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Denn das ist das Vierte: Die Themen kreisen umeinander herum, aber leicht zeitversetzt und mit unterschiedlichem Tempo. So kann es passieren, dass ein Element das andere überholen will und genau in dem Moment, in dem die beiden auf gleicher Höhe sind, setzt ein Umschlag ein, ein Wechsel zu etwas Drittem – lauter, dynamischer, schneller und/oder treibender wird nun die Musik. Das macht sie so interessant: Ganz langsam, peu à peu wird Teil um Teil hinzugefügt, es baut sich eine ungeheure Spannung auf, die manchmal schon fast qualvoll langgestreckt wird – zu „simpel“ sind die Themen („Jetzt fangt doch mal an!“), zu häufig wiederholen sie sich („Ich hab’s begriffen“). Und dann wird der Schlag ausgeführt („Yeah!“)! Freilich kein Erlösungsschlag, denn gleich danach werden die Fäden wieder aufgenommen – natürlich leicht modifiziert, variiert und mit anderen Tempi versehen … Und Zack, wieder etwas anderes. Typisch hierfür ist das Modul 39_8 der aktuellen Platte. Und es ist nicht nur typisch, es ist großartig.
„Holon“ ist die zweite CD, die Nik Bärtsch ’s Ronin bei ECM veröffentlicht. Wie „Stoa“ wurde sie von Manfred Eicher produziert und ist zudem – labeltypisch – klanglich ziemlich perfekt (manchen vielleicht schon zu perfekt). Holon baut auf Stoa auf, harte Brüche sind nicht zu erkennen, der Gruppe geht es ums kontinuierliche Weiterentwickeln, nicht um die Jagd aufs vermeintlich ganz Neue.
Allerdings sind da schon Veränderungen im Sound zu spüren. Vielleicht wird das noch nicht einmal sofort deutlich, vergleicht man Holon mit Stoa – aber nimmt man beispielsweise die 2004 (noch unter „Ronin Rhythm Records“) veröffentlichte CD „Rea“ näher ins Visier, dann fällt auf, dass die Musik nun – sagen wir einmal – „höher organisch zusammengesetzt“ ist. Auf Rea sind die Bauteile / Module / Steinchen, von denen ich sprach, noch etwas roher geschichtet, klarer separierbar, verfolgbarer. Holon ist nach wie vor modulare Musik, aber das Puzzle hat mehr Teile, ist feiner aufgelöst bzw. es fügt sich nahtloser zusammen, so dass das Bild insgesamt mehr hervortritt, denn seine einzelnen Teile.
Rea wirkt vielleicht ursprünglicher, besitzt mehr rohe Kraft – bei Holon sind die Stücke hingegen komplexer und gleichzeitig geschmeidiger, natürlicher geworden. Die Ronins wirken noch dichter verwebt, geschlossener und erlauben sich auf dieser Basis sogar Soli. Da ruft jemand glatt „Hey“, bevor einer dieser klassischen Umschwünge und Beat-Attacken kommt! Das hätte man sich früher nicht erlaubt … Aber es wirkt authentisch, passt in den (musikalischen) Zusammenhang. Und „richtige“ Soli sind es nun auch wieder nicht, zu verstrickt bleiben sie im Gesamtgroove. Neu sind (glaube ich) auch diese kurzen melodischen Verzierungen oder Zitate oder was auch immer – bei Modul 45 weht mich etwas leicht Satiehaftes an, bisweilen scheint mir bei der Klarinette und dem Sax eine kleine „Asia-Note“ erkennbar zu sein. Was ich davon halten soll, weiß ich nicht, aber ich muss ja auch nicht alles verstehen …
Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie denn aus so unterschiedlichen musikalischen Wurzeln wie Steve Reich, Morton Feldmann, japanischer Sakralmusik und James Brown etwas Brauchbares herauskommen soll. Nik Bärtsch ’s Ronins Module sind allerdings viel mehr als das, denn nie geht es ihnen um einen losen Stil-Crossover, sondern vielmehr um ein bewusstes musikalisches „Verdauen“ anscheinend disparater Elemente. Das Ergebnis ist eine sehr eigenständige Art von Musik, eine hochdynamische und mit überraschenden Wendungen versehene. Mal brettert einem vorwärtstreibender (Minimal)Funk entgegen, dann tönt es wieder meditativ-rituell. Intelligent arrangiert sind die Stücke immer, aber nie „avantgardistisch verschlossen“ oder undurchschaubar. Wahrscheinlich muss man es doch andersherum angehen: „Move your mind, your ass will follow!“
Künstler: Nik Bärtsch ’s Ronin CD: Holon Label: ECM Release: 15. Februar 2008 Homepage: www.nikbaertsch.com Tourdaten Deutschland: 14/04/08 – Karlsruhe 15/04/08 – Darmstadt 16/04/08 – München 17/04/08 – Weimar 18/04/08 – Bremen 19/04/08 – Dortmund 15/06/08 – Berlin
Plattenkritik: Nik Bärtsch's Ronin - Holon