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Sade | Max Raabe

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  1. 1 Sade | Max Raabe

März 2010 / Victoriah Szirmai

Sade – Soldier of Love

Hach, was war das schön damals in den 80ern! Die gerade erst erfundenen Yuppie-Pärchen mit um die Schulter gelegtem Kaschmirpullover schlürften nach der Arbeit noch schnell irgendwo einen Kir Royal, ach, was heißt hier irgendwo, im angesagten Chrom-Glas-Palast, und im Hintergrund lief die dazu passende Musik: elegant, zurückhaltend, kühl, irgendwo zwischen Bar-Jazz und Easy Listening. Wer hat sie nicht noch im Ohr, die ganzen Hits, Your Love Is King, Smooth Operator, No Ordinary Love, Cherish The Day …? Eine ganze Dekade hindurch, Mitte der 1980er bis 1990er Jahre, umschmeichelte Helen Folasade Adu „mit der Stimme eines handgewaschenen Kaschmirpullis“ (kulturnews.de) die Bargänger. Und hat nicht wirklich fast jeder von uns noch eines der Alben Diamond Life (1984), Promise (1985), Stronger Than Pride (1988) oder Love Deluxe (1992) im Regal stehen? Ich zumindest habe.

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Seitdem allerdings ist es ruhiger um die nigerianisch-britische Sängerin, die sich ohnehin immer bestens aus den Schlagzeilen herauszuhalten verstand, geworden. Im Jahr 2000 meldete sie sich noch einmal mit Lovers Rock zurück, seitdem aber war von ihr so gut wie nichts mehr zu hören. Was aber hat die mittlerweile 51-jährige, die wie keine andere zum Inbegriff von 80er-Jahre-Coolness wurde, die ganze Zeit über getrieben? Die Antwort ist einfach: Ein ganz normales Familienleben geführt. Mit ihrer 13-jährigen Tochter Ila, Lebenspartner Ian und dessen Sohn lebt die begeisterte Hobby-Gärtnerin zufrieden im englischen Gloucestershire: „Ich liebe es zu graben. Das ist einfach so greifbar und real. Das fasziniert mich immer wieder, du kannst einen kleinen Samen einpflanzen, und daraus wächst etwas Unglaubliches. In meinem Herzen bin ich einfach ein Mädchen vom Land.“ Die Musik musste aufgrund von Kindererziehung und Gartenarbeit erst einmal hinten anstehen.

Doch selbst für solche, die einst Popgeschichte schrieben, birgt eine veröffentlichungsfreie Dekade leicht die Gefahr des Vergessenswerdens. Verunsichern ließen sich die Sängerin und ihre Bandkollegen Stuart Matthewman (Gitarre, Saxophon), Paul Spencer Denman (Bass) und Andrew Hale (Keyboards) davon jedoch keinesfalls, hatten sie doch schon sade soldier of love cdeinmal erfolgreich bewiesen, dass sich das Denken in langen musikalischen Zeiträumen für sie auszahlt. So hatte man sich mit der Veröffentlichung des Vorgängers von Soldier of Love acht Jahre Zeit gelassen – nichtsdestotrotz gewann das Album einen Grammy in der Rubrik Best Pop Vocal Album. Vermutlich muss, wer weltweit mehr als 50 Millionen Alben verkauft und neben dem erwähnten noch zwei weitere Grammys im Regal stehen hat (als Best New Artist 1986, in der Rubrik Best R & B Performance by a Duo or Group für No Ordinary Love 1994) sich und der Welt nichts mehr beweisen.

So hatte man beim letzten Album dann auch überhaupt kein Problem, exakt an jenem Punkt wieder anzuknüpfen, wo man mit dem vorletzten aufgehört hatte. Im Gegensatz dazu jedoch macht Soldier of Love hier und da behutsame Konzessionen an den Zeitgeist. Da gibt es, ja wirklich!, dezente HipHop-Beats. Der mit atmosphärischem Meeresrauschen unterlegte Opener Moon and the Sky, meiner Meinung nach ein Stück mit absolutem Hitpotenzial, klingt wie ein aus den frühen 90er-Jahren in unsere Zeit importiertes R’n’B Stück à la Babyface, Destiny’s Child, Toni Braxton oder Vanessa Williams, direkt aus der New Jack/New Jill Swing Ära und doch absolut zeitgemäß.

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Titeltrack und gleichzeitig erste Singleauskopplung Soldier of Love hingegen wartet mit modernem Marschrhythmus auf und kommt mit seiner „Wild Wild West“-Attitüde wie eine Art verspätete Antwort auf Marley’s Buffalo Soldier daher. Morning Bird, der vielleicht schönste Song des Albums, wiederum erinnert an Bugge Wesseltofts You Might Say oder Etro Animes Purest One – ein eleganter Torch Song, wie er auf jedem modernen Easy Listening-Sampler à la Hotel Costes zu finden sein könnte, und gleichzeitig jenes Stück, das, abgesehen von Long Hard Road, am Sade-artigsten ist, nimmt man die Sade der Achtzigerjahre als Referenzpunkt.

Ansonsten nämlich klingt das Album wenig nach dem, was man im Allgemeinen von Sade in akustischer Erinnerung hat. Es ist ein fast akustisches Album, mehr Great American Songbook als erotisch-kühle Bar-Berieselung. Und vielleicht ist das genau das, was wir jetzt gebraucht haben, in einer Zeit, wo unsere Bar-Hintergrundmusik bei Compilation XYZ Volume 22 angekommen ist. Vielleicht ist nach all dem ach so zurückhaltend-eleganten Elektrogeschnassel tatsächlich mal wieder klassisches Songwriting angesagt, die Zeit gekommen für die pure Eleganz von Stimme und Instrument statt technischen Schnickschnacks. Lustig eigentlich, dass gerade Sade als „Ritterin des soften Barjazz“ diese Entwicklung ging, und doch so logisch! Zurück zu Wärme und Authentizität scheint das Motto, unter dem dieses schöne Album steht. Wenn da mal nicht die erdende Gartenarbeit dran Schuld war …

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Kritiker bemängeln, dass der große Hit allerdings nicht dabei ist. Zum einen möchte ich da widersprechen, die Single Soldier of Love selbst hat ungeheure Ohrwurm- und somit Hitqualitäten. Zum anderen braucht ein Album wie dies den Hit nicht, da es mit seinem majestätisch dahinfließenden, gänzlich unaufgeregten Liedstrom im Ganzen wirkt. Von einem Alterswerk zu reden, wäre eine Unverschämtheit gegenüber der Dame, doch kann man Soldier of Love eine gewisse – positive! – Abgeklärtheit, Ausgeglichenheit und Reife nicht absprechen. Dieses Album ist das, was man im besten Sinne als „rund“ bezeichnen kann. In Sades Heimat wurde es dann auch sogleich zum Anlass genommen, ihr 1984er-Debüt Diamond Life für den Lifetime Award bei den Brit Awards zu nominieren.

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Plattenkritik: Sade | Max Raabe

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