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Neugierig machen, das können sie ja schon bei Advance Paris, der französischen Vertriebsmarke von Quadral: Wer unsere News-Sektion regelmäßig verfolgt, der wird feststellen, dass aus diesem Hause immer wieder Komponenten mit auffällig vielen Features zu einem fast verdächtig günstigen Preis angeboten werden. Da fragt man sich natürlich schon: Kann das denn mit rechten Dingen zugehen? Das war zumindest mein erster Gedanke, als der Vollverstärker Advance Paris A10 Classic (www.advance-paris.de) bei mir eintrudelte und ich das beiliegende Fact Sheet studierte. Werfen wir mal gemeinsam einen Blick darauf, was für den moderaten Preis von 1.490 Euro alles geboten wird.
Advance Paris A10 Classic: Schnittstellen und Technik
Da wäre zunächst einmal die beeindruckende Konnektivität zu nennen: Hier kann man außer einer Blockflöte fast alles anschließen. Die analoge Sektion wartet mit sechs Hochpegeleingängen (sogar eine XLR-Buchse) sowie einem Phono-MM-Eingang mit in drei Schritten einstellbarer Eingangskapazität(!) auf. Über den Amp-In-Eingang kann der A10 Classic bei Bedarf wiederum als reine Endstufe genutzt werden. Auch lassen sich diverse Digitalquellen ankabeln – über die USB-Eingänge (USB-A, USB-B), den koaxialen S/PDIF-Eingang und die drei Toslink-Lichtleiteranschlüsse sowie die zwei HDMI-Anschlüsse. Darüber hinaus gibt’s auch noch einen Steckplatz für ein optional erhältliches Wireless/Bluetooth-Modul (129 Euro Aufpreis). Es geht noch weiter: Neben zwei Subwoofer-Ausgängen, einem lautstärkegeregelten Pre Out und einem Fixpegel-Rec-Out hat Advance Paris dem Amp ein doppeltes Lautsprecherterminal spendiert, es lassen sich also zwei Lautsprecherpaare betreiben.
Nun, schiere Anschlussvielfalt bedeutet noch nicht, dass man auch überbordend in die Klangqualität investiert haben muss. Doch in der Digitalsektion werkeln immerhin State-of-the-Art-Wandler von AKM (AK4490 / 32 Bit / 384 kHz), der Amp selbst kommt als Hybridverstärker mit einer Push-Pull-Gegentakt-Röhreneingangsstufe und einer diskret aufgebauten, transistorierten Class-AB-Ausgangsstufe.
Die Steuerung des Advance Paris A10 Classic geschieht zum einen über die mitgelieferte Systemfernbedienung, mit der sich die wichtigsten Funktionen (unter anderem Lautstärke, Klangregelung, Balance, Quellenwahl, dreistufige Dimmung der VU-Meter-Beleuchtung) abrufen lassen. Wer komplett in alle Funktionen abtauchen möchte, dem steht zum anderen der „Kombi-Griffel“ an der Gerätefront zur Verfügung. Nach innen drücken und einige Sekunden abwarten – schon landet man in der Menüstruktur, die es beispielsweise gestattet, die abspielenden Lautsprecher anzuwählen/umzuschalten oder auch die Zeit einzustellen, nach der das Gerät bei Nichtbenutzung in den Standbymodus geht. Es wurde offenbar auch der Wunsch meines Kollegen Michael Bruss erhört, der in seiner Rezension des Familienmitglieds Advance Paris X-i1100 bemängelte, dass man den weißen „Leuchtkringel“, der die Standby-Taste umschließt, nicht ausschalten kann. Hier ist das in den Tiefen des Konfigurationsmenüs möglich.
