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Ohraufliegend ist der K812 natürlich nicht, sondern es handelt sich um einen klassischen, großen, ohrumschließenden Hörer. Obwohl die Aufhängung auf den ersten Blick der anderer großer AKG-Modelle gleicht, ist sie doch komplett anders aufgebaut. Das Kopfband ist nicht mehr selbsteinstellend, sondern lässt sich fein rastend anpassen. Das mag nach einem Nachteil klingen, beweist sich in der Praxis jedoch als deutlich zuverlässiger. Dank großer Polster und sehr weichen Leders ist auch der Langzeitkomfort des K812 auf sehr hohem Niveau. Das Kopfband und die sehr leichtgängige Ohrmuschelverstellung üben auch über längere Hörzeit keinen großen Druck aus und die luftige Bauweise beugt heißen Ohren vor.
Bleiben wir noch kurz bei der Aufhängung und den Polstern. Diese sind, wie bei vielen aktuellen Hörern, asymmetrisch geformt, um das Ohr besser zu umschließen. Ebenfalls sind die Treiber gewinkelt montiert. Beides sorgt bei einem Hörer für eine natürlichere Art der Bühnendarstellung. Beim AKG K812 ist dies gut gelungen. Die Bühne ist – untypisch für AKG – nicht außerordentlich groß und weitläufig, gehört jedoch in Sachen Ortung und Präzision zu den besten, die ich erleben durfte.
Die Raumeindruck ist so gut, dass jegliche „künstliche“ Änderung eine hörbare Verschlechterung herbeigeführt: So ist der neue AKG K812 tatsächlich der erste Hörer, den ich je in meiner Kette gehört habe, bei dem die Aktivierung von Crossfeed tatsächlich zu einem Zusammenbruch des Bühnenbildes führt. Zwar ist die Verschiebung des Klangbildes nach vorne gut hörbar und führt bei extremer Stereoseparation zu einem angenehmeren Klangbild, jedoch wird die Ortbarkeit bei Aufnahmen mit guter Räumlichkeit spürbar schlechter.
Die andere Überraschung betraf den Bassbereich des AKG K812. Zur Auslotung dessen griff ich zu elektronischer Musik. Kraftwerks 1978 veröffentlichtes Album Die Mensch-Maschine in der remasterten Version aus dem „Katalog“. In diesem Album werden die erst viel später aufkommenden Discobässe bereits vorweggenommen. Allerdings in einer kraftwerktypischen, reduzierten Weise. So sind die Bässe in der remasterten Version extrem trocken und schnell, was einem besonders beim Titelsong auffällt.
Der AKG bietet hier Außergewöhnliches. Waren die meisten bisherigen großen Modelle aus diesem Haus nicht für ihre Bassstärke bekannt, könnte der K812 das ändern. Der Tiefton kommt auch schon bei geringer Lautstärke absolut überzeugend an die Ohren. Dabei tritt jedoch nie dieses „Subwoofer“-Gefühl mit runden, aufgeblasenen Bässen auf – im Gegenteil, die Impulskontrolle des K812 ist herausragend.
Fein gerastet: Das Kopfband des AKG K812
AKG hat, wie andere Hersteller zuvor, beim neuen Hörer auf sehr große Treiber gesetzt (53 mm Durchmesser), sie jedoch mit einem sehr starken 1,5-Tesla-Magnetsystem gepaart. Ich vermute, dass es diese Kombination ist, die es ermöglicht, dank vorhandener Fläche einerseits ein realistisches Bassvolumen aufzubauen, andererseits dank der starken Magnete die Treiber eng unter Kontrolle zu halten.
Die Dynamik und Impulstreue haben mich über weite Strecken an den Audeze LCD2 erinnert. Die Unterschiede zeigen sich im Detail: Während der AKG auch bei geringer Lautstärke schon ein schönes Bassfundament mit sehr trockenen Anschlägen bieten kann, ist der LCD2 im absoluten Frequenzkeller bis zu circa 40 Hz hinauf erwachsener und linearer. Bei hohen Lautstärken bietet der Audeze mehr Dynamikreserven – die man sich aber mit einem sehr hohen Gewicht (und daher eingeschränktem Tragekomfort) erkauft.
Als musikalischen Kontrast griff ich nun zu einer klassischen Aufnahme: Jenufa, die tschechische Oper von Leos Janácek in der Einspielung mit den Wiener Philharmonikern um Sir Charles Mackerras. Die Sänger stehen von Anfang an absolut glaubwürdig im Raum. Die Natürlichkeit, mit der die Stimmen reproduziert werden, überzeugt in jeder Tonlage. Der AKG gibt allen Charakteren ausreichend Volumen und Präsenz. Man bekommt nie das Gefühl, als wäre auch nur irgendetwas zwischen dem Hörer und der Aufnahme. Man sitzt wahrlich in der ersten Reihe – manchem vielleicht sogar schon etwas zu nah am Orchestergraben.
