April 2013 / Christoph Engemann
Der Spiegel bringt monatlich eine Metal-Kolumne, in der Süddeutschen und der TAZ finden sich Besprechungen von Black-Metal-Scheiben, die Schriftstellerin Iris Hanika, in der Vergangenheit bereits auf der Shortlist des deutschen Buchpreises vertreten, bekennt auf zwei vollen Seiten der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ihre Liebe zum Schwermetall. Eine Liebe, die sie auch in ihrem jüngst erschienen Roman „Tanzen auf Beton“ in klugen Beobachtungen literarisch ausstellt. Ähnliches passiert im letztes Jahr erschienenen Debütroman „Gegen die Welt“ des Süddeutsche-Redakteurs Jan Brandt, der eine Auseinandersetzung mit dem Heavy Metal enthält, welche in Besprechungen des Deutschlandfunks oder der Welt lobende Erwähnungen fand. Jetzt hat auch noch der chinesische Künstler Ai Weiwei angekündigt, ein Heavy-Metal-Album zu veröffentlichen und Napalm Death sind eingeladen, im altehrwürdigen Victoria und Albert Museum zu London zu performen.
Verwicklungen, die die einschlägigen Redaktionen frei über Krach und Kultur sinnieren lässt. Man wundert sich – ist das eine Feuilletonisierung des Heavy Metal? Sind es womöglich gutsituierte Bürger, die Abends vor dem sauber sortierten Bücherregal im Kulturteil blättern, einen schönen Rotwein aufziehen und sich die neue Deathspell Omega auflegen?!
Es scheint sich ähnlich wie beim Fußball und seines vor etwa zehn Jahren erfolgten Einzugs ins Feuilleton eine Entwicklung abzuzeichnen, bei der einstmals verpönte, mit Klassen- und Milieudifferenzen aufgeladene Binnenkulturen plötzlich der Kennerschaft wert sind und als jeweils eigene, ausdifferenzierte Kulturpraxen Würdigung erfahren.
Audiophilen allerdings sollte – allen gängigen Klischees und Beobachtungen auf Messen und in den einschlägigen Geräteboutiquen nach – Heavy Metal dennoch ein Graus sein. Ist es nicht jenes Genre, das wie kaum ein anderes den Loudness War, die Überkompression von Musikaufnahmen vorangetrieben hat, und bei der meist männliche Haufen von Musikern nichts vorzuweisen haben, außer sich gegenseitig an Lautstärke, Schnelligkeit und Vulgarität zu überbieten? Bei dem also eigentlich alles, was dem Audiophilen heilig sein sollte, mindestens vergessen, wenn nicht gar mit Füßen getreten wird?
Auch wenn der eine oder andere vielleicht klammheimlich ab und an mal eine Runde Slayer auf dem LP12 drehen lässt, bringt man mit der Spezies der Audiophilen doch eher Wohlfühlklassik, Jazz, der nicht weh tut (oder gleich aus München kommt) oder das ewige Girl-with-Guitar-Format in Verbindung. Von der ewigen, in jedem HiFi-Forum anzutreffenden Trinität aus Pink Floyd, Dire Straits und Tracy Chapman ganz zu schweigen. Nicht selten findet man so bei entsprechenden Hörterminen die Regel „je besser die Anlage, desto schlechter die Musik“ bestätigt.
Wem aber danach ist, den Frauenstimmen und Säuseljazz samt Triangel-Pling-Pling gelegentlich mit einem robusten Exorzismus beizukommen oder vielleicht einen kleinen, bruitistischen Frühjahrsputz zu veranstalten, um allzu träge gewordene Elektronen in der Kette ein bisschen aufzuscheuchen, die oder der möge hier ein paar Anregungen finden. Ein wenig Beharrlichkeit und Unerschrockenheit mögen für den einen oder anderen bei der Lektüre angeraten sein, nicht zuletzt da sich der „Lärmpegel“ im Verlauf des Textes nach und nach senkt: Wandern die vorgestellten Künstler und Platten doch die genretypischen Positionen vom getreulich Derben zum romantisch Geläuterten, vom rauschhaft Kulturaversen zur kultivierten Melancholie ab.
