The Pineapple Thief – It Leads To This
Egal, was da noch kommen mag: It Leads To This von The Pineapple Thief wird zu den Top Ten des Jahres gehören. Wahrscheinlich wird sich das Album sogar unter die ersten fünf Plätze einreihen können. Mit der neuen Platte gelingt es der britischen Band, sich vom Etikett als Progressive Rock Band zu lösen und die Arme Richtung melancholischem Indie und Alternative Rock weit zu öffnen. Der Vierer um Mastermind Bruce Soord bleibt sich treu, klingt altvertraut, entwickelt sich in seiner angestammten Fahrrinne aber stetig weiter, ja erfindet sich ganz neu. Wie machen die das?
Die Gitarren sind im Klangbild deutlich zurückgefahren, Keyboarder Steve Kitch bekommt deutlich mehr Raum, um mit volltönendem Flügel und elektronischen Klängen äußerst dichte und intensive Stimmungsbilder zu malen. Und trotzdem wirkt das wunderbar transparente, balancierte Klangbild der druckvoll aufgenommenen Band (der Rezension liegt die Blu-ray-Version des Albums vor) im Gegensatz zu den Vorgängeralben wie entlüftet. Mit It Leads To This haben sich The Pineapple Thief nun endgültig von dem übergroßen Vorbild Porcupine Tree, das mit Gavin Harrison auf dem Schlagzeugstuhl stets präsent ist, freigeschwommen und jedes Detail ganz in den Dienst von Melodie und Atmosphäre gestellt. Das Ergebnis ist schauerlich schön – ein echtes Meisterwerk dezenter Melancholie.
Natürlich gibt es sie auch hier noch, die sägend-beißenden Soli („All That’s Left“), schreddernden Gitarren („The Frost“) und Headbanger kommender Konzerte (Refrain von „Rubicon“). Aber das sind sparsam und damit umso effektvoller eingesetzte Momente in einem Gesamtbild, das ganz auf melodische Schönheit und ausdrucksvolle, elegische Stimmung ausgerichtet ist. Auch Drummer Gavin Harrison, Meister rhythmischer Abwege, agiert melodisch, erzeugt durch den Wechsel zwischen verspieltem Prog und straightem Rock Spannung und untermalt feinfühlig den Text (eine Marschtrommel legt sich für Momente unter die Textzeile „… marches on …“ in „Rubicon“).
Das instrumentale Gefüge verzahnt sich auf It Leads To This noch enger als früher. Bassist Jon Sykes rollt elegante Basslinien aus und Bruce Soord nimmt mit wehmütigen, aber nicht wehleidig vorgetragenen Melodien für sich ein. Was dabei herauskommt, ist Kammermusik im Gewand atmosphärischer Rockmusik. Langsam bauen sich Spannungsbögen in den Songs auf und The Pineapple Thief haben den Mut, immer wieder den Drive rauszunehmen und mit flächigen Klängen Stimmungen ruhig auszumalen. Das funktioniert bestens, weil jedes winzige Detail in diesem filigranen Klanggebilde am richtigen Platz sitzt. Mit diesem Meisterwerk hat The Pineapple Thief eine neue Stufe erklommen und wirklich Großes, Bleibendes erschaffen.
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Hans Anselm Quintett – A Permanent Place in Between Poles of Existence
Setz man die Hörtour ohne Pause mit A Permanent Place in Between Poles of Existence fort, fällt zunächst kaum ins Gewicht, dass sich das Hans Anselm Quintett offiziell in einem ganz anderen Genre bewegt. Die Jazztruppe um das namensgebende Phantom Hans Anselm (keines der Bandmitglieder trägt diesen Namen) dreht mit elektronisch verhallten Klängen und ostinaten Figuren von Gitarrist Benedikt Schnitzler seine Kreise ebenfalls eher im Indierock stimmungsmäßig melancholischer Prägung. Doch Gabriel Rosenbach an Trompete und Flügelhorn macht mit seinen improvisatorischen Ausflügen klar, wie das Ensemble (das es auch in erweiterter Besetzung als Big Band gibt) zu seiner Schublade als Jazzcombo kommt. Auch Leon Grieses Drums im Opener „Room“, mit denen er Gegenakzente und Widerhaken zum fließenden Rhythmus des Ostinatos setzt, würde man im Indierock vergeblich suchen. Schon das Eingangsstück öffnet weite Räume – auch klanglich: Neben dem etwas verhallten Bläsersolo erobern elektronische Einsprengsel einen weitgespannten Klangraum.
