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Auralic zählt seit mittlerweile zehn Jahren zu den ganz wenigen Pionieren am Highend-Markt, die diesen inflationär beanspruchten Status auch tatsächlich mit regelmäßig patentierten Innovationen rechtfertigen. Die astronomisch benannten und bodenständig bepreisten Produkte vereinen die klangliche Finesse audiophil-puristischer Setups mit der Bequemlichkeit von modernem Digital Audio. Nach einigen bekannten „Werken“, wie beispielsweise der DAC-Vorstufe Vega, der Streaming Bridge Aries, dem Streaming DAC Altair und den Mono-Endstufen Merak, hat das Entwicklerteam um Mastermind Xuanqiang Wang nun sein erstes All-Inclusive-Produkt abgeliefert: den Streaming-Vollverstärker Auralic Polaris (www.audionext.de). Audiotechnisches Know-how aus einem Jahrzehnt intensiver Forschung in ein kaum mehr als DIN-A-4 großes Gehäuse gepfercht. Wie das wohl klingt?
Nun, für mich erstmal: verdächtig. Das knuffig zu den Seiten hin abgerundete und mit unter fünf Kilogramm erstaunlich leichte Aluminium-Gehäuse des Auralic Polaris unterscheidet sich mit Ausnahme der Ausgänge an der Rückwand kein bisschen vom Chassis des Vega-DACs bzw. des Streaming-DACs Altair. Auch am großzügigen OLED-Display mit dimm- und abschaltbarer Anzeige, das (für Highend-Verhältnisse „ausnahmsweise“) groß genug ist, um auch von meinem drei Meter entfernten Hörplatz noch lesbar zu sein, hat man festgehalten.
Ob man der klanglich potenziell fatalen Vermischung von Endstufenstrom und Störstrahlungen (EMI) aus der digitalen Sektion nicht mit einem etwas weiträumigeren Gehäuse hätte Abhilfe schaffen können, statt in dem bequemerweise vorhandenen Gehäuse Entwickler-Tetris auf Expert-Level zu spielen? „Keine Sorge“, meint Christian Rechenbach von Auralic. „Die Sektionen im Polaris sind alle separat verkapselt.“ Warum das auch Not tut? Nun, der Auralic Polaris verfügt nicht nur über ein Wireless-Streaming-Modul, einen Digital-Analog-Wandler mit regelbarer Vorstufe und zwei 140-Watt-Endstufen im Class-D-Betrieb, sondern stellt der Außenwelt auch noch 17 Anschlüsse zur Verfügung. Digital lässt sich der Auralic Polaris via LAN-Schnittstelle oder über AES/EBU, Toslink, Coax und USB-B unter Umgehung des Streaming-Moduls als reiner Power-DAC verkabeln. Darüber hinaus steht ein USB-Ausgang mit der Aufschrift „DAC“ bereit, um den Polaris etwa als reinen Streamer zu verwenden. Für alle, die auch in Zeiten von Audio-on-Demand am altmodischen Besitzen von Musik festhalten möchten, lässt sich auf Wunsch auch eine Festplatte nach Wahl im Polaris verbauen. So weit, so Standard.
Die drahtlose Einbindung des Auralic Polaris ins heimische WiFi-Netz (Bluetooth und AirPlay sind ebenfalls möglich) realisiert der Auralic Polaris durch zwei Antennen, die an die Rückseite angeschraubt werden und praktischerweise zur leichteren Verstauung des Geräts ohne negative Folgen für den Empfang seitlich abgeknickt werden können. Sollte Ihr heimisches WiFi über ein 5-GHz-Band verfügen und grundsätzlich flink genug sein, hochauflösende Musikdaten zu streamen, ist – Stichwort: galvanische Trennung – der drahtlosen Verbindung zwischen Router und Polaris übrigens klanglich der Verzug vor der kabelgebundenen Ethernet-Verbindung zu geben, so zumindest die Erfahrung im Hause Auralic.
Analogen Kontakt vermag der Auralic Polaris über zwei vergoldete Cinchbuchsen-Paare zu knüpfen, die wahlweise als Phono-Eingang für MM-Systeme, als reiner Line-Eingang für analoge Zuspieler oder als Vorverstärkerausgang mit regelbarer Lautstärke konfiguriert werden können. Was fehlt, ist ein Fixed-Level-Ausgang – beispielsweise für einen regelbaren Kopfhörerverstärker –, den man laut Rechenbach aber ganz simpel händisch schaffen kann, indem man die Ausgangslautstärke auf den Maximalwert 100 stellt.
Besonders stolz ist man neben der praktischen und heutzutage keinesfalls obligatorischen Regelung von Balance und absoluter Phase bei Auralic auf die Lautstärkeregelung, die der Hersteller zum Patent angemeldet und im Polaris erstmals verwendet hat. Wirkt das Klangbild in der heimischen Kette wider Erwarten merkwürdig diffus, kann das an einem Kettenglied liegen, das die absolute Phase des Signals um 180 Grad dreht. Solche Eigenheiten bleiben – wie namentlich auch bei meinem Vollverstärker Jadis DA 88 – oft unbemerkt und sind, falls doch merklich, dann schwer lösbar. Der Auralic Polaris bietet hier eine erfreuliche Ausnahme. Um einem der klangkritischsten Teile eines Highend-Systems Herr zu werden, mischt Auralic bei der so genannten „Hybrid Volume Control“ analoge und digitale Technologie dergestalt, dass der analoge Pegelsteller das Audiosignal in groben 12-dB-Schritten dämpft und die Feinregelung der Lautstärke digital vom DAC übernommen wird.
