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In den 1970er-, vor allem aber in den 1980er-Jahren wurde die Welt der klassischen Musik von einer neuen Entwicklung überrollt und letztlich umgekrempelt. Sie schickte sich an, neue Wege zum Kern und zur Aussage der Musik zu finden, indem sie die bisherigen Ansätze konsequent infrage stellte und erst einmal fast alles anders machte. Die Rede ist von der Historischen Aufführungspraxis. Ohne jetzt eine Diskussion über den musikalischen Wert dieser Bewegung beginnen zu wollen, kommt man nicht umhin festzustellen, dass dieses neue Denken auch in der konservativeren Szene einige Erkenntnisse brachte.
Ein klein wenig verhält es sich so auch mit den Lautsprechern des jungen Herstellers Aretai aus Riga, hierzulande im Vertrieb von MRV Audio, ein Unternehmen, das vor allem für die Electrocompaniet-Distribution bekannt ist. Viele Wege der Letten sind neu und genau so zahlreich sind die Vorbehalte derer, die einer Contra 100S noch nicht ihr Ohr leihen konnten: komisches Horn, zu klein für richtigen Bass, zwei unterschiedliche Basswege in einer geschlossenen Kammer funktionieren nicht, zu teuer (10.900 Euro/Paar). All das wehte mir entgegen, als ich erzählte, womit ich mich gerade beschäftigen darf. An dieser Stelle möchte ich den Kritikern Dank aussprechen, denn sie lieferten mir eine Stichpunktliste, die ich in diesem Text abarbeiten kann.
Wow-Effekt
Nachdem mich die ersten Fotos erreichten, war ich ehrlich gesagt nur minder begeistert. Ja, komisches Horn und ganz schön wenig Lautsprecher fürs Geld. Wie – so dachte ich mir – soll ich denn die Worte finden, um ein solches Missverhältnis zwischen Preis und Größe darzustellen?

Kompakt und edel: Wir hatten das kleinste Modell der lettischen Lautsprechermanufaktur Aretai zu Gast. Die Contra 100S ist ein Zweiwegemonitor mit Hochtonhorn und rückseitig montierter Bass-Unterstützung
Nun, kaum habe ich die Lautsprecher aus ihren stabilen PeliCases, die man übrigens als Zubehör erwerben kann, entnommen, sieht die Welt zumindest teilweise anders aus: Alles, aber auch wirklich alles an der Aretai Contra 100S drückt Wertigkeit, Klasse und Anspruch aus. Die Lackierung ist schlichtweg perfekt, die Spaltmaße ein Wunschziel für jeden Premiumhersteller der Automobilbranche und wer sich einmal mit Holzverarbeitung beschäftigt hat, weiß, wie schwer es ist, bei einem so flexiblen Material Fasen und Rundungen derart konsequent gleich durchzuziehen.

Vorder- und Rückseite der Aretai Contra 100S: Zwei Sechs-Zoll-Konusse stecken in jeder Box, der auf der Rückseite arbeitet nur ab 150 Hertz abwärts, der auf der Front bis 4000 Hertz hinauf
Schön ist auch, dass man keine einzige Schraube sieht. Die Chassis sind offensichtlich von innen verschraubt, das Horn ebenso. Auch am Anschlussterminal findet sich kein Ansatz. Bei Aretai ist man stolz darauf, einen Weg gefunden zu haben, den kompletten Lautsprecher durch die Öffnung im Boden zu montieren – hier gibt es dann auch die einzig sichtbaren Schrauben. Bringt das Vorteile für die klangliche Performance? Wohl kaum. Allerdings haben wir es hier mit einem Luxusartikel zu tun, also ist etwas mehr Aufwand durchaus gerechtfertigt. Schließlich fährt ein Auto auch nicht besser, wenn die Tür mit sattem Geräusch ins Schloss fällt, anstatt einfach nur „Klönk“ zu machen. Der Besitzer freut sich trotzdem und darauf kommt es an.
