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Es gibt gute Musiker, es gibt sehr gute – und dann noch solche, die als „musicianʼs musicians“ Legendenstatus unter Kennern und Könnern genießen. Solche Szenegrößen sind selbst unter den begnadeten Göttern ihres Metiers hochgeachtet, ganz zu schweigen vom kundigen Publikum, das ihnen zu Füßen liegt. Das gilt sowohl für Tommy Emmanuel, unangefochtene Nummer Eins unter den Akustikgitarristen, der sich auf seinem neuen Album mit wechselnden Duettpartnern in unbändiger Spiellaune zeigt, wie für den Bluesrock-Gitarristen und versierten Songwriter Tinsley Ellis. Wesentlich jünger, aber ebenso begnadet, ist der russische Pianist Gleb Kolyadin, dessen Gästeliste seines ersten Soloalbums Bände spricht. Da geben sich die Matadore des Progrock die Klinke in die Hand.

Tommy Emmanuel – Accomplice One

Tommy Emmanuel Accomplice One

Foto: Flournoy Holmes

Unter den Gitarrenkoryphäen dieser Welt herrscht weitgehend Konsens, wer der Beste unter ihnen ist: der in Nashville lebende Australier Tommy Emmanuel. Seine Kunst des Fingerpickings ist atemberaubend, allerdings hat er nicht nur eine ausgezeichnete Technik, sondern besticht durch hohe Musikalität, rhythmischen Drive und eine unbändige Energie und Musizierlust – was seine in unzähligen Konzerten sichtbar geschundenen Instrumente wohl bezeugen können. Doch der bescheidene Saitenhexer schert sich nicht um Ruhm, sondern stellt allein die Musik in den Vordergrund. Allein? Nein, sondern gerne in guter Gesellschaft von Gleichgesinnten.

So hat er für sein jüngst bei dem neuen Gitarrero-Label The Players Club veröffentlichtes Accomplice One eine ganze Reihe musikalischer Kompliz(inn)en um sich geschart und über zwei Jahre in mehreren Studios die musikalischen Begegnungen live aufgenommen. Das Ergebnis ist an knisternder Laune und schier unermesslicher Lust, sich gemeinsam musikalisch auszutoben, nicht zu überbieten. Emmanuel ist ohnehin ein Anhänger live mitgeschnittener Studioplatten, diese Aufnahme aber bebt vor der sprühenden Energie des Moments: Da hört man Stühle knarzen, jemand tappt mit dem Fuß im Takt, da wird gelacht und sich gegenseitig zum nächsten Solo angestachelt, gehänselt oder anerkennend mit der Zunge geschnalzt – das Ganze wirkt wie ein Schnappschuss, allerdings von höchster Güte; auch klangtechnisch ist das von Emmanuel selbst produzierte Album piekfein und höchst detailtreu in Dynamik und Räumlichkeit.

Tommy Emmanuel – Accomplice One

Foto: Simone Cecchet

Die Schar an Musikern, die zusammen mit Tommy Emmanuel ohne Klickmetrum ganz frei musizieren, und die ausgewählten Titel decken ein riesiges Spektrum an Stilarten und Ausdrucksbereichen ab. Herausgekommen ist ein Kaleidoskop an Schattierungen dessen, was das akustische Segment in Country, Folk, Roots und Jazz hergibt. Vor allem aber bekommen bekannte Songs ein ganz neues Gesicht, etwa Madonnas „Borderline“, das mit Violine und der flackernden, hellen Stimme von Amanda Shires eine countrynahe Folknote gewinnt – ganz großes Ohrenkino! Oder „Purple Haze“ mit Jerry Douglas, das geradezu irre groovt und selbst im Akustikgewand einige psychedelische Seiten entfaltet. Herrlich entspannt groovt der Otis-Redding-Klassiker „(Sittin‘ On) The Dock of the Bay“ mit J. D. Simo, während in „Saturday Night Shuffle“ mit Jorma Kaukonen und Pet Bergeson, „Wheelin & Dealin“ mit J. D. Simo und Charlie Cushman sowie vor allem in „Keepin‘ It Reel“ mit Clive Carroll musikalisch hochvirtuos die Fetzen fliegen, bis die Saiten zu glühen.

