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Sigur Rós – Route One

Sigur Rós atmosphärische Musik bildet auch auf dem neusten Album der isländischen Band ganze Landschaften aus Tönen. Der Titel Route One kommt von der isländischen Hauptverkehrsstraße, mit der man in einem ovalen Kreis die meisten Teile von dem Inselstaat anfahren kann. In einem 24-Stunden-Projekt filmte die Band eine Tour über die bekannte Strecke. Alle Titel des Albums sind Auszüge des 24-Stunden-Youtube-Videos, das man noch immer online finden kann (zwei Teile: 1 | 2. Die Songs gehen ineinander über und fügen sich so zu einem einzigen Werk. Sie sind nach dem jeweiligen Längen- und Breitengrad der Erdkoordinaten betitelt, in denen die Musik des Videos beim Abfahren der Route One gerade entstand.

Sigur Ros Route One

Die Stücke sind, wie von Sigur Rós als Ambient- und instrumentaler Band zu erwarten, reich an außergewöhnlichen Klängen, deren Ursprünge aus Loops und wiederholten Sound-Motiven entstehen. Die Sounds der ersten beiden Stücke bauen eine bedrohliche Welt aus Brummen und Geräuschen auf, die man vielleicht im Weltall erwarten würde. Erst im dritten Song „64º02’44.1’’N 16º10’48.5’’W“ erzeugt ein Synthesizer erstmals eine aufsteigende Tonabfolge. Immer wieder erkennt man ab dann einzelne Instrumente und identifizierbare Töne von Flöten oder Feedbacks. Doch insgesamt bleibt die Band musikalisch im abstrakten Ambient-Bereich, in dem man höchstens Tendenzen erkennen und hören kann. Wie der gefühlte Durchbruch einer klanglichen Entwicklung im drittletzten Song: Hier harmonieren die Sounds erstmals in Dur und vermitteln einen positiven Aufstieg, der im anschließenden Song plötzlich abbricht und mit fiependen Tönen im Hintergrund zurücktritt. Überraschend sind im letzten Stück die mehrstimmigen vokalen Einschübe, die laut in den Vordergrund der reibenden Klänge treten. Ist man selbst schon einmal durch Island gefahren, kann man die schnellen Wechsel verstehen. Die einzigartigen Landschaften auf der Insel sind so vielfältig, dass binnen Minuten die Erscheinung wechseln kann – ganz so, wie Sigur Rós es in ihren Soundscapes auf „Route One“ darstellen.

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Giraffes? Giraffes! – Memory Lame

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Immer wieder hört man einen einzigen Gitarren-Akkord. Giraffes? Giraffes! beginnen ihr neues Album mit konstanten, insistierenden Tönen auf der Gitarre, die fortlaufend im Stakkato angeschlagen werden. Das wirbelnde Schlagzeug dazu baut gewaltig Spannung auf. Diese löst sich dann im ersten Chorus, als Joseph Andreoli am Gitarrenhals rutschend auch andere Harmonien anschlägt. Durch die neuen Harmonien bekommt der Song eine gänzlich neue Färbung, er wirkt nicht mehr so starr wie zu Anfang. „Heretical Doses“ heißt der turbulente Eröffnungssong des inzwischen vierten Albums der zwei Math-Rocker von Giraffes? Giraffes! aus Massachusetts.

Mit Songstrukturen wie Strophe und Chorus kommt man bei dem Duo nicht weit. Alleine im ersten Song wechseln Gitarre und Drums zwischen abrupten Passagen, werden plötzlich mit Gitarrenarpeggios weicher im Sound und erzeugen durch Loops und Verzerrung eine imposantes Gesamtkomposition, die sich über fast neun Minuten entwickelt und Motive selten wiederholt aufgreift. Passend dazu heißt das neue Album Memory Lame – Kenneth Topham am Schlagzeug und Andreoli an der Gitarre sind bei dem Titel, wenn man ihn wörtlich versteht, einfach zu faul, um sich vorherige Motive in den Songs zu merken. So entwickeln sich ihre Songs in ungeahnte Richtungen, wechseln die Stimmung und sind so herrlich willkürlich, wie das Leben selbst.

Mit 4:34 Minuten ist „At the Turf Field Behind My Parents’ House“ der kürzeste Track. Er ist in vielerlei Hinsicht eine Art Ausreißer auf dem Album. Denn er klingt anders als die trocken produzierten Songs und man bekommt durch den Hall unmittelbar den Eindruck, inmitten einer Kirche zu stehen. Auch hört man hier neben der Gitarre und dem zurückgenommenen Schlagzeug und Klatschen die Stimmen der Mitglieder. Obwohl die Stücke bei Giraffes? Giraffes! meist ohne vokale Beiträge auskommen, bereichern die gesanglichen Passagen das Lied. Weil der Gesang aber im Hintergrund bleibt und man auch die Worte gar nicht so richtig versteht, lenkt nichts vom Instrumentalen ab. Der Song ist deshalb ein schöner Abschluss eines Albums, das durch das Ende eine ganz überraschende Wendung nimmt.

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Kate Nash – Yesterday was Forever

Kate Nash Yesterday was Forever

Kate Nash – die damals 22-jährige Londonerin hatte die Popwelt 2007 mit ihrem Album Made of Bricks ordentlich aufgewirbelt. Die Singer-Songwriterin überzeugte mit ihrer charmanten und nahbaren Art und konnte schnelle Charterfolge feiern. Auf ihrem inzwischen vierten Album Yesterday Was Forever hat Nash das Singen über humorvolle Anekdoten, Herzschmerz und den Alltag beibehalten. Doch musikalisch ist einiges passiert. Schon auf dem ersten Song „Life in Pink“ wurde das sonst für Nash markante Klavier gegen grungeartige Gitarrenklänge ausgetauscht – im Chorus wird es auch richtig laut. Im Text geht es gar nicht so girly-pink-mäßig um die mentale Gesundheit der Erzählerin, die alles andere als stabil wirkt. Doch trotz des ernsten Themas lockert Nash mit Versen wie „I keep heart-shaped glasses close to me for when it rains (life in pink)“ auf und suggeriert Mut machend, dass der Blick durch die rosarote Brille das Wohlbefinden in harten Zeiten verbessern wird.

In den weiteren Songs erkennt man, dass Nash nicht nur mehr mit Gitarren und Verzerrer-Pedalen experimentiert, sondern auch alle möglichen Genres in dem Album unterbringt. In „Call Me“ bekommt man anfangs einen R’n’B Vibe, bis im Refrain des poppigen Songs wieder Akustikgitarren auftauchen. Dass Nash in jeder Hinsicht Freiheiten für ihr neues Album hatte, rührt auch von ihrem Status als unabhängige Musikerin ohne Plattenfirma. Sie veröffentlichte die Musik über ihr eigenes Label Girl Gang Records und finanzierte die Platte über eine Crowdfunding-Kampagne. Die war mit über 150.000$ in Spenden weit über dem Mindestziel von 70.000$ erfolgreich. So wurden neben dem Album auch aufwendig produzierte Musikvideos und eine gerade beendete US-Tour möglich. Auch wenn Nashs letzter großer Erfolg schon über zehn Jahre her ist, sie hat immer noch Superfans, die sie unterstützen: Die von ihr für 4000$ in der Kampagne angebotene „House Show“ wurde gleich fünf Mal gebucht. Mit der neuen gitarrenlastigen Musik in petto kann man sich vorstellen, dass das von ihr als „punk as fuck“ beschriebene Wohnzimmerkonzert bestimmt eine einzigartige Erfahrung für die Käufer war.

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