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Kimber Kable

Marcus King unterstreicht mit seinem Solodebüt El Dorado, dass er vom Geheimtipp zum Anwärter auf die Thronfolge im soulbefeuerten Southern Rock aufgestiegen ist. Bei Henrik Freischlader hingegen steht nicht der Namensgeber allein im Mittelpunkt. Der Star des Abends ist die Band, die sich auf Live 2019 als harmonische Einheit präsentiert.

Marcus King – El Dorado

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El Dorado heißt das erste Soloalbum des jungen Amerikaners Marcus King. Der Titel spielt auf den imaginären Ort eines mythischen Paradiesgartens an – und ein solcher ist Marcus Kings Solodebüt für Fans des soulerhitzten Southern Rock. Eigentlich aber ist der Albumtitel weitaus profaner; es ist der Name seines geliebten Cadillacs, neben dem Marcus King auf dem Cover posiert.

Wer aber nun meint, King sei einer jener jungen Americana-Apostel, die mit Lasso und Glimmstängel in den Mundwinkeln Nostalgiker einfangen, hat sich beim Fährtenlesen ordentlich vertan. Denn der gerade mal 23-Jährige ist der Kopf der nach ihm benannten Marcus King Band, die sich seit einigen Jahren und mittlerweile drei Alben sowie einer EP anschickt, an die Spitze des Southern Rock aufzusteigen. Mit emotionsgeladenen Soulingredienzen, heißem, bläserunterstütztem Funk, kräftig geräuchertem Blues und viel locker groovendem Südstaaten-Laid-Back-Rock hat die Band mit Herzblut und unzähligen Auftritten einen kometenhaften Aufstieg hingelegt. Der von Warren Haynes (Gov’t Mule) geförderte Wunderknabe Marcus King ist ein Gitarrengott, der abgefahrene Licks und atemberaubende Soli locker aus dem Handgelenk schüttelt – damit ist aber nur ein Teil seiner vielen Talente beschrieben. Denn bei ihm geht es nicht um technische Virtuosität, sondern um Ausdruck. Und genau das unterstreicht seine erste Soloplatte El Dorado mit zwölf kleinen Meisterstücken.

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Allein die Gitarrenarbeit lässt manchen Genrekollegen vor Neid erblassen, aber sie ist hier nur Beiwerk. Denn Marcus King setzt mit seinem gereiften Gesang noch eins obendrauf. Der aus Greenville (South Carolina) stammende Musikersohn hat mit Anfang 20 bereits so viel Reife, dass er seinen emotionsgeladenen, oft um Sehnsucht, Trauer und Liebe kreisenden Texten viel Tiefe verleihen kann – mit samtweichem Tenor in den souligen Nummern und Reißnagelkehle in den heiseren Verzweiflungssongs. Diese vielen Schattierungen haben auch Dan Auerbach (The Black Keys), den Produzenten dieser Scheibe, fasziniert. So ist in Auerbachs Easy Eye Studio in Nashville zusammen mit Soul- und Countrykoryphäen wie Gene Chrisman (Drums), Dave Roe (Bass) oder Bobby Wood an den Tasten eine Platte entstanden, die zu den Highlights des Jahres gehören wird. (Und nebenbei untermauert sie Auerbachs Spürsinn für großartige Talente – man denke da beispielsweise an das grandiose Debüt von Yola im letzten Jahr.)

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Während die Arrangements der Marcus King Band das für Improvisationen offene Jam-Geflecht der Kernband mit funkigen Bläsern anreichern und so zu opulenten, dicht gefügten Klangstrukturen gelangen, geht Marcus King solo in die andere Richtung: Sparsamkeit und Konzentration als Ideal. So atmen diese zum größten Teil tief im Soul der 70er-Jahre gründenden Songs eine klangliche Weite, die King und Auerbach durch geschickt eingesetzte räumliche Tiefenstaffelung von Gesang, Band und gospeligem Frauenchor im Hintergrund ausfüllen. Manchmal ergibt sich der Eindruck, die präsente Stimme im Vordergrund werde von weit entfernten, wie im Nebel verhangenen Chorstimmen nach vorn gespült („Wildflowers & Wine“). Was aber Marcus King hier mit Ausrufezeichen, fett gedruckt und dreimal unterstrichen deutlich macht, ist sein immenses musikalisches Können auf allen Gebieten: Songwriting, Gesang, Gitarre, Arrangement. Er ist bereits in jungen Jahren mit der von ihm selbst als „soul-influenced psychedelic rock“ bezeichneten Musik den Großen der Vergangenheit dicht auf den Fersen.