Dass es auch ruhigere Momente gibt – in dem Beatles-nahen Wiegenlied „Rachel’s Lullabay“, von Emmanuel selbst geschrieben, der Duettnummer mit Mark Knopfler oder dem abschließenden „The Duke’s Message“ mit Suzy Bogguss – macht diese herzerwärmende Aufnahme abwechslungsreich, ausgeglichen – und unwiderstehlich. Emmanuells unbändige Freude am Musizieren mit seinen Partner(inne)n ist in jeder Sekunde spürbar. Bleibt nur zu hoffen, dass Accomplice One bald ein zweiter Teil folgt.

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Tinsley Ellis – Winning Hand

Tinsley Ellis Winning Hand

Ähnlich lange wie Emmanuel beackert auch der in Atlanta geborene und in Südflorida aufgewachsene Bluesgitarrist und Songwriter Tinsley Ellis mittlerweile die Bühnen dieser Welt. Nun hat er 30 Jahre nach seinem Debüt bei Alligator Records dort mit Winning Hand eine Platte herausgebracht, die schon fast altersweise daherkommt. Ellis braucht niemandem mehr etwas zu beweisen; dass er ein Großer seines Fachs ist, steht außer Zweifel. Jetzt kann er sich – mehr noch als zuvor schon – auf die Substanz konzentrieren. Das Ergebnis geht tief unter die Haut. Produziert von ihm selbst und Keyboarder Kevin McKendree dreht sich das 19. Album in seiner Karriere ganz um das Instrument in seiner Hand, besser gesagt: die Instrumente. Das Booklet rückt die hier verwendeten Gitarren ins Zentrum, vier Gibson-Modelle und zwei Fender-Stratocaster, fast alle sind mittlerweile historisch zu nennen und mussten augenscheinlich Federn lassen. Ellis nutzt die Gitarre jedoch nicht zu prätentiösem Schaulaufen, sondern verwendet sie gewissermaßen als Verlängerung seiner Stimme. Soli fangen da an, wo der Gesang (und das mit Worten Sagbare) aufhört, seine Soli dienen nicht der Demonstration seines immensen technischen Könnens, sondern sind integraler Teil der Songs.

Tinsley Ellis – Winning Hand

Foto: Flournoy Holmes

Insgesamt hat Winning Hand einen angenehmen Old-School-Touch: Die verwendeten Gitarren haben einen dünnen, silbrigen, manchmal richtiggehend schneidenden Klang, nicht so voluminös und mit breiter Brust wie heutige Vertreter. Das passt ganz wunderbar zu der zurückgenommenen, authentischen und gefühlvollen Haltung von Tinsley Ellis. Er spielt keinen Ton zu viel und überzeugt mit bluesigem Schmelz, vor allem in den langsamen Nummern liegt der ganze Zauber seines musikalischen Könnens. Nach dem druckvollen Wah-Wah-Energiebündel „Sound of a Broken Man“ macht Ellis‘ tiefe Empfindung vor allem in „Gamblin‘ Man“, „Autumn Rain“ und dann in der grandiosen Schlussnummer „Saving Grace“ sprachlos. Wie er im Schlusstrack am Ende des Refrains das entscheidende Wort „grace“ dem Rhythmus des Sprechens annähert, ganz unabhängig vom Groove der Band, ist ganz große Klasse – ein ungemein intensiver Moment. Freiräume nutzt der Bass (Steve Mackey) mit feiner Dosierung, die Spannung nimmt über neun Minuten stetig zu, das Schlagzeug (Lynn Williams) meldet sich mit rhythmischen Kontrapunkten zu Wort und Ellis‘ Gibson ächzt, stöhnt und jault wie ein verletztes Tier.

Das feine Rubato, mit dem der Gitarrist seine Linien den groovenden Taktschlag umschlingen und umschmeicheln lässt, verleiht manchen Gitarrensoli große poetische Anmut – das ist ehrlicher Blues vom Feinsten. Ein Gegengewicht schaffen Nummern wie „Kiss This World“, das gleich mit einem Lick voller wilder Trauer in der Art Walter Trouts startet und dann Texas-Blues-Flair in der Folge von Jimmy Ray Vaughan entfaltet oder der raue und deftige Oldschool-Boogie „Satisfied“ mit einem eher reibenden statt punktgenau gesetztem Schlagzeug. Gefühl und Ausdruck – darum geht es Tinsley Ellis und so füllt er jede Sekunde dieser knapp 50-minütigen Platte.