Von Schubladendenken und Genreverortung hält das Hans Anselm Quintett allerdings herzlich wenig. „Spine“ hüpft, ausgehend von einer geschmeidigen Gitarrenmelodie, mit trippigem Schlagzeug durch die Gegend, während Bassist Arne Imig das Klanggeschehen mit warmen Tönen grundiert und Anna Wohlfarth an den Tasten die Verbindung zwischen allen Beteiligten herstellt und die Grundlage für eine große Steigerungswelle in der zweiten Songhälfte legt.
Es geht beim Hans Anselm Quintett aber auch ganz anders. „Shadows“ und „Immanence“ sind Klangstudien, die sich vom rhythmischen Drive der Umgebung lösen und „Sculptures“ bringt mit der Stimme von Max Grüner eine ganz eigene, psychedelische Note in den Klangkosmos des Quintetts ein. Ganz zu sich findet das Album mit „Endless“. Es vereint melodische Schönheit, vorwärtstreibenden Groove, ostinate Bewegungen und fügt das pointillistische Mosaikspiel nach Art der Minimal Music schichtend zu einem faszinierenden Ganzen. Das hat Liebreiz und verortet das Quintett ganz in der Klanglandschaft, die es momentan am liebsten entfaltet. Mal sehen, wohin uns die Musiker um die imaginäre Figur Hans Anselm als nächstes hinführen.
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Quadro Nuevo – HAPPY Deluxe
Gute Laune und wärmende Sonnenstrahlen haben einen Klang: HAPPY Deluxe. So heißt das neue Album von Quadro Nuevo, das nach diversen musikalischen Ausflügen der Erfolgsformation in die Küstenregionen des Mittelmeerraums diesmal über den großen Teich zum Tanz in Brasilien einlädt. HAPPY Deluxe versprüht Lebensfreude pur. Das hat vor dem Hintergrund unserer Zeit durchaus etwas von Eskapismus. Gleichzeitig ist es ein berechtigtes Statement, das Grau der Gegenwart mit den fröhlichen Pastelltönen aufzuhellen, die auch das Cover der neuen Platte zieren.
Musikalisch knüpft die Stammbesetzung von Quadro Nuevo mit Mulo Francel (Saxofon, Klarinette, Mandoline), Andreas Hinterseher (Akkordeon) und D.D. Lowka (Bass) mit Verstärkung einiger Gäste, die zum Tanz am Zuckerhut in Rio de Janeiro eingeladen wurden, frisch und munter an die hohe Qualität der bisherigen Alben an. Die auch klanglich sehr gut balancierten Arrangements sind gewohnt fein, farbenreich und variabel gearbeitet. Sie bringen die Stärken der Musiker und des Ensembles mit lockerer Hand zum Funkeln. Andreas Hinterseher lässt mühelos die Töne aus dem Akkordeon purzeln, Mulo Francel sorgt, zwischen Saxofon und Klarinette wechselnd, für samtweiche Melodien, in die man sich wohlig kuscheln könnte, verströmte die Musik nicht so eine tropische Hitze und würde derart in die Beine gehen.
Dass jeder der 16 musikalischen Freudemacher so farbenfroh aus den Lautsprechern strömt, ist auch der Gästeschar zu verdanken: Chris Gall (Klavier), dem Vibrafonisten Tim Collins, den Gitarristen Paulo Morello und Philipp Schiepek und nicht zuletzt Marco Lobo, der an den Percussions dafür sorgt, dass der Bossa Nova vorwärts drängt, die Samba voller Energie vibriert und der Chorinho pulsiert. Und natürlich kommt bei dem vielfach preisgekrönten Tango-Ensemble auch die musikalische Leibspeise nicht zu kurz – all die überschäumend gute Laune braucht ja auch ein Gegengewicht in edlen Sehnsuchtsklängen, für die Quadro Nuevo bekannt und berühmt geworden ist.
Trotzdem sind es hier die munter nach vorn drängenden und heiter relaxten Nummern wie „Caipirinha“ mit seinen verspielten Gitarrenranken, die den größten Eindruck hinterlassen. Entstanden ist dieses Album unter der Sonne Brasiliens. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, die Wärme leuchte aus jeder einzelnen Note von HAPPY Deluxe.
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