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Soul Glo – Diaspora Problems

Mit Diaspora Problems veröffentlichen die US-amerikanischen Hardcore-Punks Soul Glo ihr erstes Label-Album. Die Band aus Philadelphia bringt hier harte Riffs, Screamo-Momente und politisch-philosophisch Lyrics zusammen.

Schon der erste Song „Gold Chain Punk (whogonbeatmyass?)“ wirkt wie ein Paradox. In knapp vier Minuten wechseln sich melodische Passagen, wirbelnde Drum-Gitarren-Momente und pulsierende Strophen ab. Die einleitenden Gitarrenakkorde werden schnell von der Band unterstützt – Sänger Pierce Jordan schreit wiederholt: „Can I live?“ Er rappt, schreit, krächzt und kommt dabei kaum zum Luftholen. In der von verzerrten Gitarren und einem Half-Time-Drum-Beat dominierten Strophe geht er weiter darauf ein: „Half the time I see my best self as a nigga who knows what he deserves. Then I wake up on the next day unable to relate to the meaning of the word.”

Soul Glo Diaspora Problems

Aus Interviews lässt sich erfahren, wie sehr ihn seine Schulzeit geprägt hat, in der seine Identität als Schwarzer und Rocker dauernd in Frage gestellt wurde. Das merkt man den Lyrics an. Nach einem großen Break-Down, in dem das Schlagzeug tobt und einem die Gitarrenakkorde regelrecht um die Ohren fliegen, kommt es zum großen Finale.

Der nächste Song „Coming Correct Is Cheaper” beginnt mit Jordan, der knapp zehn Sekunden ins Leere schreit. Dazu kommt ein holpriger Drumbeat, der mit slidenden Gitarren unterlegt wird. Erst nach knapp einer Minute spielt die Band dann zusammen. Die Gitarren röhren, der Bass dröhnt und die Drums peitschen durch die Boxen. Bei Hardcore-Bands muss man die Musik ja meist live erleben, doch Diaspora Problems ist eine ganz eigene Erfahrung – auch ohne Konzert.

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Kae Tempest – The Line Is A Curve

Anfang April brachte Kae Tempest das neues Album The Line Is A Curve heraus. Die Karriere von Tempest, seit August 2020 mit einem offiziellen Namenswechsel genderneutral, begann im Alter von 16 Jahren auf Spoken-Word-Bühnen. Das gesprochene Wort spielt in Tempests Songs immer die Hauptrolle, so auch auf dem neuen Album. Doch anders als beim letzten, das von Rick Rubin produziert wurde und ausschließlich klassische Instrumente wie Klavier und Streicher als musikalischen Unterbau nutzte, geht es 2022 wieder in die Beat-Richtung.

Die erste Single-Auskopplung „More Pressure“ beginnt mit einem Beckenschlag und geht gleich über in einen fließenden Drumbeat. Dazu gesellen sich Synthie-Sounds, die zwischen wabernd und akzentuiert variieren. Im Vordergrund stehen wieder Tempests Worte, die poetisch mit dem Beat interagieren, sich mal schneller aneinanderreihen und mal Pausen kreieren. „Less push, more flow please“, hört man Tempest sagen, und der Beat geht weiter. Der Song entstand in Zusammenarbeit mit dem US-Rapper Kevin Abstract, der auch einen Part in der Strophe übernimmt und teilweise unisono mit Tempest spricht.

Kae Tempest The Line Is A Curve

Im Song „No Prizes“ arbeitete Tempest mit Lianne La Havas zusammen, die den melancholisch-schönen Chorus des Songs singt. Der ruhige Beat, hauptsächlich aus einem simplen Klavierspiel mit Bassdrum-Akzentuierungen bestehend, ist so zurückgenommen wie Tempests Vortrag der Lyrics.

Auch „Salt Coast“ beginnt eher ruhig, aber doch bedrückender als der vorherige Song. Im Chorus braucht es nur einige Stichwörter, um die Atmosphäre zu erzeugen. Tempest wiederholt „Salt Coast, Foul Wind, Old Ghosts, Scrap Tin“ und lässt die Worte im wippenden Beat stehen. Es ist, als würden Mantras beschworen, die einen so schnell nicht verlassen werden. Seien es Vergleiche, Aufzählungen, Erinnerungen oder Beschreibungen von Personen – bei Tempest funktioniert das sowohl mit klassischer musikalischer Begleitung als auch mit Synthie-Beats.

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Yeule – Glitch Princess

Im Februar erschien das zweite Album der singapurischen Musikerin und Produzentin Yeule. Nat Ćmiel, die hinter dem Projekt steht, bringt auf Glitch Princess Avant-Pop, Glitch und Ambient zusammen und kreiert ein musikalisches Universum zwischen Artificial Intelligence, dem Metaverse und Identitäten im digitalen Zeitalter.

Im ersten Song „My name is Nat Cmiel“ hört man eine verfremdete Stimme, die stockend, wie programmiert, von sich selbst spricht. Hier bekennt sich die Kunstfigur Yeule zu ihrer Erschafferin Nat Ćmiel. Der Text wird über Sounds gesprochen, die im Hintergrund bleiben und eine offene Atmosphäre kreieren. Eine musikalische Entwicklung findet nicht statt und in Verbindung mit Yeules monotoner Stimme wird das Intro nach den ersten zwei Minuten zu einer echten Herausforderung. Doch hat man die gemeistert, kommen echte Songperlen.

Yeule Glitch Princess

Der nächste Song „Electric“ ist ruhig und überzeugt mit einem catchy Chorus. Die Strophe ist von Synthie-Arpeggien geprägt, die ohne Beat in große Soundwolken übergehen. Der Refrain kommt dann mit vielen langgezogenen, gepitchten „Oohs“ daher, die so melodisch sind, dass sie im Ohr bleiben.

Es ist die technische Note dieser Avant-Pop-Produktion, die das Album zu etwas Besonderem macht. Dass Yeule immer wieder von Gefühlen spricht, dabei aber wie ein Roboter klingt, dessen Batterien ausgehen, baut eine ungewöhnliche Spannung auf. Dieser Gegensatz wird besonders in „Bites On My Neck“ deutlich. Hier klingen die Liebesbekundungen nach der nüchtern und wie betäubt vorgetragenen Strophe wie Gefühlsausbrüche. Großartig.

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