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Manchmal hat man Glück als Rezensent. Dann erscheinen Interpretationen, die die ganze Farbigkeit, Vielfalt und Unterschiedlichkeit klassischer Musik exponieren. So ein Glücksfall ist jetzt eingetreten. Nahezu zeitgleich sind zwei Einspielungen dreier Klavierkonzerte von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) erschienen. Das besondere Glück besteht darin, dass das wichtige 23. Klavierkonzert von 1786 hier in zwei Versionen vorliegt, die unterschiedlicher kaum sein könnten.

Khatia Buniatishvili – Wolfgang Amadeus Mozart, Klavierkonzerte Nr. 20 & 23

Die georgisch-französische Pianistin Khatia Buniatishvili ist eine auf den Konzertbühnen der Welt gern gesehene und auch in Deutschland geschätzte Interpretin von Klavierkompositionen. Gemeinsam mit dem hochdekorierten Ensemble Academy of St. Martin in the Fields hat sie Mozarts Klavierkonzerte Nr. 20 und 23 bei Sony Classical eingespielt. Der Klang dieser Aufnahme ist, typisch für Sony, exzellent: prägnant, luftig und transparent – eine Empfehlung für jeden Audiophilen.

Khatia Buniatishvili - Mozart

Was nun die Interpretation betrifft, sind klare Akzente gesetzt worden. Trotz der reduzierten Orchestrierung wird hohe sinfonische Kunst zelebriert – Mozart, dem Barockzeitalter kaum entwachsen, mit den Verzierungen des Rokokos wie mit dem neuen Stil der Empfindsamkeit spielend, gerät zum Klassizisten reinsten Wassers. Diese Auffassung führt zu einer ungemein frischen, stringenten und modernen Lesart. Mozart wird zum Zeitgenossen seiner Epigonen.

Und Khatia Buniatishvili fügt sich in perfekt in dieses Konzept ein. Wer sie ein wenig kennt, weiß, dass sie nicht dagegen gefeit ist, gelegentlich artistisch zu überdrehen. Hier aber stellt sie ihre Virtuosität in den Dienst der gemeinsamen Interpretation. Das hat Klarheit, Struktur, Klangfülle und Fundament – klassische Tonkunst im besten Sinne. Der Anschlag von Buniatishvili bedient ein reiches Spektrum an Obertönen, wirkt aber nicht spröde oder fragmentiert, sondern fließend, harmonisch, ja elegant.

Das 23. Klavierkonzert wird opulent, luxuriös serviert: In den elegischen Passagen mit großem Bogen, viel Luft und Räumlichkeit, in den leichteren Partien mit viel Elan und Zuversicht. Und Khatia Buniatishvili springt nicht dazwischen, keine Spur von vorlauter Prätention, sondern sie pflegt – ganz Salonkultur – eine vornehme Zwiesprache mit dem Orchester aus London.

Die Gleichzeitigkeit des Entstehungsdatums dieses Klavierkonzerts mit denen der drei Da-Ponte-Opern von Mozart (Le Nozze di Figaro; Don Giovanni und Così fan tutte) wird vom Ensemble mit atmosphärischer Finesse unterstrichen. So wirkt Mozarts Klaviermusik bisweilen tänzerisch, opernhaft, spielerisch – und dafür bringen alle Beteiligten viel Sinn und Talent auf. Der Vortrag besitzt große Selbstverständlichkeit, fast so etwas wie Lässigkeit und zugleich eine etwas übermütige Rokoko-Eleganz.

Sie merken es, lieber Leser, diese Aufnahme von Mozarts Klavierkonzerten macht Spaß! Bei aller Modernität und sinfonischen Energie wirkt das alles höchst angemessen, homogen, stimmig und stimmungsvoll. Kann man das besser machen? Vielleicht nicht. Dass es aber anders geht – ganz anders! –, zeigt das nächste musikalische Exponat.

