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Neues aus der Klassik: Kantaten von Bach, mal wieder. Mozarts Requiem, mal wieder. Und Orchestermusik von Fauré und Poulenc – mal etwas anderes. Das alles in interessanten Einspielungen: mit dem jungen Countertenor Zoltán Daragó, dem jungen Ensemble Pygmalion oder dem Grandseigneur Michael Halász am Dirigentenpult. Und eines lässt sich vorwegnehmen: Alle hier vorgestellten Produktionen sind klanglich ohne Fehl und Tadel, sind gelungenes Audiophilen-Futter. Aber das ist ja nicht alles. Wie steht es um die musikalischen Qualitäten? Sind hier aufschlussreiche Neuinterpretationen vorgelegt worden? Und wie steht es um den Repertoirewert? Mal hören …

Fauré, Poulenc und ein Low-Budget-Label

Ich bin ein Freund des Klassik-Labels Naxos, und ich glaube, dass es heute kaum noch als Billig-Label für zweitrangige Produktionen abgetan werden dürfte. Dass das auch völlig unangemessen wäre, zeigt exemplarisch die aktuelle Veröffentlichung mit Kompositionen von Gabriel Fauré (1845–1924) und Francis Poulenc (1899–1963).

Michael Halász - Aubade

Mitwirkende sind das Opernorchester aus Malmö unter Leitung des inzwischen 86-jährigen Michael Halász und der Pianist Romain Descharmes. Anderen Naxos-Freunden sind Orchester und Solist bereits aus hervorragenden Aufnahmen der Klavierkonzerte von Saint-Saëns bekannt.

Soweit die Papierlage. Doch was gibt es zu hören? Stücke, die bei uns eher unbekannt sind und selten aufgeführt werden. Angesichts der musikalischen Qualität dieser Werke ist das unverständlich. Beginnen wir mit dem Klavierkonzert (1949) und der Tondichtung „Aubade“ („Morgenständchen“, 1929) von Poulenc.

Sein Klavierkonzert ist herrlich farbig, tänzerisch, melodiös, lärmend, etwas oberflächlich, etwas angeberisch, etwas tiefsinnig – ein chaotischer musikalischer Reigen mit viel Ausstrahlung! Poulenc beschrieb seine musikalische Haltung einmal mit den Worten: „Ich habe keine Prinzipien, mein Credo ist der Instinkt.“ Dieser Instinkt muss ihn überall hingeführt haben: auf den Montmartre, ins Moulin Rouge, nach Versailles, auf den Markt und ins Lichtspielhaus, an die Seine, in den Louvre usw. Sein Konzert klingelt, lärmt und tönt chromatisch, frech klischeehaft, selbstbewusst und boulevardesk. Ein fröhlicher Jahrmarkt der musikalischen Eitelkeiten – mal Filmmusik, mal Folklore.

Die „Aubade“, eine Ballett-Komposition, wirkt demgegenüber etwas reduzierter und konzentrierter, schlägt nicht den ganz großen Bogen. Aber auch hier wagt Poulenc die musikalische Inszenierung, den Wandel der Kulisse, den Farbwechsel. Das Orchester und der Pianist behalten bei all dem urbanen Trubel die musikalische Übersicht und liefern eine exzellente Leistung ab. Der Klangkörper aus Malmö musiziert luftig, transparent, stilsicher und mondän, mit viel Gefühl für das musikalische Detail und das klangliche Panorama. Das kann man nicht viel besser machen.

Und Romain Descharmes liefert erneut ab: zupackend, akzentuiert und scharfsinnig. Gleichwohl wird hier Teamwork in Perfektion geboten. Naxos-typisch ist auch die ausgesprochen hohe Qualität der Produktion. Klanglich überzeugt das ganze Album durch Präzision, Tiefenschärfe, Dynamik und Auflösung.