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Gleb Kolyadin – Gleb Kolyadin

Gleb Kolyadin Gley Kolyadin

Die erste Soloplatte des russischen Pianisten Gleb Kolyadin könnte im Hinblick auf das Zustandekommen der Aufnahme kaum weiter von Tommy Emmanuel entfernt sein. Während Kolydin seinen Part in Russland aufgenommen hat, zeichneten die anderen Beteiligten ihre Soundspuren unabhängig in anderen Studios auf. Im Gegensatz zu Emmanuel erscheint dies ungeheuer artifiziell, doch passt das durchaus zu dem kunstvollen Ineinanderfügen der Details, die das britische Label kscope wiederum zu einem klangtechnisch bezaubernden Ganzen gefügt hat. Kolyadin, Duopartner der Sängerin Marjana Semkina in der mehrfach ausgezeichneten Formation iamthemorning, hat für sein erstes Soloalbum eine ganze Schar versierter Vertreter der Prog-Gemeinde um sich versammelt: Da ist neben dem fulminanten Gavin Harrison am Schlagzeug unter anderen Theo Travis (Flöte, Saxofon), Nick Beggs (Bass) und mit einem Gastauftritt der Dream-Theater-Tastenharlekin Jordan Rudess. Was unter der Regie Gleb Kolydins hier entstand, ist allerdings größer und bedeutender als die Summe seiner Teile (bzw. Beiträger). Es ist schlichtweg eine ungeheuer betörende und insgesamt schlüssige, runde Aufnahme, die keine Wünsche offen lässt.

Gleb Kolyadin – Gleb Kolyadin

Foto: Alexander Kuznetcov

Gleb Kolyadin hat eine klassische Pianistenausbildung in Russland genossen. Die Einflüsse zeigen sich nicht nur technisch in ebenmäßigen Trillern („Eidolon“), sondern auch in manch idiomatischen Ähnlichkeiten zu großen Vorbildern: Da blitzt immer mal wieder die kühle Brillanz von Prokofjew („Into the Void“, „The Room“) hervor oder das dichte, vollgriffe Volumen Rachmaninoffs („Constellation/The Bell“). Auch barocke Fugentechnik („White Dawn“ und „Echo/Sigh/Strand“) findet Eingang in den vielschichtigen Klangkosmos. Die große Klasse dieser Platte zeigt sich darin, dass Kolydin diese vielfältigen Einflüsse zu einem in sich schlüssigen Ganzen zu verbinden weiß. Da lugt in jazziger Quirligkeit schon mal Jacques Loussier hervor, in der melodischen Erfindung Egberto Gismonti oder Esbjörn Svensson, in mancher Harmonie sogar Ludovico Einaudi, aber Gleb Kolyadin macht vor allem durch die stete Variierung weniger Grundmotive und enge Anschlüsse – die Tracks 3 bis 7 sind quasi zusammengebunden – die gesamte Platte zu einem Ganzen, in dem sich typische Prog-Elemente wie unregelmäßige Taktarten und stete Rhythmuswechsel mit melodischer Grazie, Virtuosität und dramaturgisch geschickt gesetzten Bögen zu einem Ganzen runden.

Gleg Kolydin steht hier durchweg im Mittelpunkt – und das ganz zu recht –, aber insgesamt lebt die vielschichtige Klangwelt dieser Platte auch von Vlad Avys fein dosierten Gitarren-Farben, fulminanten Soli von Theo Travis sowie dem rhythmischen Einfallsreichtum von Gavin Harrison, die dem Ganzen ihren ebenfalls prägenden Stempel aufdrücken. Nicht zu vergessen die Vokalbeiträge von Nick Moss (Antimatter) und Steve Hogarth (Marillion), die das instrumental ausgerichtete Album um wesentliche Nuancen bereichern.

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