Wolfgang Amadeus Mozart, Klavierkonzerte Nr. 20 und 23, Khatia Buniatishvili, Academy of St. Martin in the Fields, Sony Classical auf Amazon anhören

Kristian Bezuidenhout – Wolfgang Amadeus Mozart, Klavierkonzerte Nr. 19 & 23

Während Khatia Buniatishvili und die Academy of St. Martin in the Fields einen schwelgerischen, ausgelassenen und auch etwas großspurigen Mozart präsentieren, trägt der des Freiburger Barockorchesters die Spuren der zurückliegenden Epoche viel stärker an sich – dieser Mozart hat seine Wurzeln ganz im Barock. Für diese Sicht dürfte der Solist maßgeblich verantwortlich sein: Kristian Bezuidenhout, australischer Cembalist und Pianist mit südafrikanischen Wurzeln, ist ein Spezialist für die sogenannte historische Aufführungspraxis.

Kristian Bezuidenhout - Mozart

Das erklärt die Lesart der bei harmonia mundi veröffentlichten Einspielung: Hier herrscht eher barocke Kargheit denn empfindsamer Überschwang, eher ein aufgeräumtes Kammermusikorchester denn ein vollgestelltes Sinfonieorchester. Und so weiter. Die Unterschiede sind enorm. Bei identischem Notenmaterial. Am 23. Klavierkonzert lässt sich das exemplarisch veranschaulichen.

Ein Klassizist ist Mozart in dieser Einspielung ganz und gar nicht. Dafür wirkt der ganze Vortrag zu experimentell, zu skeptisch, zu tastend, zu sehr befangen zwischen Rückschau und Vorausschau. Die Revolution liegt in der Luft. Das feiert die Darstellung von Buniatishvili und ihren britischen Kolleginnen bereits; Bezuidenhout und das Freiburger Barockorchester indes verweilen noch in den Errungenschaften und Versäumnissen der zurückliegenden Dekaden. Der Musik wird hier allenfalls Evolution in kleinen Schritten zugetraut.

Aber auch das hat etwas ungemein Attraktives, denn Mozart wird uns hier gleichsam in einer Zeitkapsel angeboten: ohne grenzenlose Kapazitäten, ohne sinfonischen Aplomb, ohne Insignien von Modernität, partikular, mit offenen Enden, derb, ohne höfische Etikette. Dieser Interpretation fehlt alles Überschießende, Normative oder Anbiedernde.

Das Piano erinnert in seiner gebundenen Tonalität an seinen Vorläufer, das Cembalo; der Orchesterklang zeichnet sich durch starke Individuation der Instrumente aus und wirkt dadurch sehr konturiert und luftig. Das kommt dem Klang besonders entgegen – die harmonia mundi ist da ein verlässlicher Verlag: Die Aufnahme klingt durchweg schlank, detailreich, transparent und lässt bei Akkuratesse der Reproduktion musikalische Bruchlinien, die Mozart dem Zeitalter entnimmt, erkennen.

Trotz der zeitlichen Nähe der Kompositionen fehlt dieser Aufnahme die offenkundige Nähe zu den berühmten Da-Ponte-Opern. Sie wirkt wenig theatralisch oder opernhaft, eher noch würde man eine Nähe zu Mozarts geistlichen Werken vernehmen können.

Bei Buniatishvili und der Academy of St. Martin in the Fields wird aus der Vielstimmigkeit ein Klangpanorama, bei Bezuidenhout und dem Freiburger Barockorchester wird aus ihr die Vielstimmigkeit Weniger. Hier kündigt sich schon das überfüllte 19. Jahrhundert an – Edgar Allen Poes „Mann der Menge“ (1840) –, dort die vorsichtige Subjektivierung des 18. Jahrhunderts.