Die jüngst erschienene dritte Scheibe Vexovoid (Label: Profound Lore, auch als LP erhältlich) der australischen Band Portal vertreibt mit Sicherheit alle etwaigen Norah-Jones-Residuen aus Kabel und Gerät. Die Herren haben sich spätestens mit ihrer letzten Scheibe Swarth aus dem Jahr 2010 einen Namen als derzeit eigenwilligste Vertreter im Spektrum extremen Metals gemacht. Der Sänger tritt stets vollverhängt auf und trägt auf dem Kopf gern auch mal eine Kuckucksuhr, nennt sich dazu „The Curator“ und was hier auditiv und bei Liveauftritten auch visuell geboten wird, bedient sich großzügig des emotionalen Fundus‘ des expressionistischen Films, plündert die Annalen des klassischen Death Metal von Bolt Thrower bis Incantation, lädt sich atmosphärisch bei Drone und Industrial auf, macht dem Punk das Schrammeln streitig und relativiert im Ergebnis entsprechend Genrezuschreibungen.
Vexovoid kolportiert einen letztlich abstrakten Kommentar auf die vorgenannten Referenzen: Schwärme von Dissonanzen, flirrende Verdichtungen und zitternde Anmassungen, die heranbrausen und verebben; Musikströme mit gründlicher Reinigungskraft, denn hier wird geschrubbt und gegen den Strich gebürstet, was das Zeug hält. Glänzende Ergebnisse à la Meister Propper darf man allerdings nicht erwarten, vielmehr schätzen die Australier offenbar das Korrosive um dessen ästhetischen Effekt willen. Und auch wenn Vexovoid nicht ganz die berückenden Qualitäten des Vorgängers Swarth erreicht, kann man die Platte trotzdem bereits jetzt zu den Anwärtern auf einen Jahresbestenlistenplatz zählen.
Schon wesentlich gepflegter dagegen der Auftritt der wiederbelebten Grindcore-Legende Terrorizer. Gepflegter Grindcore ist natürlich eigentlich ein Widerspruch in sich, galt doch dieses in den achtziger Jahren von der immer noch aktiven, unverwüstlichen Truppe Napalm Death erfundene Gemisch aus Hardcore-Punk und Speed-Metal als ultimative Geste des Kaputtspielens. Inzwischen freilich ist der Grindcore ein eigenes Idiom geworden, das von Bands wie Nasum und Mörser in gelungener Hommage (und Ironisierung) fortgeschrieben wurde. Auf Hordes of Zombies (Label: Season of Mist) wird dieses Vokabular von Terrorizer mit beeindruckender Souveränität durchdekliniert. Vorangetrieben von Beats, die der im Brotberuf bei Morbid Angel anstellige Schlagzeuger Pete Sandoval wahrscheinlich im Schlaf spielen kann, servieren Terrorizer überraschungsfrei, aber amtlich enervierenden und eben gepflegten Grindcore: schamlos laut, hundertprozentig getriggerte Drums bei verlässlichen 220 BPM, sehniger Bass, sengende Gitarren und abgeklärt heiserer Grunzgesang obendrüber. Das ist wunderbar formgerecht und schnell ertappt man sich beim Drehen am Volumensteller, bringt so die Membrane auf Trab, wärmt Röhren und Transistoren tüchtig an und lässt auch Kopf und Fuß freudig mitwippen.
Letzteres stellt bei der weit über Deutschland hinaus bekannten Berliner Formation War From A Harlots Mouth eine ziemliche Herausforderung dar. Deren Stil wird häufig als Mathcore bezeichnet. Ein in den vergangenen Jahren erfolgreiches Hardcore-Derivat, das sich durch vertrackte Rhythmen, unvorhersehbare Tempiwechsel und Breaks auszeichnet und bei dem gelegentlich auch mal die eine oder andere Jazzpassage eingezogen wird. Auch wenn böse Zungen behaupten, der Mathcore hätte seine beste Zeit hinter sich, legen WFAHM fürs erste den Gegenbeweis vor. Mit Voyeur (Label: Season of Mist) kann man die Ladekondensatoren im Verstärker hübsch um den Verstand bringen; man weiß nicht immer wann, aber die nächste Transiente kommt bestimmt, und so hat man dank herunter gestimmter Gitarren und lustig eingestreuter Bassdrops Gelegenheit, die Impulsfähigkeit insbesondere auch der Tieftöner zu erproben.