Wolfgang Muthspiel – Dance of the Elders
Leise schleichen sich die Klänge heran, warm tönt die Gitarre und darüber blinzeln ganz sachte helle Glöckchen. Der österreichische Gitarrist Wolfgang Muthspiel lässt sein neues Album Dance of the Elders mit leisen Tönen beginnen. Er ist ein Meister des Dezenten. Das unterstreicht er hier und knüpft dabei nahtlos an sein letztes Album bei ECM an, das er ebenfalls im Trio mit Scott Colley (Bass) und Brian Blade (Schlagzeug) eingespielt hat.
Ganz behutsam bringen sich Muthspiels Mitspieler auf dem Eingangsstück ein. Aus dem zarten Anfang schält sich ein Gitarrenmotiv hervor, dessen Akkordprogression nobelpreisverdächtig ist: weder melancholisch noch freudig strahlt seine Offenheit ein Gefühl von Weite und behaglicher Leere aus. Wollte man es mit Farben malen, entstünde eine aparte Mischung. Dieses Motiv ist so prägnant, dass seine Wiederkehr das rund zehnminütige „Invocation“ klar strukturiert. Nach den hingetupften lyrischen Fragmenten der ersten Stückhälfte entfaltet sich über einem folkigen Ostinato ein grandioses Gitarrensolo: samtig im Ton, perlend und fließend in der Melodik, überquellend in seinen Dimensionen.
Der Opener ist wie ein Panoramablick auf die ganze Platte. Alles, was in den kommenden 45 Minuten entfaltet wird, ist im Keim schon vorhanden: konzise, folkige Motivik, die eleganten, sensibel gesetzten Farbtupfer von Bass und Drums, das dramaturgische Prinzip, dass sich Elemente allmählich herausschälen. Dieses Verfahren bringt Muthspiel im Folgetitel auf den Punkt: „Prelude to Bach“ beginnt tastend und suchend wie ein Lauten-Ricercar des 17. Jahrhunderts (wenn auch mit Jazzharmonik), um dann auf einmal Bachs Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“ hervortreten zu lassen – ein echte Überraschung.
Wolfgang Muthspiel wechselt mühelos zwischen den Nylonsaiten der Akustikgitarre und der elektrisch verstärkten Schwester. Mit beiden fühlt er sich pudelwohl – so auch auf diesem Album mit fünf Eigenkompositionen und zwei Covern. Kurt Weills „Liebeslied“ gewinnt das Trio überraschende kantige Seiten ab. Die Melodien, Harmonien und rhythmischen Verschiebungen des Titelsongs „Dance of the Elders“ erinnern an die Folklore der Balkanregion oder Komponisten wie Dusan Bogdanovic. „Folksong“ und das folgende „Cantus Bradus“ wirken wie instrumentale Lieder, in denen alle drei Musiker ihre Qualitäten im Lyrischen ausspielen können – auch hier sind die äußerst warmen Klangfarben klanglich vortrefflich eingefangen. Joni Mitchells „Amelia“ ist ein Abschluss, der diese von feinstem Zusammenspiel geprägte Platte stimmungsvoll und leise beschließt. Wolfgang Muthspiel ist ein besonderer Virtuose. Er versteht sich glänzend auf die Kunst, unnötige Noten wegzulassen. Ein Parabeispiel dafür ist seine neue Platte Dance of the Elders.
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Shuteen Erdenebaatar – Rising Sun
Unbändige Spielfreude zeichnet Rising Sun aus. Damit gelingt dem Quartett um die in der Mongolei geborene Pianistin Shuteen Erdenebaatar ein mehr als fulminantes Debüt. Es klingt ein wenig nach einem modernen Märchen: Die seit einigen Jahren in München lebende Pianistin und Komponistin besaß die Chuzpe, ungefragt ein Demoband an das arrivierte Label Motéma Music zu schicken – und nun erscheint in der Tat dort ihr quirliges Debütalbum.
Es ist ein Album, bei dem sprichwörtlich die Sonne aufgeht. Erdenebaatar hat mit dem Saxofonisten Anton Mangold, dem Bassisten Nils Kugelmann und Valentin Renner am Schlagzeug Studienfreunde um sich geschart, die längst als Jazzmusiker selbst von sich reden machen. Die musikalische Interaktion in dem Quartett ist so fein, als spielten da alte Hasen, die sich schon viele Jahre kennen.
Shuteen Erdenebaatar hat eine intensive klassische Klavierausbildung hinter sich. Das ist selbst im Jazzumfeld, das sie sich erst später erschlossen hat, deutlich wahrzunehmen. Ihr Anschlag ist von hoher Delikatesse und manche Verzierungsfiguren fielen niemandem ein, der nicht intensiv mit Chopin und anderen bekannt ist. Auch die melodischen Bögen der zart melancholischen Solonummer „Summer Haze“ wurzeln in romantischen Charakterstücken und poetischen Stimmungsbildern.
