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Walter Trout – Ride

Mit seinen knapp über 70 Lenzen hat der Bluesrock-Haudegen Walter Trout mit Ride ein Album herausgebracht, das sich gewaschen hat. Während der vielgelobte Vorgänger Ordinary Madness ein wenig an Folk und Country schnupperte, kehrt der US-Amerikaner nun wieder die rockige Seite seines Blues hervor, und zwar die der härteren Gangart.

Walter Trout Ride

Dieses Album hat Kraft – in den Texten, in der Bandbreite der musikalischen Stile, in der begeisternden Bandleistung, in den hochgespannten Soli des Altmeisters. Erstaunlich ist das schon. Von seiner Ehefrau und Managerin zum Siebzigsten mit einem neuen Labeldeal beschenkt und nach harten Corona-Jahren ohne Touren und Publikum schaut Trout in den Lyrics auf sein bewegtes Leben zurück, mit all seinen Höhen und Tiefen. Aber das passiert ohne altersweisen Unterton und ohne jeden Anflug von Milde – auch gegenüber sich selbst. Trout trägt sich Herz auf den Lippen und wo die Worte aufhören, übernimmt seine Gitarre und jault und ächzt all den Schmerz oder all die Lebenslust heraus.

Das große Spektrum an Stimmungen, das Ride durchläuft, zeigt sich beispielhaft nach den ersten drei Songs, die einen fulminanten Auftakt bilden. „So Many Sad Goodbyes“ verhandelt die Unmöglichkeit, die Zeit zurückzudrehen in einem Midtempo-Rocker und streut immer wieder warm tönende, analoge Tastenakzente von Teddy Andreadis ein, ehe Trout mit zwei schneidenden Soli die neblige Atmosphäre durchbricht. Im schwer stampfenden Shuffle „High Is Low“ bereitet die krächzende Bluesharp einen Klanggrund, auf dem sich Trout fast schreiend und mit maximal verzerrten Sounds bewegt. Die Umwertung der Werte in unserer Zeit und der Zerfall der Realität in subjektive Anschauungen kleidet er in ein dreckiges, druckvolles Soundgewand. Mit „Waiting For The Dawn“ folgt ein tieftrauriger Slow Blues, der ganz von den melancholischen Melodien und Klangfarben der klanglich sehr subtil abgebildeten Gitarre lebt. Hier braucht es kaum der Worte, um genau zu erfassen, worum es geht.

Nicht alles auf Ride hat diese große Klasse. Der 50er-Rock’n’Roll „Leave It All Behind“ macht Spaß, hinterlässt aber keinen bleibenden Eindruck. Aufs Ganze gesehen gehört das 30. (!) Soloalbum von Walter Trout trotzdem zu den Höhepunkten seiner Karriere, nicht zuletzt, weil neben dem Boss die Band als starke Einheit auftritt. Auch der Gastbassist Jamie Hunting setzt einfallsreiche Akzente, wenn sich offene Räume bieten, um ein schönes Lick einzuflechten. Und mit Einstiegssongs wie „Ghosts“ oder „Ride“ stellt Walter Trout Songs an den Anfang, die von vornherein klarmachen: Dieses Album hat es in sich. Jede Note und jede Zeile hat ihre Beglaubigung in Trouts Lebensgeschichte.

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Jennifer Hartswick – Something in the Water

Jennifer Hartswick ist ein musikalisches Chamäleon. Als Trompeterin und Sängerin mischt sie daheim in den USA in verschiedensten Kontexten mit, ist Gründungsmitglied der Trey Anastasio Band um den Phish-Kopf, ist mit Umphrey’s McGee aufgetreten und bringt den Jazz-Kontrabassisten Christian McBride ins Schwärmen. Kein Wunder, dass er sie unter seine Fittiche genommen hat und Jennifer Hartswicks neues Album Something in the Water auf seinem Sublabel von Mack Avenue Records erscheint.

Jennifer Hartswick Something in the Water

Der lässige Bassist ist selbstverständlich auch musikalisch mit von der Partie. Hartswicks viertes Album ist ein Amalgam aus verschiedenen Stilelementen. Da gibt es fein hingetupfte Jazzharmonien, wie im Auftaktsong „Only Time Will Tell“, catchy Pop-Hooklines im souligen, sachte von der Hi-Hat vorangetriebenen „Fairytale“, trockenen Funk („Two May Mirror“), einen spröden, nur vom Bass begleiteten Blues („Guilty“), Brass-Band-Fun mit New-Orleans-Flair in „By the River“ oder träumerische Singer-Songwriter-Intimität, die vor allem in der zweiten Hälfte des überschaubaren, gerade einmal 36 Minuten langen Albums vorherrscht.

