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Man wird nicht alle Tage 50 Jahre alt. Ein derart rundes Jubiläum kann schon einmal dazu verführen, es richtig krachen zu lassen. So dachte man offenbar auch beim britischen Hersteller Cambridge Audio, der bisher mit preislich wie technisch soliden, bodenständigen und dennoch hochwertigen HiFi-Geräten unterwegs war – und das mit Erfolg und Ausdauer. Ein Anruf beim Hersteller ergibt: Zum Fünfzigsten, so berichtet Marcel Müller, bis vor Kurzem noch Deutschland-Chef von Cambridge-Audio, habe man die Entwicklungsingenieure mal richtig von der Leine lassen wollen.
Ein neunköpfiges Team am Stammsitz in London habe drei Jahre lang freie Hand gehabt, eine neue Geräteserie zu ersinnen, die derzeit aus der Streamingvorstufe Edge NQ, der Endstufe Edge W und unserem Probanden, dem Vollverstärker Edge A (5.000 Euro | www.cambridgeaudio.com) besteht. Jetzt kommt die kleine Überraschung: Mir würden spontan mehrere HiFi-Hersteller einfallen, die bei der Ansage „Cost no Object“ problemlos fünfstellige oder auch höhere Beträge aufrufen würden. Man nehme zwei Handvoll NOS-Militärröhren, ein Gehäuse aus massivem Platin mit Applikationen von Kirschenholz und Zebranoleder, eine frei fliegende Innenverkabelung aus Reinsilber, packe ein paar esoterische Technologien hinzu, lasse das Ganze in Schweden von promovierten Astrophysikerinnen handverlöten und im Nachgang kryogenisch behandeln – fertig ist der Amp für 25.000 Euro. Bei Cambridge Audio gibt’s den Vollverstärker Edge A für 5.000 Euro. Das ist kein Pappenstiel, aber angesichts des Anspruchs ein absolut erdnaher Preis. Reiner Kockot, einer der Entwickler, erzählt mir am Telefon dann noch ein bisschen mehr …
Der Entwicklungsprozess habe sich vor allem deshalb so lange hingezogen, weil man mindestens so viel Zeit mit Hören – in Form von Blindtests – verbracht habe wie mit der Entwicklung am Reißbrett. Konzeptionelle Rahmenbedingungen, hier waren sich die Teammitglieder offenbar einig, sollten sein: möglichst wenig Bauteile im Signalweg, ein ausgefuchstes Stromversorgungskonzept sowie Platinenlayout für kurze Wege und bestmögliche Separierung von einander beeinflussenden Schaltungsteilen, konsequente Vermeidung mechanisch-elektrischer Probleme. Diejenigen Bauteile wiederum, die nun mal zwangsläufig im Signalweg stehen müssten, wurden nicht nur nach technischen Daten, sondern eben auch nach Gehör – vulgo Blindtestverkostung – ausgesucht.
Was kam dabei heraus? Nun: Drei Dinge machen den Cambridge Audio Edge A besonders. Da wäre zunächst das Schaltungsdesign, das die Briten „Class-XA“ nennen und welches auf einem „gepimpten“ Class-AB-Konzept basiert. Etwas vereinfachend gesagt, wird bei diesem speziellen Design die Vorspannung so angehoben, dass der Phasen-Nulldurchgang einer Welle „nach oben“ verschoben wird. Die am Nulldurchgang mehr oder weniger unvermeidlichen Crossover-Verzerrungen lassen sich auf diese Weise zwar nicht wegzaubern, sie seien jedoch viel weniger wahrnehmbar, denn sie lägen bereits im Bereich höherer Signalpegel und würden dadurch gewissermaßen verdeckt, so Reiner Kockot.
Die zweite Besonderheit des Cambridge Audio Edge A ist sicherlich die Konsequenz, mit der man unerwünschten Einstreuungen und internen Interferenzen begegnet. So besteht die Stromversorgung der symmetrisch ausgeführten Schaltung aus Ringkerntrafos, die dergestalt versetzt übereinander montiert und verschaltet sind, dass sich die von ihnen ausgehenden Streufelder gegenseitig beinahe neutralisieren. Das Gehäuse aus massivem Aluminium dürfte ein Übriges tun, um Einstrahlungen von außen Einhalt zu gebieten.

