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Okay. Heute ist der längste Tag des Jahres, und – welch Wunder – entgegen Erwarten und Vorhersage ist es doch tatsächlich kurzfristig Sommer geworden. Die Menschen liegen im Park auf dem Rasen rum, sonnen sich, grillen, plantschen im Wasser, die Biergärten sind hochfrequentiert, Großfamilien, vom Säugling in der Tragetasche bis hin zur Oma im Rollstuhl, samt vierpfötigem Anhang bevölkern die Gehwege, vor den Eisdielen bilden sich Schlangen, heute Nacht werden die Leute zur Feier der Sonnenwende Feuer anzünden und ich … ich bin vergrippt. Vom Fieber strähniges Haar, einen dicken Schal um den Hals und hustend bahne ich mir einen Weg durch die Menge und wünschte, mein Hundesitter würde auch am Wochenende arbeiten, damit ich mich ins Bett legen kann, wo ich eigentlich hingehöre. Selten war etwas so unpassend: 28 Grad und Fieber! Ähnlich ist es mir bislang erst einmal ergangen, als ich scheußlichen Liebeskummer hatte und dachte, der Himmel müsse sich verfinstern und die Welt aufhören sich zu drehen. Doch die dachte gar nicht daran, und wie zum Hohn lachte mir auch damals die Sonne strahlend ins Gesicht.
Angeblich verhält es sich mit dem neuen Album von Kitty Hoff und Konsorten genauso. Oberflächlich sonnig und lieblich, braut sich im Untergrund Düsteres zusammen, will man dem Hörer weismachen. Passend hierzu bezeichnet sich die vom Feuilleton hochgelobte Chansonnière gern selbst als „glückliche Melancholikerin“; und immerhin gelingt es ihr mit dem musikalischen Spagat zwischen Gewicht und Leichtigkeit als erster deutscher Sängerin, vom legendären Jazz-Label Blue Note veröffentlicht zu werden. Allerdings frage ich mich, warum.
Weder mit diesem noch den beiden Vorgängeralben Rauschen (2005) und Blick ins Tal (2007) hat Madame Hoff den deutschen Chanson neu erfunden – da ist ihr 2004 Annett Louisan mit Bohème zuvorgekommen, die zudem noch die besseren Texte vorweisen kann (was, das sei fairerweise zugegeben, kein Wunder ist, wenn man den deutsch-französischen Echo-Preisträger Frank Ramond als Textdichter zu verpflichten wusste!). Auch den neuen deutschen Jazz haben andere vor ihr definiert, Lisa Bassenge mit ihrem Trio beispielsweise. Und im Vergleich mit dieser zeigt sich auch, dass die 1972 geborene Hoff zu allem Überfluss keine besonders starke Sängerin ist. Das ist Louisan zwar auch nicht, doch hat diese eine Stimme, die man unter tausenden wiedererkennen würde. Ms Hoff hingegen klingt wie das nette Mädchen von nebenan. Ganz nett, aber seltsam blutleer. Besonders ohrenfällig wird dies, wenn sie eine wirklich talentierte Sängerin zum Duett bittet – eine Aktion, die der Wahl-Berlinerin zum perfekten Eigentor gerät: Auf Riesenräder wird sie von Coralie Clément, der Schwester von Chanson-Erneuerer Benjamin Biolay, schlicht in Grund und Boden gesungen. Auch der zweite Duett-Partner Kitty Hoffs, der Belgier Joachim Jannin, ragt auf Ort im Grün angenehm aus den übrigen Belanglosigkeiten des Albums heraus – eines Albums, das musikalisch am ehesten zur Kreuzfahrtdinnerpartyuntermalung taugen könnte, ein bisschen Pop hier, jazziges Flair dort, Bossarhythmen hüben, Foxtrottswing drüben. Alles tänzelt, kann sich aber ob der ach so gedankenschweren Texte gleichzeitig richtiggehend intellektuell, ja: philosophisch wähnen!
Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Menschen Kitty Hoff mögen werden. So charmant! So klug! Und so melancholisch! Seufz. Doch zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine Lücke. Keine Frage: Sie möchte eine Salonnière sein oder eine wilde Künstlerin aus den 20er-Jahre – verrucht, geheimnisvoll, nie ganz zu fassen. Und natürlich dramatisch, gefährlich, hintersinnig. Aber leider ist Kitty Hoff samt ihrer pseudohintergründigen „Minutendramen“ einfach nur brav und bieder – Abgründe gehen wahrlich anders. Und das sage ich jetzt nicht, weil ich verschnupft, halsschmerzig und entsprechend übellaunig bin, sondern weil diese Platte schlicht eine zeitvergeudende Zumutung ist.
Plattenkritik: Nikka Costa | Moon Harbour Vol. 3 | Kitty Hoff