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…der wohl stärkste Song des ganzen Albums, das kochendheiße „Leave Me Standing Alone“, eine weitere Wright/Reagon-Kollaboration. Die beiden Damen können es halt, und sie können es sehr funky! Auch textlich ist dieser Befreiungsschlag ein absolut gelungener Track. Allen, die aus unerklärlichen Gründen von ihrem Objekt der Begierde (der schlaflosen Nächte etc.) nicht einmal mehr angesehen werden, sei empfohlen, dieses Lied einzutüten und letzteren zu schicken, frei nach dem Motto, jetzt ist es zu spät, jetzt lieb‘ ich dich auch nicht mehr und haben kannst du mich sowieso nicht mehr!
„It could have been good, instead it was wrong/All I want from you, is leave me standing alone“
… bestärkt durch einen bezwingend sexy „ooh ooh wha“-Chor und einen hypnotischen Basslauf. Tja, Pech gehabt, Ex-Liebhaber!
„Why don’t you leave me standing alone?“
Thematisch verwandt auch die jetzt folgende Ballade „Speak Your Heart“, die nichts von ihren süßlichen Gattungsgenossinnen hat, sondern eine schlicht gehaltene Absage an eine einst glückliche Liebesbeziehung ist, deren Ende man zwar schon lange hat kommen sehen, nun aber trotzdem noch einen letzten Versuch unternimmt, den Partner zu einem klaren Bekenntnis zu der Beziehung aufzufordern. Musikalisch erinnert das zu Beginn an „Road Trippin'“ von den Red Hot Chilli Peppers, textlich an Gabrielles Album „Rise“, das sich gänzlich allen Phasen einer unglücklichen Liebe verschrieben hat, von Wann-wirst-du-endlich-anrufen über Komm-doch-bitte-zu-mir-nach-Haus und ohne-dich-kann-ich-nicht-sein bis bleib-mir-ja-vom-Leibe und ich-bin-über-dich-hinweg-und-erhebe-mich-wie-Phoenix-aus-der-Asche.
Mit „This Is“ unternimmt Lizz Wright einen behutsamen Ausflug in Popgefilde und kündet, zwar zaghaft noch, von dem Zauber eines neuen Anfangs. Derart positiv gestimmt hört man sich gern den „Song for Mia“ an, ein einfaches Lagerfeuer-Lied, welches sich zu einer regelrechten Folk-Hymne entwickeln soll. Nichts erinnert hier mehr an den dunklen Blues des Albumbeginns, vielmehr wird hier die ungetrübte Lebensfreude darüber, dass man in diesem kurzen Leben einen Song singen kann, gefeiert. Ein Lied, das Mut macht.
Gesteigert wird dies nur noch durch „Thank you“, dem Led Zeppelin-Klassiker von 1969, mit dem Robert Plant der Durchbruch zum wichtigsten Texter der Band gelang. Er schrieb den Song für seine Frau, der er seine Dankbarkeit bezeugen wollte, dass sie immer wieder über seine Seitensprünge hinwegsah und fest zu ihm hielt – wahre Liebe überwindet eben alles, die Zeit der Trübsal und Tränen ist nun endgültig vorbei, so der Text. Bei Lizz Wright bekommt dieser eine neue Bedeutung, er bringt zum Ausdruck, dass die mal zögernde, mal hoffende, dann wieder wütende Frau vom Rest des Albums der Vergangenheit angehört und sie jetzt ihren Frieden gefunden hat. An bombastischem Sound alles auffahrend, was sattfarbene Keys und jubilierende Trompeten – hört man da nicht gar die Hörner von Jericho? – hergeben, macht dieser Song froh und stark. Gern würde ich ihn live hören, sehen, erleben!
Um nun aber nicht in eine seelig-platte Ende-gut-alles-gut-Attitüde abzugleiten, lohnt es sich, jetzt noch einige Minuten auf den Bonustrack „Strange“ zu warten. Thema dieser Patsy-Cline-Coverversion ist das Erstaunen darüber, dass man mit einem Male nicht mehr geliebt wird, und zwar von demjenigen, der einen doch bis gestern noch so sehr zu lieben schien:
„Strange how you stopped lovin me, how you stopped needin‘ me, when she came along. Oh, how strange. Strange you changed like night and day, just up and walked away when she came along, oh, how strange“.
Eine große Ballade, wie sie Gladys Knight mit ihren Pips – man denke hier nur an „The Way We Were“ – nicht hätte besser machen können, dabei in durchaus modernem Gewande. Die Vibes von John Convertino bereiten, ebenso wie dessen sanfter Drum-Shuffle, einen butterweichen Soundteppich, von dem aus sich Lizz‘ Klagen so behutsam wie resigniert erheben. Als „eindringlichen Schmachtfetzen“ beschreibt ihre Plattenfirma Verve Forecast (Universal) das Stück – und wird ihm damit in keiner Weise gerecht. Eindringlich ja, Schmachtfetzen ganz klar nein. Der Kitsch, das Überproduzierte fehlt hier glücklicherweise komplett. Wären die anderen Balladen nur ein bisschen wie „Strange“, könnte das Album die perfekte Frühsommer-Platte sein. So aber wird es zu einem weiteren Album mit bestimmten Lieblingsliedern und anderen, die man schlicht überspringt.
Langsam klingt der Song aus, und wie in Cassandra Wilsons „Harvest Moon“ hört man noch lange die – hier allerdings imaginären – Grillen einer langen Sommernacht zirpen, in der die Sängerin am Fenster steht und sich verwundert fragt, was mit ihrer großen Liebe geschehen ist. Gedankenverloren öffne ich mein eigenes Fenster und werde von einer Welle Biergarten-Ballermann-Gute-Laune-Pop beinahe erschlagen. Willkommen in der Realität.
Plattenkritik: Lizz Wright | The Orchard