Jennifer Hartswick nimmt hier in allen Belangen für sich ein – als Trompeterin mit spielerischen Einlagen, als Sängerin mit viel Herz, Intensität und feinem Gespür für Färbungen, als Komponistin, die mit ihrem Gitarristen Nicholas Cassarino kleine musikalische Geschichten entwirft, und als effektsichere Arrangeurin, die an passenden Stellen nicht darum verlegen ist, lieber noch eine zusätzliche Vokalspur drüberzulegen.

Jetzt kommt aber ein mittelgroßes Aber: Insgesamt kommt das doch etwas zu perfekt, glatt, balanciert und ohne Widerhaken aus den Lautsprechern, zumal es der Produktion klanglich an Wärme (etwa bei der akustischen Gitarre) fehlt. Ein wenig mehr Mut zu manchen Experimenten oder Extremen hätte Something in the Water gutgetan. Denn dass Jennifer Hartswick das eigentlich draufhat, zeigen ihre Liveauftritte mit Künstlern ganz unterschiedlicher Genres.

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Marialy Pacheco – Reload

Wer nach einem aktuellen Paradebeispiel sucht, wie sich hochkomplex verschachtelte Metren so gekonnt und lässig miteinander verschrauben lassen, dass sich daraus ein belebender, in die Beine gehender Groove ergibt, wird in Marialy Pachecos neuem Album Reload fündig. Die mittlerweile in Deutschland lebende Musikerin unterstreicht mit ihrer zwölften Platte den glänzenden Ruf, den sie sich über Jahre als einzige kubanische Jazzpianistin von Weltrang erarbeitet hat. In sieben eigenen Kompositionen und zwei traditionellen Weisen verbindet sie lateinamerikanische Tonsprache und jazzige Fantasie. Das Ergebnis ist ein Feuerwerk an rhythmisch funkelndem Latino-Jazz – wärmender Balsam an kühlen Herbsttagen.

Marialy Pacheco Reload

Marialy Pachecos Musik lebt zum größten Teil von kurzen, rhythmisch zündenden Motiven, die sie neugierig von allen Seiten beäugt. Größere Entwicklungsstrecken tun sich erst in ihren dramaturgisch klug angelegten Soli auf. Begleitet wird die Pianistin von den beiden kolumbianischen Mitstreitern ihres Trios an Bass und Schlagzeug. Aber damit nicht genug. Damit es in der Rhythmusgruppe richtig rappelt und zappelt, zirpt und groovt, kommen bei einigen Nummern gleich noch zwei Percussionisten dazu, etwa im titelgebenden Einstiegsstück „Reload“. Mit Timbales, Congas und Batas sorgen die Schlagwerker für einen quirligen Untergrund hölzerner und metallischer Klänge, über dem Marily Pachecos metrisch prägnante, lateinamerikanisch duftende Wendungen ihre volle Wirkung entfalten.

Mit dabei sind auch einige weitere Bekannte der Jazzszene. Der Trompeter Nils Wülker veredelt mit lebhafter Leichtigkeit „Cartagena Bliss“, das sich um einen geschmeidigen E-Bass legt. Der aus der Band von Sting bekannte Percussionist Rhani Krija unterstützt unter anderem in der Ballade „Flores de Inverno“, die in dem rhythmisch straffen Umfeld umso stärkere Wirkung entfaltet. Zusammen mit dem israelischen Bassisten Avishai Cohen verleiht Marialy Pacheco der Volksweise „Oye El Carbonero“ einen feinfühligen, zwischendurch anrührend sanften Anstrich.

Die Solistin hat zwischen virtuos-gelenkigen Figuren, mitreißendem Drive und hingetupften Akkorden alles drauf, was Klavierjazz mit kubanischem und lateinamerikanischem Flair ausmacht. Allerdings bleibt ihr Anteil im Klangbild auch dort sehr schlank und klar definiert, wo flächige Klavierakkorde die Musik für Momente im luftleeren Raum schweben lassen. Gerade an solchen Stellen hätte das Klavier etwas mehr Volumen im Trioverbund verdient. Allerdings: Man darf es der Solistin hoch anrechnen, dass sie sich nicht in den Vordergrund rückt oder rücken lässt, sondern Reload zu einem Ensemblealbum macht, einem, das durchweg mit der Leichtigkeit des Latino-Jazz große Freude macht – der Musikerin selbst offensichtlich auch, wie man ihrem mitunter vergnüglich hineingesummten „Uuu“ (fehlt nur noch: „Yeah!“) entnehmen darf.

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