insbesondere fällig, wenn man einen genaueren Blick auf die Lackierung des Gehäuses wirft. Die Tiefenwirkung des rabenschwarz ausgeführten Testmodells ist schlicht phänomenal. Fast schon verschwenderische zwölf Arbeitsschritte seien beim Lackieren vonnöten, so Canton. Die sanft abgerundeten Gehäusekanten steigern nicht nur die Eleganz, sondern sollen klangschädigenden Kantendispersionen entgegenwirken. Die von Magnetkraft gehaltene Chassisabdeckung deckt die gesamte Front ab und sorgt für ein cleanes Erscheinungsbild, in dem die Treiber ihre optische Dominanz verlieren.
Wem das Hochglanz-Schwarz nicht zusagt, der kann die Lautsprecher auch in seidenmatten Weiß ordern. Übrigens: Der künftige Besitzer sollte über belastbare Bandscheiben verfügen, denn mit 38 kg pro Standsäule ist die Canton A 45 ein ordentliches Kaliber, das auch ordentlich Auslauf, sprich Raum benötigt, um seine Talente vollends zur Geltung zu bringen. Um nicht missverstanden zu werden: Es ist nicht so, dass die A 45 kleine und mittelgroße Räume mit ihrer Bassleistung regelrecht erdrückt, doch sie entfaltet ihre Talente um so besser, je mehr Platz man ihr zur Verfügung stellt.
Canton A 45: Klangtest & Vergleiche
Eingespielt und mit gebührlichem Respektabstand zu den Seitenwänden und Luft im Rücken in Position gebracht, entfaltet sich neben der Canton A 45 auch ein 2016er Viñas del Cadastro von Olivier Rivière …
Die unteren Register
Beginnen wir mit den unteren Registern. Das, was die Canton A 45 hier in den Hörraum stemmt, lässt sogar die im Bass durchaus tief und kraftvoll aufspielende Vento 890.2 (seinerzeit circa 3.200 Euro) ein wenig blass aussehen. Zur Einstimmung greife ich auf das für seine synthetischen Basswogen wohlbekannte Cover von „Limit To Your Love“ von James Blake (Album: James Blake; auf Amazon anhören) zurück. Der einsetzende tieffrequente Schub zeigt sich trocken und druckvoll von tief unten kommend und geht ins Zwerchfell. So mag ich das, denn es lässt das subsonische Pulsieren körperlich spürbar werden. Beeindruckend ist, dass die Canton A 45 im Vergleich zur Vento 890.2 hierbei nicht nur unangestrengter wirkt, sondern auch noch tiefer in den Frequenzkeller hinabsteigt. Und als ob das nicht genug wäre, verzückt dieser fulminante Tiefbass auch noch mit wendigem, kontrolliert-agilem Spiel. Nichts wirkt behäbig, dröhnend oder wummrig. Erst der Vergleich mit der freilich deutlich teureren Kii Three fängt meine Schwärmerei wieder ein – deren Tiefgang und Präzision wird dann doch nicht erreicht. Wäre ja auch noch schöner!
Dafür zeigt die Canton der halb so teuren Elac 247.3, wo der Bartl den Most holt. Deutlich erlebbar ist dies im schaurig-schönen „Tongues Of Wild Boar“ von Hilary Woods: Wuchtig und lässig haut die Canton hier tieffrequent ins Kontor, während die Elac 247.3 bei geringerem Tiefgang etwas nervös wirkt und mehr Energie in die oberen Bassschichten legt, was ein wenig auf Kosten der Präzision geht.
Zufrieden stelle ich mit voranschreitender Stunde fest, dass sich der spanische Rotwein kräftig und enorm kultiviert gibt. Gleiches subsumiere ich auch für die Tieftonabteilung der Canton.
Mittelton
Bemerkenswert: Der Übergang in Richtung Mittenband gelingt nahtlos, hier ist kein hemdsärmeliges Aufdicken vorhanden, das den Mitten das Leben schwer machte. Nein, sie dürfen sich ungestört und mit reichem Farbbouquet entfalten. Gut zu hören bei „Poor Edward“ von Tom Waits (Album: Alice; auf Amazon anhören). Dessen markante Stimme erklingt fein nuanciert, aber auch mit einer sehr tiefen Brustnote. Ähnlich Authentisches erlebe ich bei Frauenstimmen. So wird Hannah Epperson in „Strong Thread (Iris)“ (Album: Upsweep) mit facettenreichem Ausdruck präsentiert und bleibt dabei wunderbar ausgewogen, weder blass noch übertemperiert. Die Canton A 45 findet hier die richtige Timbrierung und Klangfarbe, um auch das Zarte und Zerbrechliche in der stimmlichen Intonation herauszuarbeiten. Instrumente wie Klavier oder akustische Gitarre erklingen ebenfalls vollmundig, natürlich und körperhaft. Insgesamt bekommt das Mittenband einen wohldosierten Schuss tonaler Wärme mit auf den Weg. Die schon erwähnte Elac 247.3 zeigt sich hier anders abgestimmt, immer auf der neutralen Seite beheimatet und damit relativ schlanker als die Canton.