Der Advance Paris A10 Classic und das Design, das den Schwager verzückt
So viel zu den technischen Details, blicken wir nun mal auf statt unter die Haube: Die Verarbeitungsqualität würde ich als solide und absolut preisklassenwürdig erachten. Natürlich kann man zu dem Preis auf der Rückseite keine Top-Notch-Anschlüsse erwarten, die Front ist mit Plexiglas statt Glas verkleidet, aber immerhin ist das Firmenlogo dekorativ in den Deckel gefräst und der Amp wirkt insgesamt ordentlich verarbeitet. Das geht in Ordnung.
In puncto Design ist der Advance Paris A10 Classic durchaus ein Statement, die dunkel verspiegelte Plexiglasfront versprüht zumindest auf den ersten Blick einen authentischen Retro-Charme und zeigt sich von ikonischen 70-er-Jahre Boliden der Marken Marantz, Technics, Yamaha oder auch McIntosh inspiriert: Zwei großzügig dimensionierte und hübsch blauviolett illuminierte analoge VU-Pegelanzeigen nehmen ein Sichtglas in die Mitte, hinter dem die beiden „streng selektierten“ (Eigenwerbung) ECC81-Doppeltrioden sanft orange glimmend ausgestellt sind – na gut, eine rote LED unterstützt ein bisschen beim Kolorit. Gerade im leicht abgedunkelten Raum sieht das schon echt cool aus.
Mein zufällig anwesender Schwager betrat den Raum, sah den Amp und sagte sogleich „Boah, sieht der geil aus“. Wenn man meckern wollte: Das in der rechten unteren Hälfte platzierte Punktmatrixdisplay aus der „Neuzeit“ konterkariert für meinen Geschmack ein wenig die gelungene Vintage-Atmosphäre, die durch die Pegelanzeigen und Röhren aufgebaut wird. Aber das ist Kleinkrämerei – man könnte genauso gut argumentieren, dass sich hier Tradition und Moderne pragmatisch vereinen. Erlaubt ist eben, was gefällt. Und nun: ab in den Hörraum – der A10 wird zunächst einmal mit meinem C.E.C. CD 5 per XLR sowie meinem HifiAkademie Stream6 mini per Cinch beschickt.
Advance Paris A10 Classic: Klangtest & Vergleiche
Anders als bei einem reinen Transistor- oder Röhrengerät weiß man bei einem Hybrid noch weniger, was einen klanglich erwartet. Jedenfalls musste ich schon nach den ersten Tracks an eine berühmte Streichkäsewerbung denken, denn ich hatte gleich den Satz „Der frische Franzose!“ als geistigen Ohrwurm im Hirn. Und was ist nun so frisch am Advance Paris?
Spritzig
Nun, da fällt zunächst einmal der spritzige, unverhangene, offene und transparente Hochton ins Gewicht – eine Klangeigenschaft, die man nicht unbedingt als allererstes mit einem Konzept assoziieren würde, bei dem Röhren beteiligt sind. Nein, hier wird richtig gut und sauber ausgeteilt. Der famos produzierte Song „You don’t fool me“ aus dem Spät- bzw. Posthumwerk von Queen (Album: Made in Heaven; auf Amazon anhören) beispielsweise fährt in dieser Lage so einiges auf: Sowohl scharf links als auch rechts im Panorama werden fleißig Shaker geschüttelt, ebenso fleißig rührt der Drummer in seinem offenbar reichhaltigen Beckensatz herum – und dann wären da auch noch die obertonreichen, glockigen FM-Piano-Sounds. Der Advance Paris A10 Classic dröselt diese ganzen verschiedenen Instrumente beziehungsweise Klangkörper wunderbar präzise auf und macht deren feinen Unterschiede in den Obertontexturen bestens hörbar.
Das andere Ende
Am anderen Ende der Skala verhält sich der A10 etwas anders: Ziemlich genau bis auf die akustische Bassebene herunter spielt er neutral und durchzugsstark, um sich dann im Tief- uns Subbass einigermaßen zügig zu empfehlen.