Treibermaterial
Die drei Treiber der Contra 100S bezieht Aretai von SB Acoustics. Janis Irbe, der Gründer und Inhaber von Aretai, befand nach vielen Versuchen und Messungen unterschiedlicher Produkte, dass hier die Balance aus Bandbreite, eher „weichem“ Aufbrechen der Membranen, geringen Verzerrungen und einem noch angenehmen Wirkungsgrad am besten war. Vor allem der Hochtöner hat es ihm angetan: „Der gewählte Ringradiator-Hochtöner hat den zusätzlichen Vorteil, dass seine zentrale Spitze fixiert ist. Der typische Nachteil von Soft-Dome-Membranen besteht darin, dass sich ihre Spitze aufgrund des Gegendrucks der Luft bei hohen Schalldruckpegeln gegenphasig verbiegt und dynamisch wechselnde Frequenzgangabfälle im oberen Frequenzbereich verursacht.“ Der Ringstrahler hingegen strahle die hohen Frequenzen vom Ring um seine zentrale Spitze aus ab und sei frei von diesen Problemen. Außerdem ermögliche sein größerer Gesamtdurchmesser eine niedrigere Übernahmefrequenz, wodurch der Übergang des Abstrahlwinkels über den Übertragungsbereich hinweg gleichmäßiger ausfalle, so der Aretai-Chef.

Für die Hochtonlagen ab 4000 Hertz setzt Aretai bei der Contra 100S auf einen Ringradiator von SB Acoustics
Dieser Übergang vom Mittel- zum Hochtöner ist Irbe besonders wichtig und einer der Gründe für das flache und auffällige Horn. Rund um die Übernahmefrequenz von 4000 Hertz sorgt diese Konstruktion beim Hochtöner für einen Lautstärkeanstieg von drei bis fünf Dezibel, was bei gleichem Pegel für weniger Hub und damit für weniger Verzerrungen sorgt. Es geht bei diesem Konzept also nicht darum, die Übernahmefrequenz weit nach unten zu drücken – selbst bei 3000-4000 Hertz sind Hochtöner für Irbe noch keine Selbstläufer. Der beste Weg ist laut Irbe vielmehr, in den sensiblen Mitten gar keine Übernahme stattfinden zu lassen und dann den Hochtöner so anzubinden, dass er kaum elektrischer Korrektur bedarf.
Die beiden Sechs-Zoll-Treiber für den Mittel- und Tiefton arbeiten Rücken an Rücken auf ein und dieselbe geschlossene Kammer. Bei Versuchen kam es immer wieder zu einer unklaren Darstellung der unteren Mitten, wenn der rückwärtige Treiber zu hoch spielte, deshalb greift er jetzt erst unterhalb von 150 Hertz ins Geschehen ein, es handelt sich also um ein Zweieinhalb-Wege-System. Die Klarheit in den Mitten ist bei diesem Lautsprecher nichts weniger als faszinierend, so viel darf ich schon verraten.
Frequenzweiche
Bei der für uns unsichtbaren Frequenzweiche müssen wir uns wieder auf die Aussagen des Herstellers verlassen. Ganze 17 Bauteile tummeln sich wohl auf der Platine, um die gewünschte Linearität zu erreichen, dabei wird angeblich die untere Grenzfrequenz erweitert und ein zu dicker Oberbass vermieden. Filter erster und zweiter Ordnung regeln den Übergang von den mittleren zu den hohen Lagen. Zudem gibt es noch einige Bauteile, die den vorderen Tiefmitteltöner kurz vor der Übergabe an den Hochtöner „im Zaum halten“ und das zwangsläufig einsetzende Aufbrechen der Membran verhindern sollen. Da hier einige sehr eigene Lösungen gefunden wurden, möchte Janis Irbe nicht im Detail auf die Schaltung eingehen und freut sich, dass ich das Gehäuse nicht öffnen konnte.