Die Höhenwiedergabe ist im besten Sinne unaufgeregt und zieht keinerlei Augenmerk auf sich. Der K812 spielt so, wie man es sich wünscht – linear und ohne unnötige Betonungen. Auch die Auflösung des AKG liegt auf sehr hohem Niveau. Feine Details werden klar getrennt – hier spielt er auf Augenhöhe mit der Konkurrenz, möglicherweise sogar etwas darüber. Dieser subjektive Eindruck wird durch die Art der Darstellung begünstigt. Dem AKG gelingt der Spagat zwischen sehr engagierter Spielweise und dem nötigen Raum. Hintergrunddetails rückt der AKG mehr in den Fokus als andere Hörer und macht sie so leichter separierbar – er lässt sie jedoch nie zu vordergründig werden. Dieser Aspekt wird noch durch die Tatsache begünstigt, dass – für einen AKG – ein vergleichsweise kleiner Raum aufgebaut wird. Im direkten Vergleich mit dem K701 begeistert mich die engagierte Spielweise des neuen K812 jedoch viel mehr – gepaart mit seiner Natürlichkeit, kann man es kaum erwarten, immer mehr seiner Lieblingsalben abzuspielen.
Daher griff ich zu einem meiner musikalischen Lieblinge: Joss Stones Erstling The Soul Sessions. Der AKG überzeugte auch hier von Beginn an, indem er es mühelos schaffte, den groovigen Sound des Albums umzusetzen. Erneut begeisterte mich die Natürlichkeit und das Volumen in Joss’ Stimme. Die dynamischen Qualitäten dieses Kopfhörers sind auf so hohem Niveau, dass er mich zum Mitwippen animiert wie sonst nur Lautsprecher (oder vielleicht ein Audeze-Hörer).
Leider hat das Album einige Masteringfehler, die der AKG K812 auch ungeschönt ans Ohr bringt. Bedingt durch die detailverliebte und -hervorhebende Darstellung, ist er im Guten wie im Schlechten ein sehr ehrlicher Hörer. Wenn Sie eine Analogie suchen: Mit ihm ist’s ein wenig so, als würde man näher an seine Lautsprecher heranrücken. Kleine Nuancen aus dem Hintergrund fallen so leichter auf. Nicht umsonst vermarktet AKG den K812 auch als Spitzenmodell in der Pro-Linie für Mastering und Abhöranwendungen. Aber nun: Die Übersteuerungen der CD konnte ich durch Nutzung des AKG in Verbindung mit einem Röhrenkopfhörerverstärker leicht maskieren beziehungsweise abrunden. So wurden auch schlechte Alben sehr angenehm hörbar.
Insgesamt war der AKG K812 in meinem Setup ein überraschend genügsamer Hörer. Er spielte an nahezu jeder Quelle gut auf und gab die Qualitätsunterschiede der einzelnen Kopfhörerverstärker sehr gut wieder. Selbst in Verbindung mit der eingebauten Klinke meiner AV-Vorstufe für Filme bot er eine überraschend gute Performance. Die Räumlichkeit war bereits ohne Dolby-Headphone auf einem sehr hohen Niveau und die Sprachverständlichkeit über jeden Zweifel erhaben. Dank der ausgezeichneten Basskontrolle machte es sogar gehörigen Spaß, die Actionszenen anzuhören.
Zum Abschluss will ich noch einen kurzen Vergleich zum ewigen Rivalen Sennheiser ziehen, schließlich haben sich HD650 und K701 jahrelang den Spitzenplatz in meiner Kette geteilt. Der Sennheiser HD800 ist im direkten Vergleich zum AKG K812 ein wenig mehr „der Gentleman“ unter den beiden. Er spielt weniger direkt, weniger aufgeregt, jedoch mit ähnlicher Auflösung. Er verlangt nach einem hochwertigeren Kopfhörerverstärker, um seine Qualitäten voll zu entfalten, und bietet einen deutlich größeren Raum – hat jedoch im Bassbereich das nachsehen. Zudem wirkt der AKG einfach etwas spritziger und lebendiger. Tja, wahrscheinlich werde ich niemals „den Einen“ finden und mich auch in den nächsten Jahre an einer kleinen, aber feinen Kopfhörersammlung erfreuen …
Test: AKG K812 | Kopfhörer