Das von Cambridge Audio „Class-XA“ getaufte Schaltungsdesign des Edge A soll gegenüber Class-AB-Konzepten mit verringerten Verzerrungen aufwarten
Zu guter Letzt wäre da noch die Lautstärkeregelung des Cambridge Audio Edge A, die bei vielen, auch hochpreisigen, Verstärkern immer wieder ab Werk oder nach einiger Zeit „Ärger“ macht: Nämlich immer dann, wenn ein Poti direkt im Signalweg liegt, das nahezu systemimmanent Kanalgleichlaufschwankungen aufweist. Nichts ist ärgerlicher, als viel Geld für eine gute Anlage auszugeben, um dann festzustellen, dass beim Leisehören Ungleichheiten zwischen Links und Rechts zu hören sind. Generell werden Potis mit dem Alter nicht besser; weshalb ambitionierte Hersteller gerne auf andere Lösungen ausweichen. Bei Cambridge Audio hat man das klar auf die Spitze getrieben: Das motorgesteuerte Alps-Poti stellt nur eine Gleichspannung ein, die mit dem Audiosignal zunächst nichts zu tun hat. Diese Spannung wird an einen 10-Bit-A/D-Wandler gereicht, welche daraus einen von 850 definierten Werten generiert. Mit diesem Wert wird wiederum ein D/A-Wandler gefüttert, der für jede der 850 möglichen Abstufungen eine bestimmte Kombination aus Widerständen anwählt, durch welche das Signal läuft. Daraus resultiert bei diesem Konzept nicht nur eine bestmögliche Kanalbalance, sondern auch eine deutlich höhere Langlebigkeit als bei klassischen, relaisgestützten Widerstandsnetzwerken – denn auch Relais haben mechanische Komponenten, die sich abnutzen können.
Ganz ohne Relais kommt der Cambridge Edge A jedoch nicht aus, sie kommen bei der Quellenwahl zum Einsatz, die bedienseitig – optisch recht elegant – auf Achse mit dem Lautstärkeregler sitzt, und zwar hinter demselben, sodass das Äußere dieses Amps recht puristisch herüberkommt: Neben dem Ein-Aus-Schalter, dem Lautstärke/Quellenwahl-Kombiinstrument und dem Kopfhörerausgang ist „nix los“ auf der Frontplatte. Leider muss ich an dieser Stelle jedoch auch meckern. Die Quellenwahl gerät für meinen Geschmack zum reinen Glücksspiel, da die Namen der neun Quellen – es gibt drei Analogeingänge (2 x Cinch, 1 x XLR), fünf digitale (2 x TOSLink und 1 x koaxial, je 1 x USB und HDMI) und sogar auch einen Bluetooth-aptX-Empfänger – dermaßen dezent in die Frontplatte eingraviert sind, dass man sie kaum entziffern kann. Naja, irgendwas ist immer – und jetzt fühlen wir dem Cambridge Audio Edge A mal klanglich auf den Zahn …
Cambridge Edge A: Klangtest und Vergleich
Ich habe den Amp in der ersten Runde hauptsächlich mit meinem CD-Spieler C.E.C. CD 5 (3.700 Euro) analog via XLR beschickt – und war vom Fleck weg angetan. Die zentralen Talente dieses Verstärkers, das wird nach wenigen Minuten Hören deutlich, sind Feinauflösung und Bandbreite. Wobei das ja genau genommen keine ganz separaten Disziplinen sind, sie gehen vielmehr ineinander über. Trotzdem möchte ich das hier so explizit erwähnen, weil die Art und Weise, wie der Cambridge Edge A musiziert, schon etwas Besonderes hat: Man kennt ja Komponenten, die in einem bestimmten Frequenzband besonders fein auflösen und detailliert aufspielen, so wie es bei vielen Röhrenkonzepten beispielsweise im Mittenband der Fall ist, während es tiefer im Basskeller oder oben im Hochton etwas milder und weniger differenziert tönt. Beim Cambridge Edge A hatte ich das Gefühl, dass er wirklich über das gesamte Frequenzband definierter, klarer und feinauflösender spielt als so manch ein ähnlich gepreister Zunftkollege.
Nehmen wir einmal den Eröffnungstrack „When I die“ des neuen Beirut-Albums Gallipoli (auf Amazon anhören): Da treffen im Intro zunächst Ukulele, Trompete und dumpfe, tieffrequente Percussionschläge aufeinander – alles mit einem offenbar eher preisgünstigen Hallgerät auf höhere Raumbreite und -tiefe getrimmt. In der ersten Strophe hören wir dann die überraschend trocken abgemischte Stimme von Zach Condon, einen Shaker auf halbrechts, eine Hammondorgel und einen vielstimmigen Bläsersatz, der erst mild-abgedunkelt, später immer lauter und strahlender lospustet. Nun hat man sich bei Beirut noch nie besonders um Fragen des Voicings bemüht, im Zweifelsfall haben die Mannen um Zach Condon lieber mit Lust und Lebensfreude eine Instrumentalspur auf die andere geschichtet, auf dass es möglichst fett klinge. Ist ja auch legitim, klingt nur ziemlich schnell etwas „breiig“.
