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Noel Gallagher’s High Flying Birds – Blue Moon Rising EP

Die Gerüchte um ein Oasis-Comeback sind auch zehn Jahre nach der Trennung der Band nicht verstummt und machen Schlagzeilen. Doch Noel von den Gallagher-Brüdern äußert sich lieber mit neuer Solo-Musik, als die Kommentare seines Bruders weiter auszuschlachten. Nach der EP This is the Place, die er im Herbst 2019 herausbrachte, veröffentlichte er nun Anfang März mit seiner High Flying Birds-Band die Nachfolge-EP Blue Moon Rising.

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Auf ihr befinden sich das titelgebende Stück inklusive zweier Remixe und zwei weitere Songs. Bei „Come on Outside“ lassen sich die typischen, langgezogenen Gesänge, die man aus alten Oasis-Zeiten so gut kennt, wiederentdecken. Von den drei Songs der EP strahlt dieses Stück am meisten Rock‘n’Roll aus, zudem überzeugt es mit klassischer Bandbesetzung und einer eingängigen Gesangsmelodie. Auch „Wandering Star“ ist ein solider Song, der mit Glocken-Arrangements, viel Hall auf dem Gesang und rockigen Gitarren ganz locker daherkommt.

Der Titelsong der EP schlägt dagegen eine ganz neue Richtung ein. Eine solche Upbeat-Disco-Nummer hätte man Gallagher gar nicht zugetraut! Und das ist durchaus ein Vorteil, der Überraschungseffekt wirkt, der Song entpuppt sich als grooviges Meisterwerk, das lange im Ohr bleibt. Das durchgängige Schlagzeug, die wenigen Gitarren-Akzente, die Synthies und die „fragende“ Gesangsmelodie geben „Blue Moon Rising“ einen mysteriösen Touch, der verlockt. Der Chorus löst die Spannung dabei gekonnt auf, ohne dass das Schlagzeug den Beat verlässt. Mit diesem Track und den beiden Remixen zeigt Noel Gallagher, dass er noch lange nicht bereit ist, seine musikalische Laufbahn zu beenden, sondern Spaß am Experimentieren mit neuen Stilen hat. Da darf man sich schon auf das nächste Album freuen!

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Pat Metheny – From This Place

Pat Metheny From this place

Jazz-Gitarrist Pat Metheny ist ein Musiker, dessen Stil sich fortlaufend weiterentwickelt und nicht so leicht einzuordnen ist. Über drei Jahrzehnte veröffentlichte er Jazz, Welt- und Filmmusik – und wurde dafür in zwölf Genres mit 20 Grammys ausgezeichnet. Sein neues Album From This Place verwischt erneut die Grenzen zwischen Weltmusik, Jazz und experimentellen Klängen.

Zusammen mit seiner großartigen Band – bestehend aus Schlagzeuger Antonio Sanchez, der Metheny seit 20 Jahren begleitet, der malaysisch-australischen Bassistin Linda May Han Oh und dem Engländer Gwilym Simcock am Klavier – wird Metheny auf der neuen Platte sogar politisch. Das erste Stück „America Undefined“ ist allein schon durch den Titel ein Statement, verweist Metheny hier doch auf ein Essay von James Baldwin, in dem der bekannte Schriftsteller versuchte, das Wort „America“ zu definieren – und wegen der Kontroversen und ungeklärten Historie des Landes daran scheiterte.

Musikalisch interpretierte Metheny das „undefinierbare Amerika“ als 13-minütigen Track, der mit einem langen, schleichenden Klaviermotiv beginnt. Man ist dazu verleitet, das Stück in Passagen aufzuteilen, die – jede für sich – eine ganz bestimmte Atmosphäre versprühen. So färbt ein Arrangement des Hollywood Studio Symphony Orchester unter der Leitung von Joel McNeely das Hauptmotiv beispielsweise so, dass es an die Urbanität und Filmmusik der 1920er Jahre erinnert.