Doch das Quartett kann auch ganz anders. Mit ungestümer Energie laden die Musiker „Ups and Downs“ auf, dessen rhythmischen und melodischen Twists nicht weit weg sind von Nils Kugelmanns dem Progressive Rock nahestehender Tonsprache. Dieses spritzige, fast atemlose Stück wirkt wie ein musikalischer Energy-Drink, dessen Dose die Pianistin in ihrem Solo mit kantigen Figuren lustvoll zerbeult. Das hat Witz und Esprit, gleichzeitig zeigt es hohe Virtuosität im Zusammenspiel. Trotzdem ist das Album kein Schaulaufen junger Könner, die ihre Muskeln spielen lassen, sondern die Stücke entwickeln sich stimmig und organisch. Durch Verdichtungen im Zusammenspiel erschafft das Quartett große Spannungsbögen.
Ganz uneigennützig lässt Shuteen Erdenebaatar in ihren Kompositionen auch andere strahlen, vor allem den Saxofonisten Anton Mangold, für den sie sich wunderschöne Melodielinien ausgedacht hat („In a Time Warp“ oder „Olden Days“). Valentin Renner scheint mit fein ziseliertem Beckeneinsatz das Ensemble in den schnellen Nummern vor sich herzutreiben, Nils Kugelmann ist die Schaltstelle zwischen groovender Rhythmussektion und dem improvisierenden Spielwitz von Klavier und Saxofon.
Shuteen Erdenebaatar gelingt gleich bei ihrem Debüt ein Album voller melodischer Schönheit, Griffigkeit und überschwänglicher Energie. Wo kann das noch hinführen, wenn schon der Einstand so donnernd gelingt?
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John Scofield – Uncle John’s Band
In diesem Herbst hat das Programm von ECM ein weiteres Gipfelwerk im Gitarrensegment zu bieten – neben Wolfgang Muthspiel. John Scofield, der nimmermüde Grandseigneur der Jazzgitarre, hat ein Doppelalbum vorgelegt, das in seinen 14 Titeln glatt als künstlerisches Resümee seiner vielbewegten Laufbahn durchgehen kann. Schon seine ebenfalls bei ECM vorgelegte Soloplatte hatte etwas Zusammenfassendes. Doch hoffentlich bleibt der immer neugierige und offene Scofield, ein musikalischer Geschichten-Erzähler par excellence, mit seinem mitunter etwas kratzig-beißenden Sound noch lange erhalten – dem resümierenden Charakter von Uncle John’s Band zum Trotz.
John Scofield hat im Laufe seiner jahrzehntelangen Karriere mit unzähligen Jazz-Größen zusammengespielt. Eigentlich müsste man eher fragen, mit wem er nicht auf der Bühne gestanden hat. Auch außerhalb der Jazzszene ist er für Ausflüge zu haben. Er pflegte Kontakte zu Jam-Bands, teilte sich die Bühne mit The Allman Brothers Band, Gov’t Mule und Musikern von Grateful Dead und tänzelte selbst eine Zeitlang in Richtung Funk. Kein Wunder also, wenn das Doppelalbum ein breites Panorama auffächert, ehe es mit dem titelgebenden Song „Uncle John’s Band“ von Grateful Dead nach anderthalb Stunden spritziger Improvisationen einen Schlusspunkt setzt. Neben Scofields eigenen Stücken finden sich Songs u. a. von Bob Dylan, Neil Young, aus Leonard Bernstein „West Side Story“ und mit „Budo“ ist natürlich auch ein Titel vertreten, der Scofields prägende Zeit mit Miles Davis in Erinnerung ruft.
Mit Vicente Archer am Bass und dem Schlagzeuger Bill Stewart sind Kollegen an Bord, mit denen Scofield im Trioverbund schon oftmals gespielt hat und denen der Gitarrist viel Freiraum lässt. Das Trio könne sich spontan in alle möglichen stilistischen Richtungen bewegen, verrät der Gitarrist. Die vorzüglich transparent aufgenommene Platte, die das Trio in wunderbarer Balance präsentiert, beweist das. Die Songs bilden die Startbahn, von der das Trio zu improvisatorischen Höhenflügen abhebt.
Mitunter suchen die drei Musiker auch lyrische, sehr melodieorientierte Gefilde auf („Somewhere“). Doch meist hat das Ergebnis reizvolle Ecken und Kanten und die Scofield-typischen herben Spitzen und beißenden Akzente, die er im mehrstimmigen Spiel gerne einflicht („Back in Time“, das zunächst wie ein altbekannter Folksong beginnt). Höhepunkte und besonders eindrückliche Momente finden sich in jedem der Stücke, die Scofield in den Liner Notes übrigens einzeln mit persönlichen Bemerkungen versieht.
Mit Uncle John’s Band hat John Scofield ein energiegeladenes Werk vorgelegt, das den Gitarristen auf dem Zenit seiner Kunst präsentiert. Von gediegener Gemütlichkeit, die der Titel „Onkel John“ andeuten könnte, findet sich darin keine Spur.
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