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Februar 2009 / Victoriah Szirmai
Taumelnde Tango-Tempi & eckige Elektro-Echos:
The Gotan Project / Gotan Project Live
Nachdem die Redaktion so freundlich war, mir auf meinen dann doch nicht mehr als dezent zu bezeichnenden Zaunpfahlwink hin ein paar wirklich schöne PC-Lautsprecher zu spendieren, mussten diese natürlich mit etwas ganz Besonderem eingeweiht werden. Und was bot sich da eher an als die langerwartete Live-Scheibe des Gotan Projects, vor dessen Breaks, Beats und Bässen gewöhnliche Boxen schon mal verschämt kapitulieren müssen? Das Ergebnis konnte sich hören lassen, frohe Autorin (die Boxen!), froher Autorinnenhund (der leckere Pappkarton!), tolle CD (die leidenden Nachbarn). An wem das Gotan Project bislang aus welchen Gründen auch immer spur- bzw. tonlos vorbeigegangen ist, der kann durchaus mit Gotan Project Live den Einstieg in die Welt des Elektrotango wagen – und während andere immer noch mit der musikalischen Paarung von argentinischem Tango und westlichem Elektro fremdeln, sie gar als „wilde Ehe“ (kulturnews.de) bestaunen, viel lieber diesen längst überfälligen Live-Mitschnitt eines dann doch nicht mehr gar so neuen Genres genießen.
Zugegeben, im Jahre 2001 war der elektronische Tango des – nach syllalbischer Verdrehung des Wortes Tango benannten – Gotan Projekts eine kleine Sensation, kannte man die Musik vom Río de la Plata hierzulande doch vor allem in romantisch verklärter Form, die in erster Linie den diffusen Sehnsüchten übersättigter Besserverdiener, feinfühliger Intellektueller und nicht mehr ganz junger Akademiker eine Projektionsfläche bot, verkommen zur Einreihung in die Produktpalette der Unterhaltungsindustrie, die dem Tango-Manifest Raúl Linarez’ zufolge „die Langeweile des Bürgers vertreiben und seine innere Leere ausfüllen soll“. Haftete dem Tango als ideale Musik für Mittelstands-Partys, Tanzschulen und Nostalgie-Gefühle in den 1980er-Jahren noch ein leicht verstaubtes Image an, verschob sich der Fokus im Laufe der Zeit auf die bloße Funktion des „erotischen Tanzes der einsamen Großstädter“ als Vehikel zum Gefühl an sich: Wer über keine nennenswerte eigene Gefühlswelt verfügte, der gab sich einfach im Tango seiner Pseudo-Emotionalität hin. Besonderes Augenmerk lag in diesem Zusammenhang auf Werten wie Tradition und „Unverfälschtheit“, sodass es nicht weiter verwundert, dass ein modernisierender, gar elektronischer Eingriff in den Tango aus dieser Perspektive nachgerade als Sakrileg erscheinen musste.
Gänzlich unbeeindruckt von jeglichem Dünkel dieser Art bastelten der Franzose Philippe Cohen Solal, der Schweizer Christoph H. Müller und der Argentinier Eduardo Makaroff ihre schon bald unter dem Etikett NuTango firmierende Musik, deren Siegeszug durch die Clubs dies- und jenseits des Atlantik schon bald nicht mehr aufzuhalten war und solch gelungene Schöpfungen hervorbringen sollte wie beispielsweise die argentinische Kompilation Bajafondo Tangoclub (2002), Martin Morales’ schlicht Tango Club betitelte Auslese eines „exciting new Tango electronic movement“ (2004) oder die Tango Chillout-Sessions (mehrere Volumes, 2008). Nichtsdestotrotz blieben die Pioniere vom Gotan Project immer die Platzhirsche des Genres.
Das Material von Live ist vor allem den Erfolgsalben La Revancha del Tango und Lunático entnommen, wird im Gegensatz zurreduziert-coolen Studioatmosphäre jedoch durch organische Klänge, geschuldet einer erweiterten Besetzung mit Klavier, Bandoneon, Sängern und Streichern, ergänzt. Gepaart mit dem leidenschaftlichen Gitarrenspiel von Makaroff, den Kunststückchen von Cohen Solal an den Turntables und dem Gefrickel von Müllers Laptop ist diese tanzbare Mischung Gotan für Einsteiger und Fortgeschrittene gleichermaßen. Wer noch dazu das Glück hat, über ein paar schöne Lautsprecher zu verfügen, bekommt fast den Eindruck, live dabei gewesen zu sein.
Plattenkritik: The Gotan Project | Thievery Corporation | Forteba