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Zwischen Southern Rock, Blues, Soul, Funk, frühem R&B, Jazz und etwas Country bewegt sich Marcus King traumwandlisch und dabei frappierend stilsicher und geschmackvoll. Vom verspielten, im Refrain groß auftrumpfenden Soul („One Day She’s Here“) kommt er mühelos zu rotzigem Rock („The Well“, „Say You Will“) oder luftig-leichten Country-Songs wie „Sweet Mariona“. Doch im Mittelpunkt steht auf El Dorado der glühende Soul alter Tage, dem King mit seiner einfühlsamen Stimme und kompaktem Songwriting neues Leben einhaucht. Und trotzdem wirkt er nicht wie eine Reinkarnation, sondern steht mit einem Fuß ganz im Jetzt und mit dem anderen tief in den amerikanischen Roots-Traditionen jener goldenen Zeit, in der Marcus Kings Cadillac Eldorado gebaut wurde. Man wird von King noch viel hören – ob solo oder mit Band, er ist eine Ausnahmeerscheinung. Das ist nicht nur Hoffnung, sondern Gewissheit.

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Henrik Freischlader Band – Live 2019

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Im Bluesrock trifft man nicht so häufig auf Künstler, die immer wieder neue Besetzungsformen ausprobieren. Der Gitarrist, Sänger und Produzent Henrik Freischlader ist da eine Ausnahme. Dieses Allroundtalent bringt sich mit schöner Regelmäßigkeit in neue Bandkonstellationen, um seine Kreativität auf neue Wege zu lenken. So hat er im Vorfeld seiner letzten Studioplatte Hands On The Puzzle mit Marco Zügner einen Saxophonisten mit ins Boot geholt und damit dem Album eine deutlich jazzigere und funkigere Seite verpasst als den Vorgängern. Dieses Boot ist nun mit den neuen Songs erfolgreich durch die Lande geschippert und hat an einem Abend in Zülpich angelegt. Das dortige Konzert, bei dem musikalisch – bis auf technische Anlaufschwierigkeiten, die Freischlader gewohnt launig kommentiert – einfach alles gepasst hat, wurde mitgeschnitten und liegt nun unter dem schlichten Titel Live 2019 auf Doppel-CD und Dreifach-Vinyl vor.

Freischlader führt mit Ansagen, in denen immer wieder sein schelmischer Humor aufblitzt, durch ein Programm, das neben Höhepunkten der letzten Platte auch älteres Material sowie drei Cover-Songs enthält, darunter als krönenden Abschluss „I Love You More Than You’ll Ever Know“, das auch von Freischladers Idol Gary Moore mit wimmernder Gitarre oft zum Showstopper gesteigert wurde. Und auch Henrik Freischlader brachte das Publikum damit zum Weinen – ich habe es beim Freiburger Konzert selbst erlebt.

Neben funkigem Groove („Community Immunity“) fallen vor allem die jazzigen Untertöne auf, die Marco Zügner am Saxophon im Vergleich zur Studioplatte noch weiter nach oben spült. Dass dieses Quintett eine wirkliche Einheit ist, merkt man vor allem daran, dass die Soli hier nicht zu ausgedehnten Einzelvorstellungen werden, sondern die Musiker sich immer wieder die Bälle zuwerfen. Was da zwischen Henrik Freischlader, Marco Zügner, Roman Babik (Tasten), Armin Alic (Bass) und Moritz Meinschäfer (Drums) abgeht, ist ein wirklicher musikalischer Austausch. Natürlich steht Freischlader mit seinem Bariton und mitreißenden Soli an der Gitarre im Mittelpunkt. Aber er beansprucht nicht das Scheinwerferlicht. Die anderen dürfen sich nach Lust und Laune solistisch austoben und ihre musikalische Klasse unter Beweis stellen – wie auch das mitsingende Publikum, etwa in „Master Plan“. Die Band quillt in den fetzigen Nummern vor Spielfreude über, doch ebenso emotional und eindringlich sind langsame, nach innen gewandte Titel wie „Mournful Melody“ oder „Where Do We Go“.

Henrik Freischlader Band

© Timo Wilke

Live 2019 ist eine beeindruckende Ergänzung der üppigen Liste an Liveplatten von Henrik Freischlader. Vor allem aber zeigt die im Übrigen klanglich wunderbar fein abgestimmte und ausgewogene Aufnahme, dass Freischlader mit diesem Quintett eine wirkliche Traumbesetzung beisammenhat. Egal, wohin es ihn mit wem auch immer in Zukunft noch führen wird: Diese Konstellation wird als eine Truppe in Erinnerung bleiben, die aus einem gemeinsamen Geist musiziert. Und damit die Erinnerung daran nicht verblasst und man sich an ihr immer wieder erfreuen kann, ist diese Live-Platte das Mittel der Wahl.

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