Juni 2015 / Thomas Winkler
Man stelle sich vor: Der Held tritt hinaus ins Licht. Er verharrt einen Moment auf der hölzernen Veranda und blickt in die unendliche Weite. Am Horizont sind rostrote Tafelberge zu sehen, kein Geräusch ist zu hören, die Hitze flimmert in der Ferne. Die Musik setzt ein, eine zarte akustische Gitarre, der Held zieht seinen Hut tiefer ins Gesicht und schreitet aus dem Schatten heraus die fünf Stufen hinunter auf den staubigen Boden. Die Kamera schwenkt um 180 Grad, gibt den Blick frei auf das gewaltige Panorama. Kein Lüftchen regt sich, der Rhythmus klopft träge, die Spannung ist mit Händen zu greifen. Der Blick des Helden richtet sich in eine unbestimmte Ferne, aber hinter dem aus klobigen Baumstämmen zusammengezimmerten Zaun wartet …
Ungefähr so könnte er beginnen, der Film, zu dem „Dead Dance“ von Opez der Soundtrack sein könnte. „Carlos Primero“ heißt der Eröffnungstrack, ein Name wie aus einem Western von Sergio Leone, und kaum, dass die Musik erklingt, erscheint vor dem geistigen Auge sofort das Bild von einem heruntergekommenen, bärtigen Mann, vielleicht in einem schäbigen Poncho, der eine Kautabakfontäne zur Seite ausspuckt.
Wer spielt diese Musik, die solch starke Assoziationen auslöst? Hinter Opez verstecken sich Massi Amadori und Francesco Tappi, Gitarrist der eine, Bassist der andere, beide Italiener. Aufgenommen wurde „Dead Dance“ mit einigen wenigen Gastmusikern und unter der Regie des Produzenten Andrea Benini, der sich als Mop Mop einen gewissen Namen gemacht hat, in verschiedenen kleinen Tonstudios im Niemandsland zwischen Mailand und Rom, wo es allerdings wohl niemals so einsam sein dürfte wie in den Bildern, die die dort entstandene Musik zu evozieren versteht.
Die Zuschreibung „filmische Musik“ ist längst selbst zum Klischee geronnen, aber selten war es so zutreffend wie in diesem Fall. Die Musik von Opez verhält sich zu originaler Americana aus Amerika ungefähr so wie der Spaghetti-Western zu den klassischen Vertretern des Genres. Roots Rock, Blues, Folk, Country, aber auch Tex Mex sind auf „Dead Dance“ zu hören, musikalisch sind wir schließlich irgendwo dort unten im Süden, im Grenzgebiet zu Mexiko, genau da, wo auch Calexico ihr Unwesen treiben.
Aber Amadori, der neben der Gitarre noch Ukulele und Akkordeon spielt und außerdem die Stücke geschrieben und arrangiert hat, und Tappi, der zum Bass noch ein paar Streich- und Blasinstrumente hinzufügt, agieren noch konsequenter als die aus New Mexico stammenden Calexico, die in Deutschland so große Erfolge feiern. Es mag am größeren räumlichen Abstand liegen, den Opez zu ihrem Gegenstand haben, aber während Calexico einen touristischen Blick auf abgewrackte Motels und Highways, die sich in schnurgerader Linie bis zum Horizont ziehen, mit den passenden Songs unterlegen, scheinen Opez ihre Töne aus schummrigen Erinnerungen an ein altes, versunkenes Amerika zu destillieren. Schuld an diesem Eindruck mag sein, dass alle elf Stücke Instrumentals sind. Die beiden Gaststimmen von Annalisa Bartolini und Dimitri Mazzs kommen nur sehr sporadisch, ohne Text und wie Instrumente zum Einsatz.
Nach dem Eröffnungstrack „Carlos Primero“ hat ein gewisser „Malinco“ seinen Auftritt. Hier wird die Atmosphäre noch bedrohlicher. Die Gitarre weint und eine körperlose Stimme jammert mit ihr im Chor. Man denkt unweigerlich an Ennio Morricone – und das nicht zum letzten Mal. Das berühmte Motiv aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ oder eine andere Melodie aus den vielen Italo-Western und anderen Filmen, die Morricone vertont hat, zitieren Opez zwar nicht direkt. Aber Amadori huldigt mit seiner Slide-Gitarre immer wieder der damit assoziierten Stimmung, diesem leicht gruseligen, federleicht schwebenden, nahezu immateriellen Klangbild, das zum Markenzeichen von Morricone geworden ist.
Es geht weiter mit „Estelita“, die offensichtlich eine recht aufgeräumte Frau ist. Der Rhythmus lädt schon fast zum Tanzen ein, die Gitarre erfreut sich an den kleinen Licks, die sie spielt. Auch „Adriatica“ könnte eine Filmfigur sein oder, wahrscheinlicher wohl, das Mittelmeer. Denn hier stehen Opez nur mehr mit einem Bein im Wilden Westen, mit dem anderen aber in einem Strandcafé. Wir befinden uns in den Fünfzigerjahren, vielleicht auch in den frühen Sechzigern, die Cocktails sind bunt, die Sonne sanft und die Frauen elegant. Noch ein Klischee, aber Opez gelingt es, diese Bilder wiederzubeleben, ohne nur Abziehbilder zu produzieren.
In „Libre“ wird die Stimmung dann wieder weicher. Im darauf folgenden Titelsong „Dead Dance“ massiert der Kontrabass von Francesco Tappi solange die Bauchdecke, bis die Toten tatsächlich zu tanzen beginnen. In „Diavolanza“ baut sich langsam aber sicher eine Stimmung auf, die in einer Saloon-Schlägerei endet. Ein Stück, das sich so verführerisch windet wie die Schlange auf dem nackten Körper der tanzenden Salma Hayek in der Biker-Kneipe „Titty Twister“. Die berühmte Striptease-Szene aus „From Dusk till Dawn“ von Quentin Tarantino und Roberto Rodriguez machte nicht nur Hayek zum Star, sondern sorgte dafür, dass Tito & Tarantula bis heute als Hausband des „Titty Twister“ durch die ganze Welt touren.
In der Kneipe, in der Opez die Hausband sein könnten, würden wohl keine Vampire verkehren. Aber doch geheimnisvolle, skurrile Figuren wie der Kopfgeldjäger, den Christoph Waltz in „Django Unchained“ spielt. Tarantino, der die Soundtracks seiner Filme höchstselbst zusammenstellt und von dem es heißt, dass er viele Szenen nur geschrieben hat, um einen bestimmten Song darüber legen zu können, sollte Opez bald entdecken. Falls der Regisseur ein Sequel von „Django Unchained“ plant, um Waltz weitere verschrobene, ironische Dialoge auf den Leib zu schreiben, kann man sich gut vorstellen, wie Opez in einer schummrigen Ecke des zwielichtigen Etablissements versunken über Gitarre und Bass sitzen, der eine hat eine Melone auf dem Kopf, der andere einen abgerissenen Zylinder. Das Pokerspiel gerät außer Kontrolle, die Waffen werden gezogen, Beschimpfungen gehen hin und her, die ersten Kugeln fliegen. Am Ende liegt ein halbes Dutzend Leichen im Raum verteilt, nur der Held steht noch und versteckt den rauchenden Colt wieder unter seinem schäbigen Poncho. Dann spuckt er noch einmal aus, dreht sich um, stößt die Schwingtür auf und schreitet hinaus in die helle Weite. Zurück bleiben Massi Amadori und Francesco Tappi, sie haben die ganze Zeit weiter gespielt, keine Kugel hat sie getroffen. Dann verweht leise der allerletzte Ton.