Das Querschnitt-Rendering der Aretai Contra 100S zeigt den prinzipiellen Aufbau der geschlossenen Box
Aretai Contra 100S: Hörtest und Vergleiche
Aufstellung und Bühneneindruck
Bei der Aufstellung darf man gerne ein paar Minuten mehr aufwenden, wobei die Aretai Contra 100S auch schon lieblos aufgebaut durchaus erfreulich klingen. Die Größe der Bühnendarstellung ist allerdings in wirklich großem Maße von der Einwinkelung der Lautsprecher abhängig. Gerade ausgerichtet, präsentiert sich das Geschehen durchschnittlich breit zwischen den Boxen, die Bühne beginnt auf der Lautsprecherebene und gestaltet sich nicht sonderlich tief. Wenn man aber den hinteren Tieftönern etwas Platz zur Rückwand lässt und gleichzeitig die Lautsprecher leicht (10-20 Grad) einwinkelt, dann wird man mit einer Stereobreite belohnt, die deutlich über die Basisbreite der Boxen hinaus geht. Die Abbildung startet dann leicht vor den Lautsprechern und erstreckt sich schön, wenngleich auch nicht rekordverdächtig tief in den virtuellen Raum.

Unterschiedliche Ausführungen der Aretai Contra 100S – unser Testmodell kam mit schwarzem Gehäuse und weißem Horn (ganz links)
Dafür werden einzelne Schallquellen exemplarisch scharf umrissen und präzise auf der Bühne festgepinnt. Die Lautsprecher selbst sind nicht mehr als Schallquelle ortbar, wie es im Idealfall ja auch sein soll. Das gesamte Panorama wird dabei durch eine Vielzahl von Mikroinformationen angereichert, die sich mit gutem Aufnahme-Equipment einfangen lassen, wenn in einem nur scheinbar leisen Saal aufgenommen wird: Die vielen kleinen Geräusche, die entstehen, wenn mehrere Menschen im Orchester versuchen, wirklich leise zu sein – ein Atmen, ein Blättern, das Rascheln von Kleidungsstücken. Viele sauber abbildende Lautsprecher verschweigen solche für die Musik eigentlich nicht relevanten Informationen, was schade ist, weil dadurch das Klangbild etwas artifiziell wird. Die Aretai hingegen schenkt der Musik auf diese Art eine glaubhafte Bühne.
Spielpartner
Vielleicht noch ein Wort zu den idealen Spielpartnern. Mit kleinen Verstärkern wie einem Cambridge AXA35 spielt die Aretai Contra schon sehr manierlich, wobei das natürlich preislich ein Mismatch ist, wie er in absolut keinem Buch mehr steht. Jeden Zuwachs an Leistung und Souveränität quittiert die Aretai mit einer signifikanten Steigerung der Performance. Für diesen Artikel hörte ich die meiste Zeit mit einem Electrocompaniet ECI 6 DX Mk II, dem jüngst getesteten Audio Analogue Puccini Anniversary und einem Accuphase E-4000, allesamt erstklassige Sparringspartner, die auch preislich in einem sinnvollen Verhältnis zu den Boxen stehen.
Da die Lautsprecher im Oberbass sehr linear spielen, empfiehlt der Hersteller eine eher wandnahe Aufstellung. Zentimeterweise kann man so die Bassperformance an die Bedürfnisse des Raums und des eigenen Geschmacks anpassen.
Über den Wolken
Die hohen Frequenzen werden von der kleinen Aretai faszinierend klar und luftig präsentiert. Obwohl sie sich keineswegs zurücknehmen, schneiden sie nicht durch die Musik, sezieren oder schreien nicht. Auch wenn die Gesamtabstimmung des Lautsprechers meiner Einschätzung nach einen leichten, konstanten Anstieg von den unteren Mitten bis zum Airband aufweist, schlägt sich dies doch vornehmlich in einer stupenden Klarheit und Weiträumigkeit nieder – aggressives Zischen ist den Letten völlig fremd.
