Dezember 2015 / Victoriah Szirmai
Sie nennt es Christmas Soul, dabei verbirgt sich auf der neuen Platte von Hammondorganistin Barbara Dennerlein lupenreiner Jazz – und der hat mit den üblichen um diese Zeit hektisch auf den Markt geworfenen Swinging-Christmas-Kollektionen herzlich wenig zu tun.
Zwar mag sich auch Dennerlein des klassischen Endjahresrepertoires von „Let It Snow“ bis „Silent Night“ angenommen haben, doch sorgt allein ihre massige Hammond B3 – ein 1934 erfundenes und 1973 zuletzt gebautes, elektromechanisches 200-Kilo-Trumm mit diversen Zugriegeln und Kippschaltern, Fußpedalen und einem Schweller zur Regulation der Dynamik sowie etlichen analogen Effekten und Percussion-Register – für einen charmanten Vintage-Appeal, der modernen Produktionen gänzlich abgeht. Apropos Produktion: Für die zeichnet der italienische Acid-Jazz-DJ Nicola Conte verantwortlich, der treuen fairaudio-Lesern schon 2008 auf Blue Note Trip Vol. 7 wohlig in die Gehörgänge gekrochen ist.
Christmas Soul eröffnet mit einem von drei Gastauftritten der britischen Souljazzchanteuse Zara McFarlane, die mit ihrer retrojazzigen Stimme einfach alles singen kann – so auch Weihnachtslieder. Und während sich Dennerleins Hammond langsam warmwabert, sorgt ein Flötensolo des 2001 zum besten Jazzmusiker Schwedens gewählten Magnus Lindgren nebenbei für ein bisschen Ipanema-Appeal. Trotz des prominenten „Let It Snow“-Motivs lässt schon der zweite Track ob seiner Schlagzeugbesenjazzanmutung die Weihnachtsthematik komplett in den Hintergrund treten: Alles hier ist sehr entspannt, sehr unaufgeregt, was auch für die Soli gilt. Mit dieser Musik würde man selbst ein Jazzmatineepublikum nicht erschrecken, alldieweil sie zu wertvoll ist, bloßer Soundtrack zum X-Mas-Brunch zu sein.
Toll der erst schleppend schlappende, dann nervös wippende Groove von „Blue Christmas“, welches den Beweis erbringt, dass wir es hier mit einem Jazz-Jazz-Album erster Güte zu tun haben, das sich eher zufällig des Weihnachtsrepertoires angenommen zu haben scheint. So entführt Dennerleins Vorliebe für Percussionklänge und Flötentöne auf „We Three Kings“ einmal mehr in südamerikanische Gefilde, wo diese Platte eine adäquate Heimat gefunden hat. Zumindest südeuropäisches Flair herrschte während der Aufnahmen, für die die Münchnerin nach Bari reiste – bei zweiunddreißig Grad, was vieles erklärt. Mit einem grandiosen Solo zu Beginn von „B’s X-Mas Blues“ lässt sie dann auch endlich die bislang mühsam gezähmte Orgel von der Leine, doch auch dieses Stück entpuppt sich letzten Endes als tiefenentspannt-gemütlicher Stampfer. Und vielleicht ist genau das die Essenz davon, was Weihnachten eigentlich sein sollte: absolute Unaufgeregtheit.
In diesem Modus verweilt auch das percussiondominierte „Litte Drummer Boy“, das Gelegenheit gibt, einige der 250 Millionen möglichen Soundkombinationen der B3 zu würdigen. Und irgendwann packt es einen hier dann doch: Man wippt mit dem Kopf, zuckt mit dem Rumpf, tappt mit dem Fuß, rudert mit den Armen, kurz: groovt zu diesem dank Bonny M. zu Unrecht in Ungnade gefallenen Stück, das durch Barbara Dennerlein eine vollständige Rehabilitation erfährt. Tiefenentspannt wird’s wieder, wenn der angenehmerweise auf jegliche Jingle-Bell-Atmosphärik verzichtende „Sleigh Ride“ zum Tag am Meer gerät oder der „Christmas Song“ dank Zara McFarlane einen Hauch eleganten Fünfzigerjahrebossanovas anstatt des im Song latent angelegten Hollywoodkitsches verströmt.
Und dann wieder: Diese Orgel, diese Klänge! Eine helle Freude auch Lindgrens Saxophon, das nichts von der pseudo-minimalistischen Kunst der Reduktion hält, sondern das spielt, was ein einstiger Herrscher mal als „verdammt viele Noten“ bezeichnet hat. Okay, er sagte nicht „verdammt“. Egal, denn so wie hier hätte ich mir „Oh Tannenbaum“ damals in der Schulaula wohl gefallen lassen! Aus dem Wohlfühlkosmos schert allein der Weihnachtsüberhit „Silent Night“ aus, den Dennerlein und ihre Begleiter behutsam gegen den Strich bürsten – die einzig legitime Methode, tausendmal Gehörtes zu spielen. Sagte ich schon: Diese Orgel, diese Klänge? Und dieser Saxophontausendsassa?
Von der Matinee direkt in den mitternächtlichen Club geht’s mit dem hektischen „Chim Chim Cherie“, und spätestens hier wird es Zeit, dem Finnen Abdissa Assefa an Congas und Percussion den ihm gebührenden Respekt zu zollen. Auf der Miles-Davis-Komposition „Blue Christmas“ oszillieren die McFarlane’schen Vocals zwischen fahrigem Scat-Gesang und breit ausgekostetem Bluesthema eilig hin und her, bis das dicke Hammondschiff mit „White Christmas“ befriedet – und abermals unter südamerikanischer Flagge segelnd – in den Zielhafen einläuft. Ein auch im Sommer hörbares und daher im besten Sinne Nicht-Weihnachtsalbum, das sich zwar nicht um die populären Themen herummogelt, sie jedoch elegant nur kurz aufscheinen lässt, um sich dem eigentlich Wichtigen zuzuwenden: dem Jazz.