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Das Johanna Klein Quartet greift mit seinem Debüt Cosmos bereits nach den Sternen, Dave McMurray gibt den lässigen Songs von Grateful Dead Funkfeuer und Lars Danielsson Liberetto lässt die Melodien nur so tänzeln.

Johanna Klein Quartet – Cosmos

Johanna Klein Quartet Cosmos Cover

Ein richtig starkes Debütalbum legt das Johanna Klein Quartet mit Cosmos vor. Das Stipendium, das die Formation um die Saxofonistin Johanna Klein in Verbindung mit dem jazz@undesigned award 2019 erhielt, hätte gar nicht besser eingesetzt werden können als in diese Produktion. Denn Cosmos ist eine Überraschung der allerfeinsten Sorte. Der Begriff „Kosmos“ stehe für den Gegensatz von Chaos und Ordnung in ihrer Musik, so die Wahlkölnerin.

Johanna Klein Quartett

© Luisa Melzig

Die zehn Titel, die Kleins musikalischen Mikrokosmos auffächern, bilden allerdings noch weitere Polaritäten aus – und bringen sie zu einem fein abgewogenen Ausgleich. Melodischer Fluss steht rhythmischer Freiheit gegenüber, klare Struktur und austarierte Dramaturgie kontrastieren improvisatorische Poesie, handgemachter, auf Farbtönungen akustischer Instrumente setzender Klang wird um dezente elektronische Sounderweiterungen ergänzt. Aus diesen Gegensätzen formt Johanna Klein mit ihren drei Mitmusikern Leo Engels (Gitarre), Nicolai Amrehn (Kontrabass) und Jan Philipp (Schlagzeug) musikalische Erzählungen von hoher Suggestivkraft, die ohne große Gesten auskommen. Die auch klanglich fein und warm abgetönten Stücke von Johanna Klein sind ein filigranes Gewebe vier gleichberechtigter Stimmen, aus dem nicht einmal die Bandleaderin am Saxofon auftrumpfend herausragt. In all seiner Delikatesse ist dieses Debüt erstaunlich reif.

Johanna Klein

© Luisa Melzig

Bereits der Einstieg mit „Flux“ verführt mit kammermusikalischer Leichtigkeit. Im Dialog von Saxofon und Gitarre entfalten sich schwerelose Melodien in wechselnden Metren und ungebundenem Fluss. Der Opener wirkt wie eine Studie über die Polarität von freier Bewegung und melodischer Kontur. Noch intensiver führen Johanna Klein und Gitarrist Leo Engels ihren Dialog in „Eden“ weiter, einem verträumten Charakterstück. Dazwischen steht ein wohl eher ironisch als „Volkslied“ betiteltes Stück, denn eigentlich klingt es wie eine Folge von instrumentalem Rezitativ und reich ausgezierter Arie, also hochartifiziell. Die Klangwelt ändert sich mit „Juno“, einem Klangstück mit etwas Hall und elektronischer Kühle. In seinen weiten, sphärischen Klangräumen können die nach unten weisenden Melodien wie Sternenregen herab perlen. Nach diesem unheimlichen Zittern des Weltalls rastet der tighte Groove von „Phobos“ gleich von Beginn an ein, gewürzt mit einem kantigen Gitarrensolo. Ähnlich rockig, dabei aber mit psychedelischen Einflüssen spielend, gerät das vorletzte Stück „Deimos“.

Johanna Klein Quartet

© Luisa Melzig

Herzstück von Cosmos ist das Titelpaar „C.Diem.“ und „C.Noctem“. Im ersten Stück erweist sich der Bass als unerbittlicher Taktgeber täglicher Geschäftigkeit, über dessen Ostinato eine groß angelegte Steigerung ansetzt, während das Nachtstück bedrohlich schöne Glissandoklänge in den Himmel schickt und durch Echos und geisterhafte Sounds für wonnige Gänsehaut sorgt. Zu Ende geht diese feinsinnig gewebte Debütplatte mit „Finis“. Das knappe und in seiner polyphonen Anlage kunstvolle Finale endet harmonisch offen und fragend. Die Antwort ist aber klar: Wenn das Johanna Klein Quartet dort weitermacht, wo es mit Cosmos aufhört, ist noch viel zu erwarten.

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Dave McMurray – Grateful Deadication

Dave McMurray Grateful Deadication Cover

Jazz und Jambands haben einiges gemeinsam. Improvisationen und Soloeskapaden gehören zur DNA der beiden Genres. Trotzdem kam es bislang nur selten vor, dass sich Jazzmusiker mit den Songs großartiger Jambands wie The Allman Brothers Band oder Grateful Dead beschäftigten. Dave McMurray löst diesen Bann mit seiner zweiten Platte für Blue Note Records. Das Wortspiel im Titel verrät, wem er huldigt: Grateful Deadication heißt die Produktion, die neun Songs der legendären Jamband aus San Francisco wiederaufleben lässt. Der im souligen und funkigen Jazz beheimatete Saxofonist aus Detroit war lange kein „Deadhead“. Rätselhaft erschien ihm die kultische Verehrung der 1965 gegründeten Grateful Dead. Die Wende brachte ein gemeinsamer Auftritt mit Gitarrist Bob Weir, Gründungsmitglied der Jamhippies, der McMurray neue Horizonte geöffnet hat und so zum „Deadhead“ machte. Kein Wunder, dass der Gastauftritt von Bob Weir zusammen mit Souldiva Bettye LaVette mit dem unter die Haut gehenden „Loser“ einen der Höhepunkte von Grateful Deadication bildet.

