Dungen – Otis
Die neue EP Otis der schwedischen Psych-Rocker Dungen ist garantiert nicht das, was man von der Band erwarten würde. Statt ausschweifender Gitarrenriffs und rollender Schlagzeug-Fills kommt hier die DJ-Tätigkeit von Frontman und Sänger Gustav Ejstes zum Vorschein und überrascht mit fetzendem 90er-Jahre-Jungle, Hardcore und Drum-and-Bass-Clubsounds.
„Vad Är Du För En“, die erste Nummer auf der EP, beginnt mit einem Synthie-Arpeggio und einem tiefen Basslauf, der von gesampelten Drums akzentuiert wird. Nach dem kurzen Intro geht der Song über in perkussive Loops und die für Jungle und Hardcore so typischen schnellen Breakbeats, also gebrochenen Rhythmen. Zwischendurch durchbrechen Samples aus Stimmen auf Schwedisch und kurze melodische Synthie-Loops das Gewirr an Rhythmik, das einen förmlich überrennt, sich schnell und chaotisch anfühlt. Dass man hier einen echten Club-Hit hört, ist trotzdem schnell klar, so ausgeklügelt und feinstimmig ist die Balance aus Melodien und Rhythmus. Das hat auch Tim Reape bemerkt, der das Label Future Retro London gründete. Er sah Ejstes im November 2023 bei einem Event am DJ-Pult und sprach ihn danach an, weil er sein Set mochte, aber einige Songs nicht kannte. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass dies genau die selbstgeschriebenen Nummern von Ejstes waren, die er nun auf Future Retro London veröffentlichte.
Der zweite Song „Wait Til June“ kündigt seine Breakbeats über eine Minute lang im Hintergrund einer atmosphärischen Klangwolke an, die zwischen zwei Akkorden hin- und herschwingt und später in neue Harmonien übergeht. So richtig rhythmisch wird es ab 1:40, wenn der Jungle Beat einsetzt und ein Dancehall-artiges Bass-Solo von einem lauten „Go“ eingeläutet wird. Eine gesampelte Stimme bringt anschließend immer wieder Melodien in den Song ein, sodass „Wait Til June“ zu einem gelungenen Rave wird. Die verschiedenen Parts werden über die nächsten Minuten kombiniert und im Wechsel präsentiert, bevor sich die anfängliche Klangwolke leicht verändert abermals in den Song schleicht und das Ende einläutet. Die Platte ist mit drei weiteren Hits wie etwa dem eher mysteriösen Schlusssong „Dalagatan“ mit seinen peitschenartigen Soundeffekten und bedrohlich klingenden Synthie-Melodien oder dem großartigen Feature der schwedisch-amerikanischen Rapperin und Sängerin Mapei in „Jacqueline“ eine klare Hörempfehlung – besonders, wenn man sich für Jungle und Clubsounds begeistert!
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White Poppy – Paradise Regained
Mit Paradise Regained schaut die kanadische Künstlerin Crystal Dorval aka White Poppy auf ihre musikalische Reise der letzten vier Jahr zurück. Die neue Platte präsentiert Outtakes, B-Sides oder neue Mixe ihrer verträumten Lieder, die während der Aufnahmen ihrer letzten drei Alben entstanden sind.
Der erste „Paradise Gardens Theme Song“ beginnt atmosphärisch mit Klängen, die sich über einen leicht angedeuteten Beat schieben. Dorvals Stimme ist mit so viel Effekt belegt, dass sich ihre Worte doppeln und in dem Sound-Cluster verschwinden. Alles hört sich wie eine riesige Watte-Welt aus Sound an, irgendwie mystisch und magisch zugleich. Man versteht, warum Dorval für ihren Dream-Pop bekannt ist, den sie auch als Bedroom Shoegaze bezeichnet. Ihre flüchtige, hauchende und träumerische Musik beruhigt und überzeugt durch Melodien, die einen lange begleiten.
„Memories“, der nächste Song, wird auf der Platte im „Surf Mix“ präsentiert. Er beginnt mit Synthesizern, die mit Dorvals hohem Sopran verschwimmen. Aufgrund der Effekte geht es nicht um Worte, sondern nur um Gefühl. Die Harmonien rutschen in Akkorde und lassen das Lied immer weiter in Fantasiewelten driften. Irgendwann rückt ein Synthie mit metallischem Sound in den Vordergrund, der mit einer Art Solo die letzten Sekunden des Tracks einleitet.
Viel belebter und aufstrebender kommt der „Elf Mix“ von „Time Heals“ daher. Hier gibt es einen Lo-Fi-Beat und White Poppy singt wieder Lyrics, bei denen Ihre Stimme so verträumt klingt wie die Arpeggios im Hintergrund. Mit viel Delay, Echo und Pitch hinterlässt auch der letzte Teil ihres Gesangs einen bleibenden Eindruck. Für meditative und experimentellere Stunden ist das Album ein toller Begleiter!
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Dolores Forever – It’s Nothing
„Like Fleetwood Mac without the husbands“ – so beschreibt sich Dolores Forever, das Powerduo aus den Freundinnen Hannah Wilson und Julia Fabrin. Wilson aus Yorkshire und Fabrin, die aus Kopenhagen stammt, bringen nun das Album It’s Nothing an den Start, das mit rockendem Pop und energiereichen Riffs für einen Stoß gute Laune sorgt.
Der Opener „Not Now Kids“ beginnt mit einem blubbernden Beat, der mit einem durchgängigen, abgedämpften Bass und den sich aufbauenden Drums im Chorus förmlich explodiert – dazu gibt’s poppige Melodien in der Strophe und trotzigen Gesang im Refrain. Dass mit den „Kids“ eigentlich erwachsene Politiker gemeint sind, offenbart sich erst gegen Ende in den Lyrics. Zeilen wie „When we talk they never listen“ oder „they mistake an opinion with complaining“ sind klare Seitenhiebe, die auf ein kindisches Verhalten abstellen. Mit „every seat at every table’s taken up by politicians“ werden die Störenfriede schlussendlich beim Namen genannt. Die minimalistischen Gitarreneinwürfe zwischen den scharfen Zeilen und die Synths lockern den Song dabei auf.
Lieder wie „Concrete“ oder „Why Are You Not Scared Yet“ bringen ebenfalls gut Tempo in die Platte und sind durchaus tanzbar. Trotz Upbeat und vermittelter Ausgelassenheit werden jedoch ernstere Themen wie der Klimawandel inklusive Hitzewellen im Dezember und Wasserknappheit angesprochen. Dass Dolores Forever nicht nur „Fun and Games“ sind, sondern ihre Stimme auch politisch nutzen, tut dem Album gut und bringt eine gewisse Tiefe mit sich.
Weniger rockig, sondern eher poppig, sind Songs wie „Stop Making It Worse“, der von einer psychischen Krise erzählt, oder „Split Lip“. Sie erinnern leicht an Taylor Swift und wären mit ihren großen Chorussen perfekte Radiohits. Wenn das Duo den Pop und Indie auch nicht gerade neu erfindet, ist „It’s Nothing“ ein gelungenes Debüt, Dolores Forever überzeugen mit einer durchgängig starken Performance.
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