Das kommt auch den Kompositionen von Gabriel Fauré zugute. Seine „Ballade“ (1877–79) und seine „Fantaisie“ (1918) sind hiesigen Hörern weniger geläufig als das bekannte Requiem von 1888 und seine „Pavane“ von 1887, aber keineswegs weniger hörenswert. Freilich, es geht hier deutlich sortierter zu als in den lebensvollen, drallen und übermütigen Kompositionen von Poulenc.

Kein Stimmengewirr mehr, eher ein kultivierter Diskurs in einem Pariser Salon, ein Diskurs zwischen Piano und Orchester. Wo Poulenc mit dickem Pinsel malt – pastös, grellbunt, mit muskulösem Unterarm –, erweist sich Fauré als konzentrierter Feingeist, der mit feinem Strich arbeitet. Sein Optimismus, der auch das berühmte Requiem prägt, hebt ihn ab vom enervierten Pointillismus Debussys und dem skeptischen Impressionismus Ravels.

Man darf sich bei Naxos erneut bedanken für das verlässliche Aufspüren von musikalischen Perlen, die in der Aufführungs- und Aufnahmepraxis bislang eine zu geringe Rolle gespielt haben.

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Mozarts Requiem und komische Unterbrechungen

Über Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) hat Fauré einmal gesagt: „Mozarts Musik ist besonders schwierig zu interpretieren. Ihre bewundernswerte Klarheit erfordert absolute Reinheit: Der kleinste Fehler sticht darin hervor wie Schwarz auf Weiß. Es ist Musik, in der alle Noten gehört werden müssen.“ Lässt die aktuelle Neueinspielung von Mozarts Requiem durch das Ensemble Pygmalion dieses Hören zu? Hat sich das Ensemble unter Leitung ihres noch recht jungen Dirigenten Raphaël Pichon um Reinheit bemüht? Das habe ich mir angehört.

Raphaël Pichon - Requiem

Doch zunächst zu den Fakten: Das Requiem ist das letzte Werk von Mozart. Er starb während der Komposition; das Werk blieb unvollendet. Nach Mozarts Tod wurde es von seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr (1766–1803) „fertiggestellt“. Es gibt zahlreiche Bearbeitungen von Mozarts Fragment, aber diese Komplettierung ist die bekannteste. Sie liegt auch der vorliegenden Neuaufnahme zugrunde.

Allerdings hat Raphaël Pichon seine Interpretation um andere Teile aus Mozarts kirchenmusikalischem Schaffen ergänzt; er hat sie gleichsam als Zwischenspiele im Requiem untergebracht. Da stellt sich die Frage, zu welchem Zweck? Den wohlklingenden Ausführungen der Marketing-Abteilung ist nichts Plausibles zu entnehmen. Und tatsächlich sind die „Ergänzungen“ auch nicht plausibel, weder musikalisch noch mit Blick auf die Auslegung von Mozarts Komposition. Mein Eindruck ist, dass man den geringen Repertoirewert einer weiteren Einspielung des Requiems durch diese Beistell-Leistungen erhöhen wollte. Aber das hat nicht funktioniert. Selbst dem unkundigen Hörer fällt auf, dass hier eher willkürlich etwas in den musikalischen Raum hineingestellt wurde. Das lässt die Aufnahme konzeptionell erratisch, ja wunderlich wirken. Davon abgesehen: Wie steht es um die musikalischen Qualitäten dieser Neueinspielung? Da darf man sehr beruhigt sein; das junge Ensemble versteht sein Handwerk und liefert eine im Grundsatz tadellose Darbietung ab. Das gilt auch für den ausgesprochen transparenten und luziden Klang dieser Aufnahme – ein schönes Angebot an Audiophile.

