Saul Williams – Encrypted & Vulnerable
Saul Williams hat wieder ein neues Album veröffentlicht. Der Poet, der durch seine Musik und die von MTV herausgebrachten Gedichtbücher bekannt wurde, bleibt sich auf Encrypted & Vulnerable treu. Wer sich schon einmal mit Williams beschäftigt hat, hat auch nichts anderes erwartet. Seine Mission ist seit jeher, die Doppelmoral in der Gesellschaft offen zu legen und dagegen anzusprechen.
Das macht er in seiner Musik mit einem Mix aus Hip-Hop und atmosphärischen Hintergründen. Diesmal benutzte Williams jedoch keine Drums in seinen Beats. Dadurch wird die Musik gleitend – und manchmal durch rhythmische Instrumente definiert. Doch sie bleibt dabei frei, sodass man sich selbst die Drums dazu denkt beziehungsweise dazu denken kann. Außergewöhnlich wirkt seine Musik auch deshalb, weil sie das Wort Encrypted im Albumtitel wörtlich zu nehmen scheint: Bei einigen Songs wie Experiment oder Underground hört es sich so an, als wäre man im Inneren eines Computers, der gerade die Sounds verschlüsselt.
Für den Rhythmus sorgt oft Williams Stimme, die er vielseitig einsetzt – manchmal rappend oder, weniger rhythmisch, als Vortragender seiner Texte. Und auf die zu achten, lohnt sich. Sie sind gestochen scharf formuliert und werden mit tiefer, eindringlicher Stimme vorgetragen. Die Nachrichten darin können einen nur mitnehmen. In Experiment geht Williams vor einem apokalyptisch wirkenden musikalischen Hintergrund in mehrdeutigen Sätzen auf die Markt- und Machtverhältnisse und deren Auswirkungen auf uns ein. Dabei spricht er die gentechnische Manipulation („they took my cells without my knowing“), die verrissene Seite des Kunstmarktes („Spray paint on the walls for the moment, sell the wall in the gallery to hold it“) oder die Abhängigkeit der Gesellschaft von Medikamenten und Pornografie („the pharmaceul-pornographic era“) an. Die Liste könnte noch weiter geführt werden – aber bedrückend ist vor allem Williams Fazit in Experiment: Wir alle werden benutzt und für dieses Phänomen gibt es noch keine Worte. Es bleibt nur das Gefühl, dass das nicht richtig sein kann.
Es ist aber nicht alles dunkel und düster auf diesem Album. Der Song Before the War erinnert im gezupften Beat an Hip-Hop aus den 2000er Jahren, Williams rappt darüber melodisch und erinnert sich an Vergangenes. Auch der letzte Song Thought About It beschwingt mit Bläsern und lässt einen nach all den Songs davor doch nachdenklich zurück – im besten Sinne.
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KOKOKO! – Fongola
Wer oder was sind KOKOKO!? Diese Fragen wollte das kongolesische Künstlerkollektiv 2017 sofort klären, denn auf ihrem Youtube-Channel gibt es ein Video mit dem selbsterklärenden Titel we are KOKOKO! Darin zu sehen sind die vielen Protagonisten von KOKOKO!, die tanzen und auf den Straßen Kinshasas musizieren. In knappen Sätzen bekommt man Hintergrundinformationen zum Kollektiv, das 2017 mit seinen ersten musikalischen Veröffentlichungen globale Aufmerksamkeit bekam. Dass KOKOKO! inzwischen weltweit auf Tour sind und im Sommer auf Festivals in Europa spielen, liegt an der Originalität ihrer Musik. Sie ist geheimnisvoll, dunkel und tanzbar. Ihren absolut neuartigen Mix aus Techno und kongolesischer Folklore auf dem neuen Album Fongola nennen die Mitglieder selbst „tekno kintueni“.
Die Songs darauf sind elektronisch, hypnotisierend und strotzen voller kreativer Energie. Die einzigartigen Instrumente kann man nur zum Teil an ihrem Sound erkennen. Glocken, Klack-Geräusche einer Schreibmaschine oder Töne aus weggeworfenen Rohren sind in dieser Musik prominent vertreten. Alles an der bisher veröffentlichten Musik ist handgemacht, sogar die Instrumente werden eigenhändig gebaut. Das kam aus der Not heraus – für teure Synthesizer gab es einfach kein Budget. Deshalb bauten sich die Mitglieder ihre Instrumente aus herumliegenden Utensilien einfach selbst.
Die Mystik in der Musik kommt durch das leicht Verstimmte, wie in dem ersten Song Likolo. Dort leiern die Töne eines Zupfinstruments herrlich schief und kontrastieren die zahlreichen klirrenden Rhythmuselemente. In Azo Toke, das schon vor acht Monaten ein Musikvideo bekam und auf dem Album erneut veröffentlicht wurde, bildet ein elektronisches Kontaktsignal den Hauptrhythmus. Der schreiende Gesang und die bassigen Beats tragen zu einer Atmosphäre bei, die einer Trance gleicht. Bei solcher Andersartigkeit und kraftvollen Energie ist ganz offensichtlich: Bald müssen KOKOKO! nicht mehr erklären, wer sie eigentlich sind.
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Jesca Hoop – Stonechild
Die Musik auf Jesca Hoops neuem Album Stonechild ist geprägt vom Blues, der sich durch die Singer-Songwriter-Lieder schlängelt wie bei Free of the Feeling. Der erste Song des Albums beginnt ruhig mit einer gezupften Gitarre. Doch schon im Hintergrund kündigt sich mit Feedbacks die bevorstehende wuchtige Entwicklung des Tracks an. Hoops Gesang wird peu à peu von weiteren Stimmen unterstützt, die Spannung aufbauen. Hier sind die beiden Frontfrauen und Sängerinnen der Band Lucius am Werk. Die drei weiblichen Stimmen ergänzen sich wunderbar und tragen zu einer interessanten Stimmung bei.
Nicht nur die Stimmgewalt auf dem Song hat einen individuellen Charakter, auch der Song-Aufbau ist experimentell. Zwar singt Hoop immer mal wieder Free of the Feeling, doch lässt sich nie genau sagen, was Chorus, Strophe oder Bridge ist. Das Ende ist gänzlich anders und geprägt von einer kurzen Acapella-Einlage, in der Hoop im Sopran säuselt. Der Aufbau und die Instrumentierung mit der simplen Gitarre, Drums und dem Synthesizer, der sich nach einiger Zeit einmischt, erzeugen eine mystische Stimmung. Diesen Reiz kann Hoop auch in den nächsten Liedern aufrechterhalten. Es kommt immer wieder eine bluesige Atmosphäre auf, aber auch Folk und jazzige Passagen kann man in Hoops Musik finden.
Die amerikanische Sängerin wuchs in einer mormonischen Familie in Kalifornien auf, in der Folklieder zum Zeitvertreib gesungen wurden. Auch wenn sich Hoop längst von der Religion befreit hat – der musikalische Einfluss blieb. Und auch weil sie ihre musikalische Karriere nach einem kurzen Kontakt mit der Plattenindustrie selbst aufgebaut hat, sollte man sich ihre neue Veröffentlichung anhören.
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