Wer die Streaming-Funktionen des Auralic Polaris per iPhone oder iPad steuert – wahlweise über Roon, vorzugsweise aber mit der seit Jahren bewährten Auralic-internen Plattform Lightning DS inklusive Integration von Internetradio, Qobuz, WIMP und Tidal – kann seit Ende 2016 auch guten Gewissens auf die Software-Lautstärkeregelung zurückgreifen. Bis dahin von Auralic wegen klanglicher Defizite als Notlösung abqualifiziert, arbeite diese nach dem neusten Firmware-Update nun nahezu verlustfrei im 64-Bit-Modus. Übrigens kann auch die hybride (Hardware-)Lautstärkeregelung am Polaris selbst (wie auch die Wahl der Klangfilter) über die Lightning DS-App gesteuert werden, so dass die beiliegende Fernbedienung im täglichen Gebrauch nicht benötigt wird. Lightning DS wird vom Auralic-Team sukzessive weiterentwickelt und unterstützt in der aktuellen Version nicht nur AirPlay, Bluetooth, Gapless-Wiedergabe, Memory-Cache, On-Device-Playlisten und bitperfekte Multiroom-Steuerung, sondern ist inzwischen auch kompatibel mit anderen OpenHome- und UPnP-Kontrollanwendungen. Verfügbar ist Lightning DS allerdings nur für iOS-Geräte. Den Service für Android hat Auralic eingestellt, weil zu viele unterschiedliche Versionen des Google-Systems im Umlauf seien. Zumindest die Ersteinrichtung des Polaris können Android-Nutzer allerdings über eine HTML-5-basierte Browseranwendung am Smartphone oder Tablet nach Eingabe der Polaris-IP-Adresse im heimischen Netzwerk vornehmen.
Soweit also dazu, was alles wie und wo raus und rein geht. Doch wo führt das alles nun hin? Was ist der neue Wein im alten Gehäuse? Nun, der DAC ist der gleiche, der auch im Auralic Altair werkelt, nämlich der bewährte ESS Sabre 9018, der beim Polaris allerdings von einer selbst entwickelten Software bzw. einem Prozessor nebenan gesteuert wird. Und überhaupt: Die Fokussierung auf feinere Lautstärkeschritte durch die hybride Volumenkontrolle, die verstärkte Hitzentwicklung durch die beiden Endstufen und die erhöhte EMI-Noise im ganzen Gehäuse haben eine dermaßen gründliche Umprogrammierung der DAC-Architektur zur Folge, dass man laut Rechenbach im Vergleich zum Altair nicht mehr wirklich von einem identischen DAC-Modul sprechen könne. Neu im Auralic Polaris sind auch die vier proprietären Filtermodi „präzise“, „dynamisch“, „sanft“ und „balance“, die tatsächlich genauso klingen, wie sie heißen und dergestalt je nach Musikstil, Restkette und persönlichem Hörgeschmack zwar keine gravierenden Klangunterschiede, so doch eine subtile Feinabstimmung des finalen Klangbilds offerieren.
Bekannt & bewährt im Hause Auralic hingegen ist die Femto-Masterclock, die 4-fach-DSD und PCM bis 384 kHz/32 Bit unterstützt. Allerdings nur bei Verwendung des Auralic Polaris als Streamer oder USB-DAC. Digitale Signale über Toslink, Coax oder AES/EBU werden lediglich bis zu einer Datenrate von 192 kHz/24 Bit gewandelt.
Die beiden Endstufen, die mit rund 2.000 Euro im Vergleich zum Streaming-DAC Altair immerhin die Hälfte des Anschaffungspreises ausmachen, sind neben dem Sabre-Chip die einzigen nicht selbst entwickelten Parts im Polaris und leisten an 8 Ohm satte 120 Watt pro Kanal. Theoretisch. Denn praktisch, wie Rechenbach freundlicherweise einräumt, klingen die Polaris-Endstufen an tendenziell niederohmigeren Lautsprechern besonders gut.
„Gecastet“ wurden die beiden Endstufen übrigens von Mister Wang persönlich – wie üblich fast ausschließlich aufgrund ihrer bilderbuchmäßig niedrigen Verzerrungswerte. Dass sie am Ende klanglich so geschmeidig ins Gesamtkonzept passten, sei fast ein bisschen Zufall gewesen, so Rechenbach. Und zwar, soviel kann ich nach vier Testwochen bestätigen: ein sehr, sehr glücklicher Zufall.
Ob es nicht noch etwas zu beachten gilt, bevor wir nach all dem technischen Sermon endlich reinhören in dieses knuffige Hightech-Highend-Kistchen? Vielleicht, dass der Auralic Polaris eine überdurchschnittliche Hitze entwickelt und deshalb etwas Platz um sich herum sicherlich goutiert. Womöglich, dass er eine gute Woche eingespielt werden sollte, bevor er seine klangliche Bestform zeigt. Sicherlich, dass sich – die ohnehin Komplettgerät-empfänglichen Kunden werden das gerne hören – ein Herumexperimentieren mit Racks, Stellflächen oder Entkopplungsfüßen beim Polaris weniger lohnt als bei anderen Audiogeräten. Auf jeden Fall, dass Sie, anders als verschiedentlich im Internet verlautbart, beim Kauf eines neuen Auralic Polaris nicht den Vertrieb, sondern Ihren Händler fragen sollten, wenn Sie die Festinstallation einer Festplatte vornehmen möchten. Und ganz sicher, dass Sie alles, was ich jetzt an Technik-Klein-Klein erklärt habe, im Grunde sofort wieder vergessen können. Denn jetzt kommt etwas ganz Großes: der Klang des Polaris.
Test: Auralic Polaris | Streaming-Verstärker