Die Interpretation des französischen Ensembles zeichnet sich durch eine eher hell timbrierte Exposition aus. Besonders positiv fallen dabei die Sopranistin Ying Fang und der Tenor Laurence Kilsby auf – sie durch eine glockenhelle, sehr klangschöne Stimme, er durch eine jungenhafte Präsenz und stimmliche Elastizität. Das sorgt für Trennschärfe, Kontur und Strahlkraft. Chor und Orchester musizieren ähnlich souverän und auf demselben Niveau; das Offene und Lichte der Interpretation erfährt eine schöne Bestätigung. Dem Ensemble ist im Ergebnis eine sehr ästhetische Auslegung gelungen.

Allerdings nimmt genau das dem Requiem auch etwas von seiner existenziellen, zumindest aber expressiven Kraft. Das fällt auf im direkten Vergleich mit der Einspielung des Orchesters MusicAeterna unter ihrem umstrittenen Dirigenten Teodor Currentzis von 2010. Sicher, der pflegt eine etwas zwanghafte Attitüde, alles gegen den Strich zu bürsten, aber seine Exegese des Requiems weist deutlich mehr emotionale Dynamik, mehr expressives Momentum, mehr Schattierungen und mehr Engagement auf. Da gibt es Höhenflüge und tiefe Stürze, da knarrt und poltert es, da geht es um Trauer in dunklen Räumen, um seelische Abgründe und einsames Hoffen.

Das Requiem von Currentzis ist größer und tiefer als das von Pichon; es hat mehr Energie, mehr Erde, mehr Substanz. Bei aller musikalischen Virtuosität ist die Auslegung des Ensembles Pygmalion etwas statisch, etwas eindimensional. Currentzis’ Ansatz sorgt für viel mehr Bühne, Tiefe und Dramatik. Das ist unmittelbar hörbar. Die aktuelle Einspielung besticht durch Artikulation, Präzision und Akkuratesse, aber sie bleibt ein wenig blutleer. Was Pygmalion einst in der griechischen Mythologie gelang – seine Schöpfung Galatea zum Leben zu erwecken –, das gelingt dem Ensemble Pygmalion nur zum Teil. Und die neu eingespielten Intermezzi bestätigen diesen Eindruck. Mit Blick auf Fauré wäre daher festzuhalten: Klarheit ja, Reinheit ja, aber es fehlt an expressivem Engagement und emotionaler Tiefe.

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Bach-Kantaten und ein überheblicher Countertenor

Wie steht es damit beim jungen Wunderknaben Zoltán Daragó, dem aus Budapest stammenden Countertenor? Der hat gemeinsam mit dem routinierten Ensemble Les Talens Lyriques unter der Leitung seines Gründers Christophe Rousset elf Kantaten von Johann Sebastian Bach (1685–1750) neu aufgenommen, darunter die bekannte Kantate „Vergnügte Ruh‘, beliebte Seelenlust“ von 1726.

Zoltan Daragó - Arias for Alto

Forschungsdesiderate werden hier nicht geschlossen; der Repertoirewert liegt wie im Falle von Mozarts Requiem nahe Null. Mit den großen Projekten von John Eliot Gardiner oder Masaaki Suzuki ist das Kantatenwerk Bachs in wesentlichen Teilen erschlossen und interpretiert worden, mit vielfach herausragenden Ergebnissen. Da braucht es einen speziellen Elan und Ehrgeiz für so eine Neuaufnahme.

Nun, Zoltán Daragó verfügt tatsächlich über herausragende stimmliche und sängerische Talente. Und er setzt diese gekonnt, ja artistisch ein. Stimmlich erinnert er sehr an den jungen Philippe Jaroussky; er verfügt über eine eher jugendlich gefärbte, geschmeidige, klangschöne und elegant modulierte Stimme, die im ganzen Vortrag stets unangestrengt und frei klingt. Dieses Potenzial gibt ihm ästhetische Freiheiten. Und die spielt er fast mutwillig aus.