Metheny ist für sein freies Spiel an der Gitarre bekannt und auch das kommt in diesem Stück nicht zu kurz. Der Gitarrist Metheny läuft mit seinen Soli lässig über die Klangwolken der Band, rückt sich dabei durch die sanfte Ton-Einstellung aber nie ganz in den Vordergrund. Immer wieder kehrt er zur Band zurück, und im aufstrebenden Chorus spielt er dann zusammen mit den Streichern des Orchesters.

Ab der achten Minute wechselt die Stimmung und die Gitarre setzt aus. Eine lange Passage voll dunklem Stillstand, mit düsteren Tönen, rutschenden Geigenläufen und Ungewissheiten ertönt – es klingt, als wolle Metheny den gesellschaftlichen Zustand aus Frust, Verletzung und Gefahr musikalisch darstellen. Dieses „Politische“ mag man nicht unbedingt mit Metheny in Verbindung bringen, doch der Musiker kritisiert die Ansichten von Präsident Trump nicht zum ersten Mal. Obwohl er auf seinen 30 Studioalben selten offensichtliche politische Aussagen machte, sieht er sich selbst als politische Figur.

Sein Handwerk der Improvisation bedeutet für ihn Freiheit und Individualität – dass diese Werte in Gefahr sind, lässt sich aus einer der letzten Passagen von „America Undefined“ heraushören: Sie besteht aus einem langgezogenen, bedrohlichen Motiv, das immer lauter wird und vom schleppenden Schlagzeug aufgenommen wird. Nach dem wirbelnden Höhepunkt verstummt das Stück dann wie nach einem Sturm. Hier zeigt sich, dass Metheny imstande ist, die Kontroversen seines Landes und die aktuelle Verunsicherung musikalisch einzufangen.

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Hilary Woods – Birthmarks

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Es beginnt mit elektrischen Signalen und einem dröhnenden Bass. Der Song „Tongues of Wild Boar“ ist eine düstere Hymne, und mit ihr leitet Hilary Woods das neues Album Birthmarks ein. Wenn es der aktuellen Platte der irischen Musikerin an einem nicht mangelt, dann an Atmosphäre. Die ehemalige Bassistin der Rock-Band JJ72 erlaubt sich als Solokünstlerin einen experimentelleren Zugang zur Musik; auf ihrer zweiten Veröffentlichung baut sie eine dunkle und mysteriöse Parallelwelt aus Industrial-Klängen auf. Die auffälligen, mit dem Bogen eingespielten Kontrabass-Einlagen und ihre eingängige Gesangsmelodie geraten zu einem abgründigen Spiel, und genau das macht Birthmarks so fesselnd.

Woods war bei den Aufnahmen zu diesem Album hochschwanger. Im zweiten Titel „Orange Tree“ singt sie zu einem effektbeladenen Arpeggio „I am afraid of what’s growing inside of me“. Dass der eigene Körper zu einer Mutter „heranwächst“, dass man Kontrolle abgibt, all das kommt in ihrem Text zum Vorschein – musikalisch ist das Stück mit durchgängig gezupften Noten klar strukturiert.

Andere Songs auf dem Album sind komplexer aufgebaut und bestehen aus Klangschichten, die nur wenig strukturelle Orientierung geben. Hier lässt sich Woods Hinterfragen des Selbst, des Werdens und der Veränderungen spüren. So bricht sie zu Beginn von „The Mouth“ verzerrte Sound-Cluster mit ihrem hohen Sopran auf, und weil sie erst danach voller Inbrunst singt, bekommt man das Gefühl, dass sie ihre Stimme hier gerade erst findet.

Woods baut selten harmonische Auflösungen in ihre Kompositionen ein, trotzdem hat man nicht den Eindruck, dass sie ein dystopisches Album herausbringen wollte. Sie fängt hier den Schmerz ein, den Veränderungen mit sich bringen können – und genau das ist im Fall von Birthmarks eine bereichernde Erfahrung.

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