In Helmut Lachenmanns Kontrakadenz (Radiosinfonieorchester Stuttgart, KAIROS) gibt es allerlei Klänge, die einem ahnungslosen Hochtöner das Leben schwer machen: verschiedene Triangeln, Piccoloflöten, Flageolett-Töne auf den Geigen und – mein Liebling – mit Geigenbögen gestrichene Becken. Je nach Becken variiert das entstehende Geräusch von einem gutturalen Summen bis zu einem infernalischen Kreischen, nichts jedenfalls, was einen Lautsprecher erfreut. Gerade das gewollte hohe Kreischen wird unerträglich, wenn ein Lautsprecher noch zusätzlich Verzerrungen oder irgendwelche Kompressionseffekte beimischt. Möchte man sofort leiser drehen, weiß man, dass hier etwas falsch läuft. Die Aretai Contra 100S stellen alle diese Geräusche exemplarisch natürlich in den Raum, bilden den aggressiven Klang lebensecht und luftig ab, komplett frei von Beimengungen oder künstlichem Druck. Nichts schmerzt, die Lautstärke bleibt oben.
Im Ausklingen der Obertöne der Becken erkennt man auch, dass sich das Bemühen um Linearität bis 30000 Hertz beim Weichendesign gelohnt hat. Alle feinen Hochtongespinste schweben mühelos im Raum, verklingen langsam und brechen nicht einfach ab. Diese Hochtöner klingen nicht nur entspannt, sie gehen ihrer Arbeit ungemein gewissenhaft nach. Eine solche Detailauflösung kombiniert mit dieser Lockerheit findet man wirklich nicht an jeder Ecke.
Reich der Mitten
Die absolute Schokoladenseite der Aretai Contra 100S ist – und da lege ich mich jetzt mühelos fest – der Mittenbereich. Überlagerungen aus dem Bassreflexrohr fehlen prinzipbedingt (die Box ist ja geschlossen), ebenso Übernahmeprobleme zum Hochtöner, und so entsteht ein exemplarisch sauberes und durchhörbares Mittenband, wie man es andernorts nur sehr selten zu hören bekommt. Ja, die kleinen Aretai bieten nicht nur preisklassenbezogen, sondern weit darüber hinaus einen der besten Mittenbereiche des Marktes. Diese extreme Transparenz, die frei von jeglichen Härten präsentiert wird, ermöglicht es, tief in komplexe Partituren einzutauchen.
Das Vorspiel von Richard Wagners Tristan und Isolde ist ein hervorragendes Beispiel für seine polyphone Orchestrierung, bei der verschiedene Stimmen gleichzeitig ihre Linien verfolgen und dennoch ein kohärentes Gesamtbild erschaffen. Nach den ersten hinlänglich bekannten Akkorden entsteht eine getragene Linie in den hohen Streichern, die nach und nach von den anderen Gruppen Begleitung bekommt, die sich zunächst harmonisch unterordnen und tatsächlich nur begleiten, mit der Zeit aber eigene Informationen ins Geschehen bringen. Von einer Melodie mit begleitenden Harmonien wächst die Musik zu einem vielstimmigen Geflecht, in dem man als Hörer leicht den Überblick verlieren kann. Eine Harbeth Super HL5 Plus fokussiert hier auf die Mischung, den Gesamtklang. Die wichtige Stimme wird von den anderen gestützt und so bleibt die Aufmerksamkeit bei der Hauptlinie. Natürlich kann man auch die anderen Stimmen hören, wenn man sich darauf konzentriert. Die Aretai geht hier einen ganz anderen Weg: Wie bei einer Explosionszeichnung liegen die Wege und Verästelungen aller Partien offen vor dem Hörer, man kann durch die Musik fast wie durch ein 3D-Modell laufen. Glücklicherweise bleibt diese Akribie immer im Dienste der Musik, der Atem bleibt erhalten, das Buchhalterische fehlt. Hier merkt man den Klassenunterschied, der der Preisrelation entspricht.
