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The Necks – Travel

The Necks aus Sydney, Australien, pflegen das Ritual, ihre täglichen Treffen im Proberaum mit einer 20-minütigen Improvisation zu starten. Die Gruppe mit Chris Abrahams am Klavier, Lloyd Swanton am Kontrabass und Tony Buck an den Drums nahm diese Improvisationen als Ausgangspunkte für das neue Album Travel: Vier Stücke, die nicht zuletzt durch Overdubs natürlich mehr als eine tägliche Aufwärmrunde bieten, und zu meditativen Hörerlebnisse geraten, die sich über minimal gehaltene musikalische Motive aufbauen. So kreieren The Necks ihren eigenen Genre-Mix aus Jazz, Klassik, Kraut, Experimental und Rock.

The Necks Travel

Der erste Song „Signals“ lässt trotzdem eine Verwandtschaft zu der Musik von Philip Glass oder Gruppen wie Can erahnen. Den Herzschlag des Songs bildet nämlich ein fortlaufend wiederholtes rhythmisches Bass-Motiv, das „Signals“ einleitet und starken Kraut-Charakter verströmt. Weil das Klavier und Schlagzeug sich dem Motiv mit einer ganz eigenen Stimme annähern, gewinnt das Stück an Dynamik und Tempo. Das Piano spielt in den ersten Minuten melodiös und langgezogen und baut so einen Gegensatz zum rumpelnden und tänzelnden Bassmotiv auf. Angesicht der Dominanz überproduzierter Mainstreammusik am Markt ist es besonders schön, dass auf dieser Aufnahme nichts geschönt wird – um Minute sechs zum Beispiel schwanken die Töne des Basses, was zu einer ganz besonderen Stimmung beiträgt. Hier kommen Anspannung, Rastlosigkeit und Menschlichkeit zusammen.

Ab der Hälfte des Songs ist das Bassmotiv weniger repetitiv und strikt – es folgen Variationen in Tönen oder Rhythmen. Mal vereinfacht Swanton das Motiv, mal schiebt er einen Ton mehr ein. Auch neue Instrumente wie eine Orgel gesellen sich in den Jam aus Klavier, Drums und Bass hinzu. Damit baut sich eine Gemengelage auf, die das Bassmotiv in den Hintergrund führt. Gen Ende verschwimmt das Blech des Schlagzeugs zunehmend mit der Klangwolke, die immer größer wird, bis der letzte Beckenschlag das Ende des Songs einleitet.

Auch auf den drei weiteren Songs des Albums werden Motive klug kombiniert und zu einen involvierenden musikalischen Fluss vereint. Auf „Imprinting“ stehen Geräusche sowie ein Trommel- und Rhythmus-Motiv im Vordergrund, das an indigene Klänge erinnert. „Bloodstream“ überzeugt mit einer Instrumentierung aus Orgel, Klavier, einem langgezogenen Basston und wirbelndem Schlagzeug, das später einsetzt und exemplarisch für die Experimentierfreudigkeit des Trios steht. Unbedingt reinhören!

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Feist – Multitudes

Feist Multitudes

Leslie Feist, bekannt als Feist, hat mit Multitudes ihr sechstes Studioalbum veröffentlicht. Wie von der kanadischen Musikerin zu erwarten, hat sie für die meisten Songs zur Gitarre gegriffen und mit ihren simplen, aber poetischen Texten wieder etwas Besonderes kreiert. Seit ihrem letzten Album Pleasure, das 2017 herauskam, ist viel in dem Leben der Musikerin passiert. Der plötzliche Tod ihres Vaters überschattete lange ihr Songwriting und die Geburt ihrer Tochter war ein ebenso einschneidendes Erlebnis, das sie im Song „Forever Before“ reflektiert.