Höhenlagen
Da passt es ganz gut, dass die Canton A 45 dem wärmer illuminierten Mittenbereich keinen deutlich heller strahlenden Hochton entgegensetzt, sondern ihrer eher sanfteren Diktion treu bleibt. So erklingen etwa perkussive Elemente zwar immer mit Glanz, ohne aber je ins Silbrige abzudriften. In den obersten Lagen gibt sich die Canton A 45 dank ihres Keramik-Hochtonsystems sehr nuanciert, arbeitet feine Details heraus und bleibt dabei dennoch langzeittauglich, auch da sie tonal etwas dezenter unterwegs ist. Hier unterscheidet sich die Canton A 45 beispielsweise doch wahrnehmbar von der Vento 890.2, die einen Ticken heller, aber auch angestrengter wirkt. Deutlicher wird dies noch im Vergleich mit meiner alten Isophon Indigo. Deren Seidenkalotte vermag die samtige Luftigkeit der A 45 nicht in gleicher Form nachzubilden.
Eine allzu güldene oder verrundende Spielweise will ich der Canton nicht nachsagen, denn die findet nicht statt. Aber „gnadenloses, neutrales Durchreichen“ eben auch nicht. Bei allem Lob fällt mir dennoch ein kleines Haar in der Suppe auf: Die samtige Auflösung geht etwas auf Kosten der Explosivität der Attackphase. Das wurde mir im direkten Vergleich mit Lautsprechern mit flinken AMTs deutlich.
Dynamik
Fassen wir als Zwischenstand zusammen: Die Canton A 45 spielt kraftvoll, vollmundig und dabei so unaufgeregt wie unaufdringlich. Ja, könnte da jetzt jemand ausrufen, birgt das nicht die Gefahr, dass es langweilig tönt? Mitnichten. Die Canton ist in der Lage, ein dynamisches Feuerwerk abzubrennen. Für diesen Zweck lade ich via Roon das Stück „Know Your Enemy“ von Rage Against The Machine aus dem gleichnamigen Erstlingswerk in die Playlist (Album auf Amazon anhören). Und aaaargh, geht da die Post ab! Pegelfest, wie sie ist, verleitet die A 45 dazu, den Lautstärkeregler immer weiter nach rechts zu drehen.
Während andere Lautsprecher bei zunehmendem Pegel irgendwann ihre akustische Komfortzone verlassen und dann oft heller und/oder aggressiver tönen, bleibt die Canton uneingeschränkt stabil, ja, fast schon relaxed. Grobdynamik? Druck? Attacke? Alles vorhanden. Das Stück macht über die A 45 einfach unfassbaren Spaß! Zu späterer Stunde steht dann meine bessere Hälfte mit entsetzt-fragendem Blick im Hörraum … Okay, okay, ist ja gut, dann teste ich jetzt halt, wie sich die Canton bei leisen Pegeln gibt. Schnell darf ich feststellen, dass auch das leise Klangbild in sich stimmig bleibt. Es gibt keine tonalen Bereiche, die wirklich unterbelichtet bleiben, und das ist durchaus eine Erwähnung wert.
Bühnenbild
Was die Raumdarstellung angeht, so kommt der Canton A 45 ihre Größe und ihre massive Tieftonfähigkeit zugute. Sie ist in der Lage, eine sehr große und vor allem hohe, nicht zwingend an den Boxenkanten endende Bühne mit überzeugender Tiefe abzubilden. Ein Straight-in-your-face-Lautsprecher ist die Canton nicht, sie lässt ihr Bühnenbild ganz klassisch bei der Boxen-Grundlinie starten.
Vor allem gefällt mir die für eine derart kraftstrotzende Standsäule griffige Abbildungsqualität der A 45, die zwar nicht ganz, aber doch schon fast an die dreidimensional wirkende Spielweise guter Kompaktlautsprecher erinnert. Die Separation einzelner Stimmen und Instrumente gelingt sauber und schlüssig.
Test: Canton A 45 | Standlautsprecher