All das gelingt der Aretai in diesem Frequenzband, indem sie einzelne Schallereignisse sehr klar abgrenzt und mit einer Art „Abstand“ zu den Nachbarn platziert. Dadurch verschwimmen keine Informationen, jeder Ton, jedes Instrument, jede Schicht steht für sich und doch gleichzeitig (wenn die Tonmeister einen guten Job gemacht haben) im ganzheitlichen Verbund. Selbst eine preislich ebenbürtige B&W 805 D4, die ja nun nicht gerade als euphonischer Weichzeichner bekannt ist, grenzt hier weniger ab, lässt einzelne Klänge minimal leichter ineinander fließen. Nun gut, zaubern können auch diese kleinen, lettischen Wundertiere nicht, und dementsprechend zerfallen schlechte Produktionen vor unseren Ohren, wofür man allerdings nicht die Contra verantwortlich machen kann.
Bei der extrem gut produzierten Welcome 2 America von Prince lässt sich Ähnliches erleben. Die teilweise recht komplex aufgebauten Songs werden nicht wie bei vielen anderen Boxen als „Oberfläche“ präsentiert. Die Contra 100S fächert alle im Studio erstellten Schichten vor einem auf, behält aber gleichzeitig den Blick auf das große Ganze. Klingt das zu schön, um wahr zu sein? Nun, wie ich schon sagte, es handelt sich um einen referenzwürdigen Mittenbereich.
De Profundis
Gute Nachrichten auch aus der Tiefe: Die Aretai spielen mit ihren „eineinhalb“ Woofern substanziell tief in den Frequenzkeller hinab und bieten einen für diese Lautsprechergröße phänomenalen Bass. Die Contra 100S reichen tief herab, zeichnen auch weit unten sauber durch und liefern erstaunlich viel, allerdings auch nicht zu viel Pegel. Den Kunstgriff vieler Entwickler, mittels eines leicht überhöhten Oberbasses Tieftonkompetenz zu suggerieren, spart sich Janis Irbe zum Glück.
Dadurch – und durch das geschlossene Gehäuse – erleben wir in diesem Frequenzbereich eine Durchzeichnung, die für diese Lautsprechergröße sehr erstaunlich ist. Auf dem Plattenteller dreht sich einmal mehr Tristan und Isolde (EMI LP, Herbert von Karajan, Berliner Philharmoniker). Wenn nach den schon beschriebenen Akkorden und den ersten Linien in den Geigen nach einer Weile die Kontrabässe mit einem satten Pizzicato (gezupft) einsetzen, liefern die Contra 100S gleich einen ganzen Strauß nützlicher Informationen: Es sind viele Bässe, nicht nur einer (acht, um genau zu sein). Sie stehen rechts im Orchester in zwei Reihen, und der Zugriff der einzelnen Spieler ist minimal unterschiedlich. Wo andere kleine Lautsprecher nur ein tiefes „Wumm“ bieten, analysiert die Lettin mühelos die Details der Aufzeichnung. Ich habe diese Informationen natürlich schon mal gehört, genau deshalb habe ich die Platte ja aufgelegt. Allerdings waren alle Lautsprecher, die zu einer solchen Leistung bisher in der Lage waren, teurer und tatsächlich immer auch viel größer.
Ersetzt die Contra 100S also mühelos jede Standbox? Nein, so weit will ich nicht gehen. So neu und schlau die Wege, die Aretai geht, auch sein mögen, so fest stehen die Gesetze der Physik. In großen Räumen geht der kleinen Box natürlich irgendwann die Luft aus, die Membranfläche wächst nun mal nicht mit. Dafür gibt‘s ja die zwei größere Modelle im Programm der Letten, die für solche Fälle vorgesehen sind.