Während hier ihr zarter Gesang und das Akustikgitarrenspiel akustisch im Vordergrund stehen, sinniert Feist auf dem Song über ihr Leben. Mit wenigen atmosphärischen Effekten im Hintergrund und den Worten „You can’t begin to prepare / For forever before / She’s sleeping right over there“ bezieht sich die Musikerin am Schluss auf ihre Tochter, lässt das Stück langsamer werden und schließlich ausklingen. Wie so oft schafft es Feist mit ihrer Musik eine berührende Fragilität zu schaffen, an die man sich noch lange erinnert.

Auch „Hiding Out In The Open“ ist ein Gitarrensong, der jedoch durch das mehrstimmige Gesangsarrangement musikalisch komplexer gestaltet ist. Zwar verzichtet Feist auch hier auf Bandbesetzung und lässt neben ihrer Gitarre allenfalls noch Synthie-Sounds erklingen. Doch die Mehrstimmigkeit, die von harmonischem Gesang zu sich wiederholenden und überschneidenden Gesangsparts reicht, lässt den Song gehaltvoller und kommerzieller klingen.

Radiotauglich, schlichtweg wegen der Besetzung mit Schlagwerk, Bass, Streichern, E-Gitarre und Effekten, ist hingegen die Single „In Lightning“. Der fulminante Albumstart mit dem Song überzeugt durch den ungewöhnlichen Hook, in dem Feist mehrstimmig und mit Trommel-Untermalung wiederholt singt. Hier kann man den Blitz geradezu musikalisch spüren – super!

Bruiser and Bicycle – Holy Red Wagon

Bruiser and Bicycle Holy Red Wagon

Das kreative Team rund um Nick Whittemore, weiteren FreundInnen und Keegan Graziane namens Bruiser and Bicycle aus Albany, New York, hat mit Holy Red Wagon ein zweites Album herausgebracht. Hier geht es proggy, rockig und freak-folkig zu. Die detailverliebten Songs sind durchschnittlich sieben Minuten lang und sind mehr als Reisen zu verstehen denn als konventionelle Lieder. Oft schleichen sich in eine scheinbar stabile Songstruktur neue Parts ein, die die Stücke unvorhersehbar machen. Dabei verändern sich Stimmungen, Rhythmen und die Band macht immer wieder neue musikalische Welten auf.

So auch auf „Unknown Orchard“, dem zweiten Song des Albums. Hier dominiert anfangs ein funky und Snare-lastiger Beat im Fünfer-Takt, der zwischen Strophe und so etwas wie einem Chorus wechselt. Die Stimmung ist locker leicht und kleine Gitarrenverzierungen oder ein Piano reichern die Strophen auf charmante Art und Weise an. Doch um die vierte Minute endet der Part mit einem langgezogenem Delay – ein gänzlich neues Gitarrenriff wird eingeführt, das nichts mit der vorherigen Komposition gemein hat. Der Fünfer-Takt wird gegen einen Sechser-Takt getauscht, was sich ein bisschen wie ein Energiedämpfer anfühlt. Auch, wenn der neue Abschnitt sodann an Tempo gewinnt und Drummer Joe Taurone genauso wie zuvor auf Touren kommt, ist der Kontrast so groß, dass man meinen könnte, es hätte ein neuer Song angefangen. Die Stimmung ist düsterer und wird erst gegen Ende mit einem Fade-Out und chaotischem Drum-Solo aufgelöst.

In „Lunette Fields Speak“ ist der Wechsel vom rockigen und treibenden Instrumentalpart hin zum um Minute fünf beginnenden Akustik-Gitarren- und Gesangspart besonders schön. Ohne Schlagzeug demonstriert die Band mit nunmehr verträumter Atmosphäre, wie gut sie mit Dynamik umgehen kann. Hier und beim Wechsel in einen sich anschließenden energetischen, donnernden Part wird man an den Progressive Rock der 70er Jahre erinnert. Bei solch vielen Stimmungen und Einflüssen ist Holy Red Wagon definitiv eine Wundertüte voller musikalischer Details – deshalb: etwas Zeit einplanen und den Trip genießen!

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