Wo seine Kollegen ein dezentes Legato pflegen, dekoriert Daragó mit flirrendem Vibrato. Nicht weil es erforderlich wäre, sondern weil er es kann. Diese Virtuosität übt Daragó über alle Kantaten hinweg aus – mit fast unverschämter Leichtigkeit. Schön, könnte man jetzt beschließen, das sei doch alles recht lobenswert. Wenn seiner Artistik nicht etwas Außermusikalisches anhaften würde: Prätention, Angeberei, Überheblichkeit.

Denn man merkt es seinem Vortrag allzu oft und allzu sehr an: Es geht weniger um eine Auslegung der Bach-Kantaten als vielmehr um die Demonstration des eigenen Könnens. Damit fällt Daragó hinter Jaroussky zurück, der einen Teil von Bachs Kantaten ebenfalls bereits vertont hat (im Album „Bach Telemann Sacred Cantatas“ von 2016). Jaroussky standen seinerzeit die gleichen stimmlichen Mittel zur Verfügung wie Daragó heute. Aber er hat sie in den Dienst der Interpretation gestellt, nicht in den der Zurschaustellung der eigenen Virtuosität. Daher gelang Jaroussky auch eine ganz andere Vertiefung in die barocke Religiosität und Philosophie als Daragó, der die Bach-Kantaten lediglich als Mittel zum Zweck nutzt.

Viele Klassik-Rezensenten pflegen die Unsitte, bei einem nicht durchweg gelungenen Vortrag von Gesangs-Solisten auch das „begleitende“ Orchester etwas mäkelig zu betrachten. Das finde ich immer ein wenig billig. Und jetzt stimme ich in diesen dusseligen Choral ein. Heißt: Auch das in Sachen Barock hochkompetente Ensemble von Christophe Rousset findet auf diesem Album gar nicht ins Spiel. Etwas topfig, etwas behäbig im Vortrag, ohne Elan oder Esprit. Fast scheint es, als wollte man dem jungen Ausnahmetalent den Vortritt lassen.

Dagegen spricht aber, dass Solist und Orchester sich immer wieder ins Gehege kommen, einander im musikalischen Gedränge, das gar nicht nötig wäre, zu nahekommen und den Halt verlieren. Fast so, als ginge es hier darum, wer besser zu hören ist. Wie es anders geht, vermittelt erneut Jarousskys Album von 2016. Der französische Countertenor und das Freiburger Barockorchester harmonieren in einer Art und Weise, die man bei der hier in Rede stehenden Einspielung vermisst.

Im Ergebnis muss man diesem Album bescheinigen, dass es trotz der Talente und Kompetenzen aller Beteiligten nicht recht über einen Übungsvortrag hinausgeht und an der exzessiven Virtuosität des talentierten Countertenors scheitert.

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BTB - Vertrieb von Western Electric

Über die Autorin / den Autor

Equipment

Digitale Quellen: D/A-Wandler: Musical Fidelity M6sdac CD-Player: Musical Fidelity M6cd, Sony CDP XA 5 ES, Sony CDP XA 7 ES, Sony SCD 555 ES Streamer: WiiM Pro Plus, Sonos Port

Vollverstärker: Musical Fidelity M6si, Akai AM 75, harman/kardon HK 1400 und PM 665 Vxi, Sansui AU 919

Lautsprecher: Dynaudio Contour 20, Harwood Acoustics LS3/5a

Kabel: Lautsprecherkabel: Reson LSC NF-Kabel: Kimber PBJ WBT-147, Audioquest Z1, Oehlbach NF 14 Master X Digitalkabel: Audioquest Cinnamon RJ/E Ethernet, Oehlbach NF 113 D Netzkabel: Oehlbach Powercord C13 Netzleiste: Oehlbach Powersocket 907 MKII

Zubehör: Stromfilter: Dynavox HiFi-Netzfilter X4100S Sonstiges: Doppelsteckdose Furutech FP-SWS-D (Wandeinbau)

Sonstiges: Lautsprecher-Ständer von Mission Audio

Größe des Hörraumes: Grundfläche: 32 Quadratmeter Höhe: 3,80 Meter