Ebendas passiert dem Cambridge Audio Edge A nicht. Er zeigt wirklich alles! Die mitten- bis höhenlastige, eher lieblos abmikrofonierte Ukulele, die strahlende Trompete, aber auch die dumpfen Percussionschläge im Intro werden bestens aufgefächert. Dass hier ein Hallgerät aus der Consumer-Preisklasse im Spiel ist, wird nicht verschwiegen, den Spagat zwischen dem dumpfen Originalklang der Percussion und dem Nachhall mit reichlich verbogenem Frequenzgang zeigt der Edge A genau auf. Und er zeigt das alles auch noch auf, wenn in der Strophe die Gesangsstimme hinzukommt, die wesentlich besser mikrofoniert wurde. Damit nicht genug: Während der Shaker auf halbrechts hochfrequent „tschick!“ macht, hören wir gleichzeitig auch noch, dass die offensichtlich nur als Hintergrundbegleitung gedachte Hammondorgel ebenfalls auf drei Frequenzbändern unterwegs ist: mittig im „Original“ und mit tieffrequent rumpelnden wie im Hochton „reißenden“ Artefakten, die sich dadurch ergeben, dass die Orgel bewusst übersteuert und angezerrt wird.
Mutet verwirrend an? Ja, wenn man es liest, schon. Aber wenn man es über den Cambridge Edge A hört, wird das alles auf wundersame Weise geordnet. Alle Haupt- und Nebenschallquellen laufen parallel in allerfeinster Eintracht, keine verdeckt die andere, nichts suppt oder schwabbelt. Ziemlich großartig. In seiner Über-Alles-Klarheit und Präzision erinnert mich das ein wenig an meine Valvet-E2-Transistor-Endstufe (Preis: 2.750 Euro), allerdings mit der Einschränkung, dass der Cambridge Edge A merklich mehr Durchsetzungskraft und Standvermögen im Bassbereich mitbringt. Was nicht verwundert, denn der Valvet-Amp ist ein Eintakter mit 12 Watt Sinusleistung an 8 Ohm … Und mir kam da noch ein anderer Verstärker in den Sinn, der mich mit einer ähnlichen Transparenz und Klarheit überzeugte: der um die 6.500 Euro gepreiste Accustic Arts Power I MK4, der allerdings nicht nur augenscheinlich teurer ist, sondern auch keine Digitaleingänge mitbringt. Schon mal ein klarer Punkt für den Cambridge Edge A.
Ein weiterer Punkt, der mir bei diesem Amp Spaß macht: Er schafft es irgendwie, trotz seiner tonalen Neutralität, die ich nachgerade als wie mit dem Lineal gezogen empfinde, Spaß zu machen. Es gibt ja Verstärker, die völlig neutral aufspielen, aber auch „das gewisse Nichts“ mitbringen. Man kann ihnen im Grunde nichts ankreiden, aber sie bleiben blutleer. Das Gegenteil ist beim Cambridge Edge A der Fall, ich würde hier weder Bass, noch Mitten, noch Höhen eine wie auch immer geartete Betonung zuschreiben wollen. Aber der Engländer scheint in allen diesen Bereichen aus dem Vollen zu schöpfen, als sei er irgendwie besonders gut durchblutet.
Der Bassbereich ist bei alledem standfest, geht bis in den Subbass runter, trägt aber nicht auf. Die Höhen sind feinauflösend, luftig und ziehen sich bis in den absoluten Superhochton hinauf.
Eines fiel mir übrigens auf, denn ich konnte den Cambridge Edge A mit einer ganzen Reihe von Lautsprechern hören: meinem Arbeitspferd Harbeth 30.1, dem Saxx Clubsound CLX 4, aber auch dem Neat Ultimatum XLS, einem Kompaktlautsprecher, der es in sich hat: Isobarische Bässe sowie zwei auf der Oberseite (!) montierte Superhochtöner machen aus diesem kompakten Kistchen eine beeindruckende Klangmaschine, die an den Frequenzgangenden wesentlich mehr abliefert als irgendein anderer mir bekannter Lautsprecher dieser vergleichsweise zarten Abmaße. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja: Das besondere Breitbandigkeitstalent des Edge A kommt so richtig nur dann zum Tragen, wenn die Lautsprecher dazu passen. Das heißt definitiv nicht, dass ich mir Lautsprecher vorstellen könnte, die der Cambridge Audio Edge A nicht zum Wohlklang anregt. Aber: Was dieser Amp wirklich in dieser Disziplin draufhat, habe ich vornehmlich mit den Saxx-Audio- sowie dem Neat-Lautsprechern erleben können, denn beide haben einen recht auskunftsfreudigen Hochtonbereich und auch einen ziemlich weit hinabreichenden Bass, während die Harbeth unten- und obenrum eher etwas dezenter aufspielt und ihr Klangbild aus den Mitten heraus aufbaut.