Und Bezuidenhout verleiht dem am Piano Klang und Ausdruck. Sein Spiel fungiert nicht als Beitrag zum sinfonischen Gesamtklang, sondern als Ausdruck eines Singulären. Er lässt es perlen, flimmern und glänzen, interessanterweise viel heller und brillanter als Buniatishvili, die ihr Piano etwas dunkler, bedeckter hält. Die Individuation erhält so ihren klanglichen Ausdruck; und der ist alles andere als platt harmonisch, er ist aufsteigend und rückwärtsgewandt, provokativ und skeptisch. Das Freiburger Barockorchester lässt dieser Lesart viel Raum, schafft einen Rahmen, der auch tonal den Zwischenraum und die Zwischenzeit veranschaulicht und in der musikalischen Exposition spätbarocker Ästhetik brilliert.

Welche der beiden Einspielungen, Deutungen, Interpretationen ist die bessere oder die historisch richtige? Sie merken es, liebe Leser, eine rhetorische Frage: Beide Varianten haben ihre unbedingte Berechtigung, ihren ästhetischen Charme und ihre exegetischen Qualitäten.

Wolfgang Hildesheimer, der kongenial begabte Biograph Mozarts hat geschrieben: „Mozarts Zeit war eine des Umbruchs: alte Ordnungen wankten, neue Ideale wurden propagiert. Doch Mozart selbst schien zwischen diesen Welten zu schweben, weder ganz dem Alten verhaftet, noch ein Prophet des Neuen.“ Und das macht beide Aufnahmen wertvoll.

Wolfgang Amadeus Mozart, Klavierkonzerte Nr. 19 und 23, Kristian Bezuidenhout, Freiburger Barockorchester, harmonia mundi

Christian Thielemann und Igor Levit – Johannes Brahms, Klavierkonzerte Nr. 1 & 2

Christian Thielemann am Pult der Wiener Philharmoniker und Igor Levit am Piano. Zwei Figuren aus der Klassik mit signifikant überdosierten Egos treffen aufeinander. Da darf man gespannt sein. Und mit viel energetischem Überschwang rechnen. Mit virtuosem Duell oder eindrucksvollen Synergien. Tatsächlich aber tut sich hier überraschend wenig. Und im Ergebnis auch deutlich zu wenig.

Christian Thielemann und Igor Levit - Brahms

Aber der Reihe nach: Es geht um eine aktuelle Einspielung der beiden Klavierkonzerte von Johannes Brahms (1833-1897) bei Sony Classical. Zwischen beiden Klavierkonzerten liegen über zwanzig Jahre; das erste wurde 1859 veröffentlicht, das zweite 1881. Beide Werke gehören fraglos zu den herausragenden Werken der Klavier- und Orchesterliteratur, auch wenn sie aufgrund ihrer Komplexität und ihrer sinfonischen Anlage einiges vom Hörer abverlangen. Die vorliegende Einspielung enthält außerdem einen ganzen Schwung an Brahms-Kompositionen für das Solo-Klavier. Alles in allem, mit Blick auf das Repertoire, also nichts Neues.

Da sollte die Interpretation ein paar frische Akzente setzen und die Frage nach der Berechtigung dieser Aufnahme vergessen machen. Nun, zunächst einmal kreuzen die Wiener Philharmoniker mit mächtiger Wagner-Tonnage vor der Küste meiner Schallwandler auf. Der Klang ist, eher untypisch für Sony Classical, etwas kompakt und verfügt über zu wenig Tiefe. Das gleicht der Klangkörper aus Wien ansatzweise mit einer überragenden Disziplin bei den Streich- und Blasinstrumenten aus. Ansonsten viel sinfonische Homogenität, allzu viel Karajan-Manier und nahezu kein Verständnis für die Ästhetik der Romantik.

Da wäre es hilfreich, wenn wenigstens vom Solo-Instrument ein Dementi käme, eines, das den exaltierten und inadäquaten Wohlklang bricht. Und tatsächlich: Mit den ersten Takten des Pianos keimt Hoffnung auf. Levit scheint der von Thielemann intonierten klassizistischen Überwältigungsästhetik etwas entgegensetzen zu wollen, etwas Sprödes, wenigstens einen Anklang von Romantik, Vereinzelung, Subversion, Einspruch gegen den Systemgedanken, Zweifel am Werk.