Wenn wir einmal bei Queen bleiben: Die massive Bassdrum mit fast polterndem Raumhall (hören Sie mal genau hin!) und die pornös fetten Saiteninstrumente (Bass und Leadgitarre mit ordentlich aufgedrehtem Tiefton-EQ) beim Superhit „Bohemian Rhapsody“ werden vollkommen natürlich, wuchtig, „dick“ dargeboten. Da fehlt nichts! Wenn wir hingegen noch einen Treppenabsatz tiefer hinabsteigen, zum Beispiel mit dem Stück „Schellen“ (Audio 88 & Yassin, Album: Halleluja; auf Amazon anhören), wo spektakuläre Subbässe auf ekstatisch flirrende Trap-Drumprogrammierungen treffen, deutet der Advance Paris A10 Classic zwar an, dass es da noch irgendetwas unterhalb des akustischen Bassbereichs gibt, es wird aber nicht in Form einer Eingeweidemassage spürbar, wie sie mein Hegel H90 oder meine Valvet-Endstufe austeilen können. Das empfinde ich gleichwohl nicht als störend, weil der Advance Paris im Gegenzug ausnehmend flink und drahtig, geradezu sportlich unterwegs ist – und weil sein Bassbereich auch lange Töne sauber und fett durchhält, ohne dass ihm die Puste ausginge. Hier wurde offenbar die Priorität auf „Standfestigkeit“ und nicht auf „maximalen Tiefgang“ gesetzt.
Eigenschaftslos, schönes Los
Im Mittenband wiederum zeigt sich der Advance Paris im besten Sinne „ohne Eigenschaften“. Hier gibt es weder übertrieben gefälligen Röhrenschmelz noch unbotmäßige Härten, sondern eine preisklassenadäquate Auflösung und einen gespürt dellenfreien Frequenzschrieb. Das mag sich jetzt etwas uneuphorisch lesen, ist aber nicht so gemeint. Nehmen wir doch einmal Franz Schuberts „Winterreise“, das neunte Stück „Irrlicht“ (Helmut Deutsch / Klavier und Jonas Kaufmann / Gesang, Sony Classical 2014). Ob Jonas Kaufmann nun leise oder energisch singt, ob Helmut Deutsch sanft die Tasten streichelt oder sich richtig in die Klaviatur krallt: Wir spüren nicht nur reine Lautstärkeunterschiede, sondern werden emotional richtig mitgenommen, denn es verändert sich ja nicht allein die reine Schallenergie, die beim Hörer ankommt, die Klangfarben changieren ebenfalls. Dabei werden feine Details hörbar, zum Beispiel, wenn ganz am Schluss der letzte Ton des Klaviers ausklingt. Der Pianist lässt die Taste zurückschnellen, erst hören wir einen letzten Raumhall des gespielten Tons, dann ein sanftes Tasten „ruckeln“ und Sekundenbruchteile später noch die Raumantwort der zurückschnellenden Taste: Ja, wir sind wirklich dabei!
Mehr geht immer …
Tonal gesehen bietet der Advance Paris A10 Classic damit für meinen Geschmack tatsächlich ein gelungenes Profil: Flinker, standfester, potenter Grundton- und Bassbereich, allerdings mit zurückgenommenem Tief- bzw. Subbass, saubere Mitten und frischen, klaren Hochton mit einem winzigen Tendenzchen ins Glitzern. Ich würde den Verstärker auf jeden Fall mit Lautsprechern paaren, die letzteres nicht noch unterstreichen: Der A10 hat meiner obenrum eher verhalten aufspielenden Harbeth 30.1 eine wohltuende Frischzellenkur verpasst, mit der ProAc Response DT8 harmonierte er auch ausgezeichnet, die hochtonstarke und im Bass eher dezente Bowers & Wilkins 606 S2 war hingegen nicht das perfekte Match.