DAVE McMURRAY

© Chris Wilson

Verglichen mit dem lässigen Groove, den das Jamkollektiv einst auf der Bühne zelebrierte, wirkt die an Funk und Soul geschulte Rhythmussektion von Dave McMurray knackig, straff, pointiert. Das bekommt Evergreens wie „Eyes of the World“ oder „Touch of Grey“ bestens, zumal beschwingtes Karibik-Feeling die Leichtigkeit der Songperlen von Grateful Dead noch steigert. Am besten zünden hier jene Songs, die – wie etwa „Dark Star“ – bei den Deads live in ellenlange Jams ausuferten oder die selbst schon jazzig angehaucht sind, wie das famose „The Eleven“ im 11/8-Takt. Da rastet der Jazzansatz Dave McMurrays mit seinen verspielten Wendungen in den Melodielinien optimal in die Vorlage des Originalsongs ein und verleiht ihnen eine neue Dimension. Grandios gelungen ist der zweite Teil von „Dark Star“, ein Jam von kosmischer Schwerelosigkeit.

Dave McMurray

© Chris Wilson

Dave McMurray packt die Musik mit seinem rauen, körnigen, zu brillanter Power fähigen Saxofonton und verleiht ihr damit funkige Konturen. Wie gut das zusammengeht, zeigt auch „Touch of Grey“. Im ersten Teil mit der schmelzenden Soulstimme von Herschel Boone verziert, setzt die Band noch ein Instrumental als Jam-Dreingabe dran – wunderbar spielfreudig und rhythmisch knochentrocken mit treibendem Groove. Ein umwerfend gut gelungenes „Estimated Prophet“ sowie zwei entspannte Schlusssongs runden ein stimmiges, verzauberndes Album ab, das überfällig war. Dave McMurray ist eine ideale Sommerplatte geglückt.

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Lars Danielsson Liberetto – Cloudland

Cover Liberetto Cloudland

Der schwedische Bassist und Cellist Lars Danielsson schickt seine Hörer auf der vierten Platte, die unter der Flagge seines Ensembles Liberetto segelt, zunächst auf einen falschen Kurs. Denn das nach einer nordischen Volksweise klingende Entrée „Vildmark“, bei dem Danielsson erstmals ein aus dem 18. Jahrhundert stammendes fünfsaitiges Hybrid-Instrument zwischen Cello und Bass einsetzt, legt keineswegs die Reiseroute durch Cloudland fest. Stattdessen kreuzt das etablierte Quartett, diesmal unterstützt durch Arve Henriksen (Trompete) und Kinan Azmeh (Klarinette), in den folgenden elf Stücken musikalisch vornehmlich in südlichen Gefilden. Auch nordafrikanische Einflüsse, wie man sie in der maurischen Kulturtradition findet, durchwehen mit exotischem Windhauch Danielssons hochmelodische Songs. Das Ergebnis: ein wunderbar locker fließendes, schillerndes Album, dessen unregelmäßige Metren, feingesponnene Ohrwurmmelodien und dezente Farbakzente einen unwiderstehlichen Groove unterstützen.

Zu dem fein ineinandergreifenden Räderwerk von Danielsson, Grégory Privat (Klavier), John Parricelli (Gitarre) und Magnus Öström (Schlagzeug) kommt mit Arve Henriksen ein Trompeter, der im Titelsong mit seinen luftig gehauchten Trompetenmelodien zart melancholische Leichtigkeit verbreitet. Der munteren Feier des Fünfertaktes in „The Fifth Grade“ folgen zwei zartbesaitete Nummern, wobei „Tango Magnifique“ in den mysteriösen Nachthimmel eines Film Noir blickt. Der Höhepunkt steht mit „Desert of Catanga“ in der Mitte des Albums. Hier ist alles verdichtet, was das Lars Danielsson Liberetto ausmacht: duftige Melodien, jazzige Spiellust, tänzelnder Groove, barocke Sequenztechnik sowie geschmackvoll aufgetragene Farbspritzer, etwa die verzerrte E-Gitarre Parricellis oder Kinan Azmehs zartbittere Klarinette. Doch das Album hat auch danach noch einige Überraschungen zu bieten, wenn Danielsson in „Villstad“ seinem Cello verzerrte Rocksounds abgewinnt. Oder auch das träumerische Schlussstück „Imagine Joao“. Damit schließt eine farbenfrohe, quirlig tänzerische Jazzplatte, deren Entstehung man kaum in Schweden vermuten würde.

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