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Der vierte Streich Sonder von TesseracT stürmt an die Poleposition dieser Ausnahme-Metalband, Soyuz von Gazpacho spürt melancholischen Momenten nach und Marcus Miller unterstreicht mit Laid Black seine Stellung als einzigartiger Funkjazzer – gleichzeitig zeigt er sich offen für Gegenwärtiges. In jedem der drei Alben nimmt der Bass eine ganz besondere Rolle ein und füllt sie höchst unterschiedlich aus:

TesseracT – Sonder

TesseracT – Sonder

Das britische Quintett TesseracT ist dabei, sich ein ganz eigenes Genre zu schaffen. Oft im Bereich Djent-Metal verortet, spielen rhythmisch komplexe Elemente von Math und sonstigen eher verschwurbelten Metalarten eine ebenso große Rolle wie sphärische Elemente, Soundscapes, fein ausgehörte, eigenwillige Klangbilder, heftiges Downtuning-Geriffe sowie druckvolle Hooklines und schwerelose Melodien von einprägsamer Schönheit. Kein Wunder, dass man diese einzigartige Kombination nur schwer einsortieren kann. Mit ihrem neuen Album Sonder führt TesseracT das von der Band quasi erfundene Genre zu einem (vorläufigen) Höhepunkt. Waren auf dem allseits umjubelten Vorgänger Polaris ambient-luftige Parts, wilde Riffs und rhythmisch diskontinuierliche Verrücktheiten noch stärker für sich gruppiert, so fügt sich nun all das auf den ersten Blick Disparate zu einer Einheit zusammen, die süchtig machen kann. TesseracT gelingt damit die Quadratur des Kreises oder – auf die geometrische Figur des namensgebenden vierdimensionalen Hyperkubus anspielend – der Würfel im Würfel.

TesseracT

Der Vorwurf, Daniel Tompkins‘ federleichte Melodieströme seien geradezu poppig, muss ins Leere laufen, denn TesseracT funktioniert nur im Gesamtverbund. Die mitunter in silbrige Höhen des Falsetts geführten Melodien des wandlungsreichen Daniel Tompkins breiten sich langsam aus und setzen sich im Gehörgang fest, während der tonnenschwere Bass zusammen mit den tiefer gestimmten Gitarren und der wuchtigen, lastenden Bassdrum für eine Ramme von solcher Vehemenz sorgt, dass man sich ihr nicht entziehen kann. Genau diese eigentümliche Verbindung der Stilelemente ist es, was TesseracT so faszinierend macht.

Der Fünfer aus Milton Keynes, England bietet keine der Metal-typischen Gitarrensoli, bei denen der Leadgitarrist, das Bein thronend auf den Monitorboxen abgestützt, seine sechssaitige Streitaxt als Schnellfeuerwaffe aufs Publikum richtet. Acle Kahney, der Soundtüftler und führende Kopf, schafft zusammen mit dem zweiten Gitarristen James Monteith Riffmonster und fein ziselierte Klangblitze. Jay Postones an den Drums ist ebenso weit entfernt von einfältigen Prügelknaben-Attacken einschlägiger Genrekollegen. Für den Gesamtsound von TesseracT entscheidend ist allerdings Amos Williams (Bass), der zugleich fürs Artwork des Albums verantwortlich zeichnet. Seine Basslinien sind kein Dauerfeuer repetierter Noten, sondern perkussiv groovende Akzente und zementierende, lang ausgehaltene Noten von grundstürzender Urgewalt. Williams‘ Basslinien haben die Power einer sich langsam nach vorne bewegenden Walze; die ratternde Geschäftigkeit der brachialen Gitarrenriffs ist von einem ruhigem, aber eigenständig-unregelmäßigen Strom getragen: Amos Williams wechselt die Noten völlig unabhängig von den Taktschwerpunkten, das zwingt zum Hinhören und schafft planvoll Verunsicherung.

TesseracT

Die gerade mal 36 Minuten von Sonder sind so verdichtet an Stimmungen, Spannung und Atmosphäre, dass man danach erst mal nichts mehr braucht – außer die Repeat-Taste. Thematisch umkreist Daniel Tompkins auf Sonder (einer Wortschöpfung von John Koenig) die Vereinzelung des Menschen, verbunden mit einem Appell zum Blick auf seine Nächsten. Verpackt ist dies in ungewöhnlich kompakte Songs mit sich langsam entwickelnden Spannungsbögen; dramaturgisch ist das alles absolut zwingend. Starke dynamische Wechsel, das Spiel von Vorder- und Hintergrund sowie die Vielschichtigkeit der fein gestaffelten Klangelemente (beispielhaft im Abschlusstrack „The Arrow“) machen diese Aufnahme auch zu einer Kopfhörerplatte par excellence.

Höhepunkte herauszugreifen, ist einem qualitativ so hochwertigen Umfeld nur schwer möglich. Die Heftigkeit der Hammerriffs auf dem tiefer gestimmten Siebensaiter, gepaart mit den catchy Gesangslinien kommt schon im einleitenden „Luminary“ paradigmatisch zur Geltung, im folgenden „King“ packt Tompkins auch seine Shouting-Qualitäten aus. Die Vorab-Single ist in Bezug auf den Songaufbau ungeheuer abwechslungsreich, völlig frei, ohne Schema und kommt dabei trotz der disparaten Elemente auf den Punkt – das macht den Song zu einem der Höhepunkte. Noch ein Stück griffiger ist „Beneath My Skin“, für mich der Gipfelpunkt der Platte, in dem die leidend-bittende Atmosphäre von einem völlig abgedrehten Gitarrenriff konterkariert wird, ehe das allmählich unwiderstehlich anwachsende Klanggemälde von einem rhythmisch komplexen Riff in den Orkus gezogen wird.