Es geht schon noch größer: Die drei Modelle der Contra-Serie von Aretai. Wir hatten die kompakte 100S im Test (ganz rechts)
Der ungefähr gleich teure Standlautsprecher Børresen X3 beispielsweise bietet im Tiefton naturgemäß mehr als die kleine Aretai, muss sich allerdings von deren exemplarisch gut durchhörbaren Mitten den Schneid abkaufen lassen. In Räumen bis vielleicht 15-20 Quadratmeter wird man in der Tat mit der sprichwörtlichen Lupe suchen müssen, um eine bessere, sprich: ehrlichere und nicht nur andere Performance zu erhalten. Hätte ich einen Raum dieser Größe, wäre die Aretai mein Lautsprecher. Doch leider ist mein Wohnzimmer deutlich größer und mein Konto für die profunderen Modelle zu klein.
Das Relief
Beim Durchlesen des bisher Geschriebenen fällt mir auf, dass ich noch gar nicht auf die dynamischen Fähigkeiten der kleinen Aretai eingegangen bin. Nein, ich wollte damit keine eventuellen Inkompetenzen verschweigen, das Gegenteil ist der Fall. Die Contras hängen – kompetente Spielpartner vorausgesetzt – so locker am Gas, dass dynamischen Strukturen so passieren, wie es sein muss. Sprich: Es fällt nichts auf, weil es so natürlich wirkt. Schnell und energetisch stehen die Impulse im Raum und die beiden Boxen geben sich scheinbar unbeteiligt. Auch bei erhöhtem Druck sind ihnen durch das Gehäuse erzeugte Artefakte fremd. Klar: In größeren Räumen und bei nachbarschaftsgefährdenden Pegeln verwischen die Konturen dann natürlich und feine Abstufungen werden verrundet. Aber in ihrem natürlichen „Habitat“ wird man sie nur selten an solche Grenzen bringen.
Kennen Sie ein Clavichord? Diesem speziellen Instrument eilt der Ruf voraus, dass es so leise ist, dass die meisten Konzertbesucher erst nach einigen Minuten merken, dass die Vorstellung schon begonnen hat. An der Sache ist was dran, dieses Instrument eignet sich definitiv nicht für große Säle und wurde dafür auch nicht entwickelt. In intimer Nähe kann man mit diesem Spezialisten allerdings unglaubliche Dinge erleben. Anders als bei einem Cembalo werden die Saiten nicht angerissen, sondert mit einer kleinen Metallschiene am Ende der Tastenmechanik angeschlagen. Diese Metallleiste fungiert gleichzeitig als Steg, der Ton klingt also nur, solange man die Taste gedrückt hält. Gleichzeitig hat man unmittelbare Kontrolle über die Saite, kann minimale Lautstärkeunterschiede darstellen und durch ein „Zittern“ auf der Taste ein Vibrato erzeugen.
Mit federleichten Breitbändern an 300B-Röhren habe ich den Zauber dieser Klänge schon erleben dürfen, wobei das Setup direkt danach bei einer fünften Bruckner fulminant abschmierte. Schwamm drüber. Diese Anlage konnte wunderbar mühelos Mikroinformationen im Bereich zwischen Mezzopiano und Pianississimo in zahllosen Stufen auffächern. Hier sind die Aretai so dicht dran, wie ich es bei einem derart kleinen und „schweren“ Lautsprecher selten gehört habe. Eine große Børresen konnte das auch schon mal, über den Preis dieses Lautsprechers decke ich jetzt aber besser den Mantel des Schweigens. Die kleine Aretai begeistert jedenfalls mit Mühelosigkeit und Schnelligkeit, mit der sie alle noch so feinen Dynamikstufen darstellt.
Test: Aretai Contra 100S | Kompaktlautsprecher






