Ghost Woman
Ghost Woman, ein Band-Projekt des kanadischen Songwriters, Sängers und Multiinstrumentalisten Evan Uschenko, gibt es zwar schon seit 2016. Nach ein paar Veröffentlichungen auf Kassette kam vor einigen Monaten das erste selbstbetitelte Album heraus, das flächendeckend auf Streaming-Plattformen und in Plattenläden erhältlich ist. Darauf spielt die Band psychedelischem Rock, zeigt Krauteinflüsse und überzeugt mit einem Retro-Analog-Sound, der sich wie ein perfekter Soundtrack zu einem Roadtrip durch Amerika anhört. Obwohl die Songs abwechslungsreich sind, wird beim Hören der Musik klar, dass Uschenko eindeutig von Bands wie Can oder Jefferson Airplane und anderen psychedelischen Bands der Westküste beeinflusst wurde.
Auf dem ersten Song „All the Time“ spielt eine mit Echo-Effekten beladene E-Gitarre ein Akkord-Motiv, das den Song strukturiert. Uschenko singt mehrstimmig über das Motiv und wird immer wieder durch eine zweite Solo-Gitarre unterbrochen. Das Stück schlängelt sich mit zurückgenommenen Drums und Bass immer weiter und hat durch das dezente Spiel etwas Unvoreingenommenes und Unprätentiöses.
Auf „Dead & Gone“ hingegen geht es wilder zu. Hier wird das lässige Gefühl von „All the Time“ von einem vibrierenden Stakkato-Bass und polterndem Schlagzeug abgelöst, was an Krautrockbands der 70er-Jahre erinnert. Der Gesang fliegt einem dabei mit einer gewaltigen Portion Echo um die Ohren, bei dem fortschreitenden Groove des Songs kann man sich vorbeiziehende Landschaften während einer Autofahrt nur allzu gut vorstellen.
Auf dem darauffolgenden Song „Along“ geht’s mit einem Gitarrensolo am Anfang in Schellenring-Begleitung und einem vollen Band-Sound eher klassisch rockig zu. Auch „Clockwork“, ein Song mit Akustik-Gitarre, einer akzentuierenden E-Gitarre und mehrstimmigem Gesang von Uschenko klingt locker-leicht und wäre bestens für einen Roadtrip geeignet. Ghost Woman schafft es, dass man sich tatsächlich in eine andere Zeit zurückversetzt fühlt – besonders für Liebhaber von Musik der 60er- und 70er-Jahre ist das Album ein Muss!
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Fievel Is Glauque – Flaming Swords
Die Zusammenarbeit von Multiinstrumentalist Zach Philips und Sängerin Ma Clément ist nicht neu. Der New Yorker Songwriter und die in Belgien wohnende Sängerin brachten unter dem Namen Fievel Is Glauque bereits Kassetten und EPs heraus, die eine Mischung aus Live-Mitschnitten und Demos von Feel-Good Songs mit klassischen Jazz- und Rock-Elementen darstellen.
Ihr neues, erstes offizielles Album Flaming Swords ist durch die professionelle Aufnahme im Studio cleaner im Sound – und musikalisch experimenteller. Hier wird eine ordentliche Portion Fusion-Jazz serviert, die man mit Seitenblick auf die bisherigen Veröffentlichungen so nicht erwartet hätte. Trotz experimenteller Herangehensweise und Komplexität klingen die Songs auf Flaming Sword gleichwohl nahbar und sortiert. Weil die insgesamt 18 Stücke nur knapp 37 Minuten währen, wird das Album zu einem energetischen Shot mit verschiedenen Stimmungen.
„Days of Pleasure“ ist zum Beispiel ruhig und schiebend im Wechsel. Wenn die Strophe noch ruhig und lieblich klingt, transportiert der Chorus mit wechselnden Harmonien, Wirbeln im Schlagzeug und Stakkato-Bläsern einen gefühlten Sog, dem man sich schwer entziehen kann.
Die Single „Save the Phenomenon“ hingegen ist ein eher ruhiger Vertreter, der von Ma Cléments Gesang sanft strukturiert wird. Ihre Stimme verschafft der Musik etwas Nahbares und leitet die Band durch die Strophen. Clément singt akzentuiert und wird von dem Schlagzeug in den Akzenten gedoppelt. Die anderen Bandinstrumente bleiben im Hintergrund und bekommen in der Bridge durch die Bläser einen Aufschwung. In der instrumentalen Strophe, mit der das Stück endet, kommt besonders die Gitarre mit ihren schnellen Akkordwechseln ein eigenes Moment.
In dem auf französisch gesungenen „Boîte à Serpents“ ist der mittlere Sprech-Gesang-Part besonders hypnotisch. Anders als im hüpfenden Chorus zuvor, bei dem fast alle Instrumente auf die Hauptzählzeiten spielen, fließen hier die Töne der Saiteninstrumente und Orgel wie aus einem Guss. Herrlich!
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Benjamin Clementine – And I Have Been
Über fünf Jahre kann viel passieren – so auch bei Benjamin Clementine, der nun sein neues Album And I Have Been veröffentlicht hat und darauf lyrisch seine Erfahrungen und Gefühle durchklingen lässt. Die neue Musik des Songwriters ist wieder eine interessante Mischung aus Baroque-Elementen, Klassik, Pop und Jazz. Bestimmte Ereignisse, wie die Geburt seines Sohnes, haben ihn über Liebe und Identität nachdenken lassen. In einem Interview erwähnte Clementine, dass die vergangenen Jahre einiges an Trauma in seinem Leben sichtbar gemacht hätten, was er mithilfe von Therapien verstehen konnte. So auch sein zwiespältiges Verhältnis zu seinen eigenen Wurzeln, auf die er mehrfach eingeht.
Das Album beginnt in „Residue“ zum Beispiel mit den Worten „Fire in my Nubian eyes, Is everything spiritual“. Dabei wird nicht nur seine Poesie deutlich, sondern kommen auch seine Nubischen Wurzeln zum Tragen – ein Volk, das im heutigen Sudan lebt. Der Song an sich ist eine Mischung aus Kammermusik, Pop und ist von den dramatisch langgezogenen Gesangsmomenten von Clementine bestimmt. Der Musiker beschreibt hier das durchlebte Gefühlschaos, nachdem er eine Frau traf.
Auf dem Song „Genesis“ wird sein mächtiger Gesang von einem beschwingten Klavier-Motiv und einer gurgelnden Orgel-Melodie begleitet. Er singt wiederholt die paradoxen Worte „we all are trapped in free“ und geht auf eine scheinbar unmögliche Freiheit ein. Dabei ist seine Stimme durchdringend und mächtig.
Clementines poetischer Ausdruck und sein charakteristischer Gesang verschafften ihm mit seinem ersten Album nach Jahren als Pariser Straßenmusiker 2015 den begehrten Mercury Prize. Doch auch nach dem Preis und der Aufmerksamkeit geht Clementine einen insbesondere künstlerischen und nicht hauptsächlich kommerziellen Weg. Obwohl wahrscheinlich alle großen Labels mit ihm zusammenarbeiten wollten, ist sein neues Album selbst produziert, auf dem eigenen Label veröffentlicht und ohne große Marketingkampagne herausgekommen. Denn was so gut ist, wird sich herumsprechen und seine Hörer*innen finden!
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