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Gazpacho – Soyuz

Gazpacho – Soyuz

Ihre künstlerische Heimat hat die norwegische Band Gazpacho – ebenso wie TesseracT – beim britischen Label Kscope. Dort sind sie gut aufgehoben, denn dessen Aufnahmen begeistern durchweg durch einen Reichtum an Details, der sich oft erst durch wiederholtes (und hingebungsvoll konzentriertes) Hören erschließt. Gazpacho, die Meister düster-melancholischer Stimmungsbilder und vorwiegend leiser Töne, bieten mit Soyuz eine Platte, die deutlich kompakter und songorientierter daherkommt als die melancholischen Klangerkundungen früherer Alben; damit beschreitet Gazpacho ganz ähnliche Wege wie derzeit zum Beispiel Spock’s Beard oder Subsignal. Im Mittelpunkt der acht Songs steht Sojus-1, die Raumkapsel des russischen Astronauten Wladimir Michailowitsch Komarow, die aufgrund technischer Probleme bei der Landung zerschellte. Diesem tragischen Moment in der Geschichte stehen andere unwiederbringliche Momente im Erlebnishorizont eines Menschen zur Seite; insgesamt dreht sich alles um solch Unwiederholbares im Zeitkontinuum.

Auch wenn die Songs bei Gazpacho hier knapper gehalten sind – die Grundelemente zeigen ihre Wirkung in bekannter Form: Jan Henrik Ohmes klagender Gesang, der momentweise etwas nölend in die Umlaufbahn von Thom Yorke gerät („Exit Suite“), entfaltet mit Ruhe Melodien mit Ohrwurmqualitäten. Die hymnischen Melodien (geradezu episch in „Fleeting Things“) tragen weit, gestützt auf filigrane Gitarrenarbeit, Synthieflimmern, Violine sowie einen ruhig gespielten, aber tragenden Bass (Kristian Torp), der sich zuweilen gestaltend ins Melodiespiel einschaltet („Sky Burial“).

Gazpacho

Die Musiker sind keine Virtuosen-Progger mit effektvoll inszenierten Soli, sondern es zählt das Gesamtbild. Und das ist auch in diesem Fall wieder vielfarbig, wobei sich mitunter elektronische Percussion und akustische Instrumente zu Kammerprog-nahen, sphärisch schwebenden, luftigen Klangbildern verdichten. „Soyuz One“, der erste Track, bietet mit dem ungleich komplexeren „Soyuz Out“ die Klammer der gesamten Aufnahme. Seine ganze Klasse breitet Gazpacho indes in „Emperor Bespoke“ und „Fleeting Things“ aus. Hier ziehen einen die konzentrischen Kreise, in denen sich die Songs bewegen, in ihren dunklen Strudel der Melancholie, gelockt von dem tonlosen, spielzeugartigen Klavier Thomas Andersens und den wunderschönen, ausladenden Melodien von Jan Henrik Ohme.

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Marcus Miller – Laid Black

Marcus Miller – Laid Black

Amos Williams fasziniert bei TesseracT mit bleiernen Basssounds, das genaue Gegenteil bietet der Jazzbassist Marcus Miller auf seiner neuen Platte Laid Black. Der Multiinstrumentalist, erfahrene Produzent (u. a. Miles Davis) und musikalische Tausendsassa, der unzählige Alben mit seinem Bassspiel veredelte, serviert eine weitere Kostprobe seines umfassenden Könnens. Es gibt eine reichliche Portion seiner Leibspeise, und die funky Grooves des Tieftonzauberers kommen dabei ordentlich heiß an den Tisch. Während Miller auf dem gefeierten letzten Album eine Reise zu den Wurzeln seiner musikalischen und persönlichen Vergangenheit unternahm und zugleich mit der Weltmusik geflirtet hat, zeigt sich der stets offene Musiker nun ganz der Gegenwart verpflichtet. Als pfeffrige Note integriert er nun neben Jazz, Funk, Soul und R’n’B vor allem die rhythmisch agilen Beats des Hip-Hop, genauer: Trap.

Eigener Aussage nach wollte Marcus Miller auf dem von Ehefrau Brenda Miller produzierten Album die ganze Bandbreite „schwarzer Musik“ ausloten. Das ist ihm – zusammen mit illustren Gästen – vollauf gelungen. Das Spektrum reicht von der vollen Groove-Packung „7-T’s“ mit Trombone Shorty über das gospelhafte „Preacher’s Kid“ zu einer ganz experimentellen Version von „Que Sera Sera“ mit der belgischen Soul-Sängerin Selah Sue, Gospel-Chor und einer später hinzutretenden E-Gitarre, die dem Song ein unerwartet rockiges Ende beschert.

Marcus Miller

Marcus Miller spielt sich nie in den Mittelpunkt, doch besteht kein Zweifel daran, dass sich das gesamte Album um seine genialen Fähigkeiten am Bass dreht. Er kann blitzschnell vom knackigen Punch des Slapping Bass oder rasend schnellen Läufen auf ein sahniges Legato mit Doppelrahmstufe umschalten, dass es eine wahre Freude ist. Das macht vor allem die Balladen geradezu butterweich und zart, gefühlvoll und innig, etwa „Someone To Love“ oder „Sublimity (Bunny’s Dream)“. Der Akzent liegt allerdings auf den groovigen, funkigen Stücken, die Laid Black zu einem idealen, partytauglichen („No Limit“) Sommeralbum machen.

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