Und klar, natürlich geht immer noch mehr, wenn man das Portemonnaie weiter öffnet: Ein Bryston 3B³, der als reine Endstufe bereits mehr als das Vierfache kostet, kann noch mehr Details aus einer Aufnahme schälen und dabei gleichzeitig noch eleganter, weniger „in your face“ spielen, ohne dabei zu langweilen. Aber angesichts der Preisklasse macht das hier schon richtig Spaß.
Aufbauarbeit: die Räumlichkeit
Mein eingängliches Vorab-Fazit „Frischer Franzose“ findet seine Entsprechung auch in der Art und Weise, wie der Advance Paris den Hörraum „aufbaut“. Es gibt ja Amps, die eher organisch-euphonisch daherkommen und bei denen das Thema „Raum“ nicht gleich heraussticht – das gilt beispielsweise für den Tsakiridis Aeolos+. Der Advance Paris hingegen geht einen anderen Weg: Er platziert die Schallquellen und Akteure außerordentlich präzise und millimetergenau im Klangbild – wobei millimetergenau vielleicht nicht ganz stimmt, weil die von ihm aufgezogene Bühne für meinen Geschmack einen Tick breiter als die reine Lehre ist; sagen wir also besser: Er versteht sich eher darin, die Schallquellen räumlich deutlich voneinander zu differenzieren und festzunageln, als sie zu integrieren. Das ist kein Werturteil: Ich finde, beides kann Spaß machen, wenn es eben gut gemacht ist.
Hier jedenfalls bereitet mir der Advance Paris vor allem dann großes Vergnügen, wenn ich eine dicht und variantenreich instrumentierte Produktion höre, bei der es diesbezüglich viel zu entdecken gibt. Mit Genuss taucht man beispielsweise in das Album Andromeda Heights von Prefab Sprout (auf Amazon anhören) ab. Die wunderbare Popballade „The Mystery of Love“ hält allerlei bereit: Querflöte, Glockenspiel, Streicher (gestrichen und Pizzicato), irisierende Akustikgitarren, Triangel, Schellentamburin, Hammondorgel, variantenreiches Schlagzeug und und und – Mastermind Paddy McAloon schwenkt verheißungsvoll eine knallbunte musikalische Wundertüte, die noch dazu betörend gut produziert ist. Mit dem Advance Paris A10 Classic entfächert sich und verzaubert dieses Meisterwerk wie ein Kaleidoskop, es gibt so viel zu entdecken. Ein in Sachen Bühnenbild eher integrativ wirkender Amp wird den Fokus eher auf die Melodielinie, den musikalischen Fluss legen (was auch schön ist), mit dem „frischen Franzosen“ hingegen fühlt man sich eher wie Alice im Wunderland, man meint die einzelnen Instrumente fast greifen zu können. Tolle Sache.
Digital & Phono
Das bisher Gesagte gilt übrigens über weite Strecken auch, wenn man den Advance Paris A10 Classic digital bespielt (ich habe koaxial und USB ausprobiert) – mit einer kleinen Ausnahme: Beim Umschalten vom internen Wandler meines C.E.C. CD5 auf den im Advance Paris verbauten AKM-Wandler wird der Klang minimal wärmer, „analoger“ im Mittenbereich und Oberbass.
Und der Phonozweig? Der ist deutlich mehr als eine Alibi-Funktion, damit das Produktmarketing an der Stelle einen Haken setzen kann: Mit einer Pro-Ject Phonobox DS+ (249 Euro) kann der A10 Classic qualitativ auf jeden Fall mithalten, wenn er auch schon ein etwas anderes Klangprofil mitbringt: Hier sind die Höhen deutlich milder unterwegs, sodass die Pro-Ject Phonobox letztlich mehr Details herausschält, dafür hat der Advance Paris definitiv in Sachen Grobdynamik die Nase vor, er spielt angenehm zackig und flink – und macht gerade mit rockigen Sachen oder alten Punk-Scheiben richtig Stimmung.
Test: Advance Paris A10 Classic | Vollverstärker