Allein, dieses anfangs mutmachende Ereignis ist reiner Zufall. Levit, der jede Komposition mit seiner eigenen weltanschaulichen Attitüde konfrontiert und bizarr überhöht, dem es bei jedem Auftritt stets um nichts Geringeres als die Conditio Humana geht, dieser Weltenretter am Klavier hat keine Idee, wie er mit den Klavierkonzerten von Brahms umgehen soll. Das gilt für beide Klavierkonzerte von Brahms. Zwar kommen sich Thielemanns sinnfreie Schönfärberei und Levits zaghafter Gestus gehörig ins Gehege. Da scheint so etwas wie ein musikalischer Disput zu entstehen, aber auch nur so lange, wie Levit bei dieser Laune bleibt.

Seinem Spiel fehlt es an Konsistenz und Stimmigkeit. Hier romantisch anmutende Grübelei und Versonnenheit, dort ein unmotiviert schroffer Anschlag. Das ist kein Elan, keine kraftvolle Interpretation, sondern zu willkürlich. Levit fühlt sich offenkundig in den solistischen Passagen wohler als im Zusammenspiel mit dem Orchester; am ehesten noch gelingen ihm tänzerische Partien. Aber die dialogische Anlage der beiden Klavierkonzerte hat er nicht erkannt oder schlicht ignoriert.

Zudem werden die Stücke sinfonisch vom falschen Karajan-Stil überformt. So, als seien die solistischen Partien nur lästiges Gezeter. In der Gesamttonalität wirkt alles poliert, strukturiert, klassizistisch modelliert – und entsetzlich langweilig. Dem ganzen Vortrag fehlt es an Spannung, Bedeutung und Inspiration. Im Ergebnis geraten die Kompositionen zu belanglosen Pflichtübungen, freilich mit viel Alarm am Markt platziert.

Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass man sich die Stücke für das Solo-Klavier anhören kann, aber man wird hier auch nicht viel mehr finden als einschläfernde pianistische Artistik. Und dabei wollen wir es bewenden lassen, allerdings nicht, ohne noch einmal mit besonderer Betonung auf die beiden wunderbaren Einspielungen von Mozarts Klavierkonzerten hinzuweisen …

Johannes Brahms, Klavierkonzerte Nr. 1 und 2, Igor Levit, Wiener Philharmoniker, Christian Thielemann, Sony Classical auf Amazon anhören

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Über die Autorin / den Autor

Equipment

Digitale Quellen: D/A-Wandler: Musical Fidelity M6sdac CD-Player: Musical Fidelity M6cd, Sony CDP XA 5 ES, Sony CDP XA 7 ES, Sony SCD 555 ES Streamer: WiiM Pro Plus, Sonos Port

Vollverstärker: Musical Fidelity M6si, Akai AM 75, harman/kardon HK 1400 und PM 665 Vxi, Sansui AU 919

Lautsprecher: Dynaudio Contour 20, Harwood Acoustics LS3/5a

Kabel: Lautsprecherkabel: Reson LSC NF-Kabel: Kimber PBJ WBT-147, Audioquest Z1, Oehlbach NF 14 Master X Digitalkabel: Audioquest Cinnamon RJ/E Ethernet, Oehlbach NF 113 D Netzkabel: Oehlbach Powercord C13 Netzleiste: Oehlbach Powersocket 907 MKII

Zubehör: Stromfilter: Dynavox HiFi-Netzfilter X4100S Sonstiges: Doppelsteckdose Furutech FP-SWS-D (Wandeinbau)

Sonstiges: Lautsprecher-Ständer von Mission Audio

Größe des Hörraumes: Grundfläche: 32 Quadratmeter Höhe: 3,80 Meter