Erfreuliches gibt‘s auch in Sachen Bühnenabbildung zu berichten. Im Grunde kann ich an dieser Stelle alles Gesagte über die Tonalität wiederholen: In puncto Bühnenaufbau zeigt sich der Cambridge Edge A komplett transparent. Er reicht das auf der Konserve Festgehaltene komplett durch. Eine Aufnahme „aus dem Schuhkarton“ bleibt kompakt-klaustrophobisch – und eine stereofone Top-Notch-Aufnahme wie Turbostaats „Die Toten“ (Album: Abalonia; auf Amazon anhören) mit ihrer tiefen Bühne und den herumschwirrenden Phasendreher-Effekten hingegen füllt den kompletten Raum aus, sodass der Rezensent bei dem einen oder anderen Effekt unwillkürlich den Kopf einzieht.
Noch ein paar Worte zum DAC: Der Cambridge Audio Edge A arbeitet mit Sabre-Chips des wohlbekannten Herstellers ESS Technology, die – je nach Zuspielweg – Formate bis 32 Bit/384 kHz beziehungsweise DSD256 akzeptieren. Für meinen Geschmack eine gute Wahl, befinden sich doch diese Chips auch in meinem CD-Spieler C.E.C. CD5, den ich unter anderem wegen seines dynamischen, anspringenden und farbenprächtigen Sounds vor vier Jahren zu meinem Referenzgerät erkoren habe, was ich bis heute nicht bereuen musste. Insofern waren in meinen Tests tatsächlich keine nicht auf die unterschiedliche Verkabelung oder ähnliches zurückführbaren Klangunterschiede auszumachen, wenn ich vom analog angekabelten C.E.C. CD5 auf die digitale Verbindung umschaltete. Das zupackend-alerte Klangbild des digital bespielten Cambridge Edge A zeigt sich auch bei der Zuspielung von Highres-Dateien via USB. Hier fällt vor allem die einerseits glasklare Auflösung im Superhochtonbereich auf, die jedoch trotzdem nie spitz, hart oder im unangenehmen Sinne „digital“ wirkt, sondern stets etwas Organisches, Natürliches hat: sehr stark.
Gibt es denn auch irgendwas, was dem Rezensenten nicht gefiel? Nein, das kann man so nicht sagen. Es gibt natürlich immer Luft nach oben. Und während der Cambridge Edge A in den vorgenannten Disziplinen bestens abgeliefert hat, gibt es natürlich auch Kategorien, in denen prinzipiell noch mehr möglich ist. Das eine betrifft die absolute Gesamtleistung beziehungsweise -lautheit: Angesichts des Stromverbrauchs, den der Cambridge Edge A aus der Steckdose nuckelt, ist die Ausgangsleistung von 100 Watt an 8 Ohm eher als bescheiden zu betrachten. Bei „Zimmerlautstärke satt“ gleiten gerne schon mal einige hundert Watt durch den Stromzähler. Energiesparen geht anders – und Parties beschallen erscheint mir auch nicht gerade das primäre Einsatzgebiet des Edge A. An einer leistungsverwöhnten Box wie der Harbeth 30.1 sind zwar auch in größeren Hörräumen jederzeit genügend Reserven für den Genuss eines voll besetzten Orchesters abrufbar, ein richtig „krass-lauter“ Rock-and-Roll-Verstärker ist der Cambridge Edge A definitiv aber nicht.
Das betrifft auch den Bereich der Grobdynamik, wie das neue Album des Ex-Hüsker-Dü-Frontmanns Bob Mould, Sunshine Rock (auf Amazon anhören), zeigt. Der Titeltrack ist eine lupenreine Haudrauf-Nummer: Schnell, hart, melodisch, geradeaus. Der Edge A ist schiebt zwar wie gesagt einen profunden Tieftonbereich in den Raum, ist diesbezüglich aber auch nicht der allerschnellste seiner Art. In Bezug auf bassseitige Lastwechselgeschwindigkeit und „Antrittsschnelle aus dem Stand“ können dem Edge A insbesondere kluge Class-D-Konzepte wie beim XTZ Edge A-200 oder beim NAD M32 durchaus die lange Nase zeigen – und das für kleineres Geld. Die kleine XTZ-Endstufe jedenfalls rockte beim Bob-Mould-Song tatsächlich etwas aggressiver und pointierter los als der Edge A, wenn sie natürlich auch nicht über die anderen gesammelten Stärken des Edge A (beispielsweise Feinauflösung) verfügt. Kleine Metapher dazu gefällig: Denken Sie sich einen typischen Brett-Plattenspieler wie einen dreistellig gepreisten Rega im Vergleich zu einem fetten Transrotor-Masselaufwerk, dann haben Sie’s.
Test: Cambridge Audio Edge A | Vollverstärker