John Glacier – Like a Ribbon
Die Sprech-Stimme von John Glacier wirkt derart solide und monoton, dass man irgendwie erwartet, sie müsste doch endlich mal brechen und sich emotional öffnen. Das kommt allerdings so gut wie nie vor. Und genau dafür ist die Rapperin, die mit ihrem experimentellen Hip-Hop die Szene Londons aufmischt, bekannt. Mit ihrer neuen EP Like A Ribbon bestärkt sie ihren Stil und macht ihn zu einer echten Trademark.
Der Rap-Stil von John Glacier wurde oft als „unterkühlt“ beschrieben und genau darauf deutet auch ihr den Gletschern gewidmeter Künstlername hin. In ihren Lyrics reflektiert sie die kalte klingende Performance ebenfalls. „I’m icy“, heißt es im Song „Nevasure“, um das Wortspiel – eher an einen Drink gemahnend – mit „on the rocks“ weiterzuspinnen. Musikalisch kreiert sie dabei eine mysteriöse Atmosphäre mit stockendem Beat und gesanglichen Wiederholungsschleifen. Besonders der Kontrast aus melodischen Elementen – in „Nevasure“ schwingen die Synthies in angenehmen Höhen – und ihrem Spoken Word machen die EP zu etwas Außergewöhnlichem.
Am überzeugendsten klappt ihr Stil-Mix auf „Money Shows“. Hier spielt eine E-Gitarre ein aufsteigendes Motiv auf einer Saite. Dazu gesellen sich ein paar irrlichternde Sounds im Hintergrund, ein paar Sound-Effekte durchbrechen den Song stets aufs Neue. Gleichwohl lebt das Stück von der Gitarren-Stimme-Kombination, die wiederholten Strophen sind alle unterschiedlich eingesprochen und weisen immer wieder kleine Variationen auf. John Glacier spielt hier so smooth mit ihrem Timing und dem simplen Beat, dass die zugrundeliegende subtile Raffinesse nicht zu überhören ist. Allein damit erklärt sich in knapp zwei Minuten, warum ihr als experimenteller Musikerin ein solcher Erfolg in der Szene zuteil wird.
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Gossip – Real Power
Als Comeback können Alben eigentlich nur herhalten, wenn eine Band komplett untergetaucht war oder sich wirklich trennte. Im Fall von Gossip aus Portland ist das etwas vertrackter – die Band um Frontfrau Beth Ditto löste sich 2016 auf, war 2019 vor der Pandemie nichtsdestotrotz noch einmal auf Tour. Ein neues Album plante man eigentlich nicht, anfangs ging Beth Ditto nur ins Studio, um an einer Solo-Veröffentlichung zu arbeiten. Weil aber die zündenden Ideen fehlten, lud sie den Gossip-Gitarristen Nathan Howdeshell ein. Das führte unausweichlich zu neuen Songs – elf an der Zahl – und letztendlich zur neuen Platte Real Power, die in den Medien gerne als Comeback betitelt wird.
Wie gewohnt, präsentiert die Band einen Mix aus Rock, Punk und Disco. Und wie vermutet, steht bei den Songs ganz klar Dittos vibrierender Gesang im Vordergrund. Der ist so charismatisch, dass er ebenso gut Genres wie Soul oder Jazz bedienen könnte. Das Powerhouse Ditto macht folglich genau das aus, was die Platte interessant macht.
Im Titelsong „Real Power“ röhrt ihr Gesang über die groovige Musik der Band, die mit einem funkigen Bass, einem luftigen Drumbeat und einzelnen Gitarreneinschüben einheizt. Mit dieser tanzbaren Nummer sind Gossip ganz in ihrem Element. Andere Songs wie „Edge Of The Sun“ überzeugen ebenfalls mit Dittos starker vokaler Performance, ihren trällernden „Uuhs“ gleich am Anfang und einer poppigen Melodie im Chorus, die im Ohr bleibt. Insgesamt fällt auf, dass sich Gossip auf dem Album mehr dem Pop zuwenden und ihre punkige Vergangenheit fast ganz hinter sich lassen. Etwas ausgefallener geht es in „Give It Up For Love“ zu: Hier dreht der Bass ordentlich hoch und der klirrende Schlagzeug-und-Percussion-Beat trägt zu einer scheppernden Dance-Atmosphäre bei. Da kommt man als Gossip-Fan der ersten Stunde voll auf seine Kosten – das Trio hat das Rocken ganz offensichtlich nicht vergessen!
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Vampire Weekend – Only God Was Above Us
Die New Yorker Rocker von Vampire Weekend melden sich nach fünf Jahren mit einer neuen Platte zurück. Wie bei der experimentellen Ader der Band zu erwarten, ist Only God Was Above Us voll mit überraschenden Akkord-Wechseln, großartigen Instrumentierungen und Kompositionen, die lange nachhallen.
Im ersten Stück „Ice Cream Piano“ steht der Gesang von Frontmann Ezra Koenig im Vordergrund – anfangs fast solo mit wenig Instrumentation und dann nach etwa 90 Sekunden mit einem wirbelnden Schlagzeug, bei dem die Snare wie im Marsch angeschlagen wird. Dazu kommen eine fuzzy Gitarre und perlende Klaviertöne. Gen Ende tischt die Band noch weitere Instrumente wie Streicher auf, die im Solo klanglich ein herrliches Erlebnis bescheren. Sowieso ist jeder Song der Band eine Wundertüte voller Klänge und kompositorischer Twists. Mal klackert es, wie beim Echo-lastigen Schlagzeugsound auf „Classical“, später klimpert dort ein Klavier im Wechselspiel mit einem trötenden Saxofon. Und am Ende verliert der Song ganz dramatisch an Tempo. So macht Pop-Musik Spaß!
Besonders schön sind einige Songanfänge geraten. Wie etwa bei „Prep-School Gangsters“: Pure E-Gitarren und eine sanfte Klaviermelodie erinnern an einen Jam im Proberaum. Der sich dann aber doch zu einem produzierten Song entwickelt, inklusive gedoppeltem Gesang in der zweiten Strophe und ausgewählten Passagen ohne Drum-Begleitung. Das lange Gitarrensolo, das Koenig kurz lautstark mitsingt und bei dem später eine fetzige Geige einsetzt, dient als krönender Abschluss des Tracks.
Das Album endet mit dem Fast-Acht-Minüter „Hope“, einer Low-Tempo-Nummer, die mit Klaviermotiv, Akustikgitarre sowie einem lebendigen Basslauf überzeugt. Hier sinniert Sänger Koenig über die bösen Mächte in der Welt und fordert seine Hörer und Hörerinnen auf, davon loszulassen. Besonders schön gelingt das monumentale Zwischenspiel zur Hälfte des Songs, das die Akkordstruktur aufbricht und mit neuen Klängen anreichert. Auch die vielen Soli und Instrumente, die nach und nach einsteigen, sind exemplarisch für dieses Album – unbedingt reinhören!
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