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Wer, angeregt durch unsere Mai-Ausgabe, ein Exemplar von Lovetune for Vacuum erworben hat, wird um die nach diversen Terminverschiebungen nun endlich veröffentlichte Marche Funèbre-EP von Soap&Skin nicht drum rumkommen, versteht sie sich doch als Ergänzungsband und Update der Lovetunes in einem. Was drauf ist? Zwei alte Bekannte des Frühlingsalbums, Thanatos und Marche Funèbre. Denn nur, weil diese schon einmal der Öffentlichkeit preisgegeben wurden, heißt es für die Sängerin, Pianistin und Schauspielerin wohl noch lange nicht, dass ihre Stücke damit auch abschließend fertig und fortan unantastbar sind. Hätte man sie gelassen, hätten ihr nicht solche lästigen Verpflichtungen wie Abgabetermine im Nacken gesessen, wer weiß, vielleicht würde die schnell als „Wunderkind“ titulierte Österreicherin immer noch an ihrem von Kritikern wie Käufern begeistert aufgenommenem Erstlingswerk feilen, ohne je einen Abschluss zu finden.
Eine Künstlerin, die halbe Ewigkeiten an ihrem Debüt frickelt, ist mir aber per se sympathisch. Schon immer suspekt waren mir jene Gestalten, die im Halbjahresrhythmus (oder von mir aus auch: alljährlich pünktlich zum Weihnachtsgeschäft) ihre Elaborate unter die Leute zu bringen trachten, denn seit wann richtet sich Kunst nach dem Kalender? Bei Soap&Skin jedenfalls nicht, ihre Kompositionen verweigern sich der Eindosung und damit Erstarrung; auch nach der Aufnahme im Studio leben sie fort und entwickeln sich weiter, geben Richtungen vor, an die sie damals vielleicht selbst noch nicht gedacht hatte. Eröffnet wird die EP vom Rachmaniow-beeinflussten Song Thanatos, der noch auf dem Debütalbum über die Menschheit kommt wie eine Naturgewalt und hier in neuem Zusammenhang mit einem Mal seine sanfte Seite zu zeigen scheint.
Marche Funèbre wird in der Neubearbeitung noch schwerer verdaulich als er damals schon war: Die Harmonien sowohl der elektronischen Streicher als des Gesangs sind bedeutend komplexer, ausgetüftelter; und zunehmend fügt die Musikerin der 9 Minuten und 13 Sekunden dauernden Version allerlei Störgeräusche hinzu, man wähnt sich abwechselnd auf einem Bahnhof, Abflugterminal oder in einer Funkzentrale. Das ist eher Collage denn Musik, verdeutlicht aber umso eindringlicher, dass es hier nicht um Menschen, nicht um Maschinen, nein, um menschliche Maschinen geht, die Trauer tragen, die stöhnen, seufzen und solcherart vermenschlicht schließlich beginnen, verstörende Botschaften auszustoßen.
Im Remix vom Hamburger DJ Koze, Nicht-Clubbern wohl vor allem bekannt durch seine Zusammenarbeit mit Max Goldt im Projekt Adolf Noise, jault über einem hypnotischen Trommelrhythmus plötzlich ein Tango-Bandeneon auf, erklingen asiatisch anmutende Laute. Hier wird der Marsch zu einem modernen Bolero, der sich, aller technoiden Elemente bereinigt, zu einer Fast-a-capella-Version des Titels intensiviert. Oder herunterschraubt, je nachdem. Koze führt den Marche Funèbre zu seinen Ursprüngen zurück, verkleinert ihn auf Kellerbar-Format, auf dass die einsamen Herzen dort unten auf andere Gedanken kommen.
Und dann wäre da noch ein Hidden Track, so versteckt, dass es bislang niemandem gelungen ist, ihn zu finden. Vielleicht aber gelangt er live ans Licht? Wir werden sehen.
Plattenkritik: Kim Sanders | Uncovered-Sampler | Soap&Skin